Ministerpräsident Stephan Weil im Interview: „Die FDP hat die Heizungs-Debatte weiter verkompliziert und teilweise vergiftet“

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Ministerpräsident Stephan Weil im Interview: „Die FDP hat die Heizungs-Debatte weiter verkompliziert und teilweise vergiftet“ - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Christoph Soeder Exklusiv Ministerpräsident Stephan Weil im Interview: „Die FDP hat die Heizungs-Debatte weiter verkompliziert und teilweise vergiftet“

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) fordert Subventionen für Industriestrom, speziell bei Klima-Investitionen. Er appelliert an Finanzminister Christian Lindner (FDP).

Von Daniel Friedrich Sturm

Herr Ministerpräsident, am Freitag beginnt die politische Sommerpause. Hat die Ampel-Koalition Erholungsferien verdient?
Jeder, der oder die hart arbeitet, hat Ferien verdient. Das hat die Ampel gewiss getan. Sie hat viel erreicht, anderes war „ruckelig“, wie der Bundeskanzler sagte.

Wird die Ampel-Koalition versetzt, oder ist eine Nachprüfung nötig?
Das Ende des Schuljahres ist doch noch in weiter Ferne! Insgesamt aber kann man aus den letzten drei Monaten eine Menge lernen. Die Diskussion um das Heizungsgesetz zeigt, dass es sich wirklich lohnt, mit allen Akteuren vorher zu reden, wenn man ein solch monumentales Gesetz plant. Dann hört man viele Hinweise, Bedenken, erfährt, ob man auf dem richtigen Weg ist. Außerdem sollte die Ampel-Koalition besser intern streiten, als dies täglich in der Öffentlichkeit zu tun. Genau das schadet allen Beteiligten.

Was ist Ihr Fazit der Debatte um das Heizungsgesetz?
Das Thema Wärme ist ein besonders kompliziertes, aber wichtiges Kapitel der Energiewende. Das war von Anfang an klar und ist ja der Grund, warum bislang jede Bundesregierung einen weiten Bogen um dieses Thema gemacht hat. Deshalb ist Deutschland hier hintendran statt vorneweg. Jetzt haben wir nach den Verhandlungen der Ampel-Fraktionen einen guten Gesetzesentwurf, der zu Recht viel weniger Gegenwind auslöst als der erste Vorschlag. Das Gesetz, das am Freitag im Bundesrat zur Abstimmung steht, hat mit dem ersten Papier, mit dem die Diskussion begann, nur noch sehr wenig zu tun. Und das ist gut so!

Sie sind also glücklich über das, womit sich die FDP bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) durchgesetzt hat?(lacht) Dass ich über die FDP glücklich gewesen wäre, könnte allenfalls mal in grauer Vorzeit der Fall gewesen sein. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern. Aber im Ernst: Die FDP hat mit ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit dieses ohnehin schwierige Thema noch weiter verkompliziert und die Debatte teilweise vergiftet. Das hat richtig geschadet. 

Die SPD trat im Wahlkampf mit dem Schlagwort „Respekt“ an. Tritt die Bundesregierung dem Volk gegenüber respektvoll auf?
Ja. Die Bundesregierung macht vieles richtig, manches könnte besser sein. Aber das ist keine Frage von mangelndem Respekt. Nehmen Sie doch das Heizungsgesetz: Die künftigen Fördermöglichkeiten sind wirklich gut. Auch Menschen mit kleinem Geldbeutel müssen keine Angst mehr vor dem Heizungsgesetz haben.

Die künftigen Fördermöglichkeiten sind wirklich gut. Auch Menschen mit kleinem Geldbeutel müssen keine Angst mehr vor dem Heizungsgesetz haben. 

Stephan Weil

Der Mindestlohn steigt im Januar um 41 Cent auf 12,41 Euro. Ist das genug?
Es ist ein Fortschritt, ich bezweifle aber, dass er ausreicht. Die Preise steigen erheblich. Die letzte Mindestlohn-Erhöhung wurde von der Inflation aufgefressen. Es gibt also gute Gründe, zu sagen, ein höherer Betrag wäre besser.

Die Mindestlohn-Höhe entstammt der Mindestlohnkommission. Will SPD-Chef Lars Klingbeil diese Kommission entmachten, wenn er auf einen Mindestlohn von 14 Euro pro Stunde drängt?
Ein SPD-Vorsitzender muss seine politische Meinung laut und deutlich sagen und er hat auch sehr gute Gründe. Ob man deswegen zu einem Systemwechsel kommen will, muss man sehr genau prüfen. So habe ich Lars Klingbeil auch nicht verstanden.  

Die Inflation ist jüngst wieder gestiegen, liegt nun bei 6,4 Prozent. Tut die Bundesregierung genug gegen die Inflation?Die maßvolle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank ist richtig. Als Bund und Länder legen wir sehr sparsame Haushalte auf den Tisch, um die Inflation zu dämpfen. Das schmerzt, muss aber leider sein.

Was halten Sie vom Vorschlag Ihres bayerischen Amtskollegen Markus Söder, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken?
Das ist ein echter Söder. Je näher Wahltermine rücken, desto lauter werden Rufe nach Steuersenkungen. Lebensmittel sind heute schon besonders niedrig besteuert. 

Was bedeutet es, wenn Deutschland noch tiefer in die Rezession rutschen sollte?
Die Institute erwarten keine dauerhafte Rezession. Aber wir brauchen mehr Wachstum. Viele Unternehmen würden gern investieren, es mangelt aber derzeit an Vertrauen in die Perspektiven am Standort Deutschland, zum Beispiel, weil energieintensive Unternehmen unter den hohen Energiepreisen leiden.

Das ist ein echter Söder. 

Stephan Weil über den Vorschlag des CSU-Chefs, die Mehrwertsteuer zu senken

Das SPD-Wahlprogramm von 2021 verlangt einen „wettbewerbsfähigen Industriestrompreis“. Bisher aber hat sich die Ampel dazu nicht durchgerungen. Woran liegt es?
Ich rede nicht von „dem“ Industriestrompreis. Wir sind nicht dazu in der Lage, sämtliche Industrie-Unternehmen dauerhaft zu entlasten. Wir müssen Energie-intensive Unternehmen stützen, insbesondere die, die jetzt in Klimaneutralität investieren wollen. Wir müssen nüchtern sehen, dass die Standortbedingungen in Deutschland derzeit deutlich schlechter sind als etwa in den USA. Wir müssen übergangsweise einen Transformationsstrompreis anbieten, sonst gefährden wir den Industrie-Standort Deutschland. Wir brauchen jetzt Planungssicherheit für die Unternehmen. Sonst drohen hohe Kollateralschäden. Der Bundesfinanzminister sollte endlich einlenken. Herr Lindner sollte erwägen, ob er sich Steuereinnahmen für die Zukunft sichern will oder nicht.    

Wirtschaftsminister Habeck peilt einen Industriestrompreis von sechs Cent an, kalkuliert mit Kosten von 25 bis 30 Milliarden Euro. Halten Sie das für realistisch?
Bei den sechs Cent gehe ich mit, wir in Niedersachsen kalkulieren mit sieben Cent. Habeck nimmt aber nur 80 Prozent des Strombedarfs in den Blick, wir 100 Prozent. Da liegen wir also nah beisammen. Die Summe von 25 bis 30 Milliarden Euro bezweifle ich, ich halte sie für zu hoch. Ich rechne damit, dass sich der Strompreis in den nächsten zwei, drei Jahren deutlich normalisiert, dass er also sinkt.

Kanzler Olaf Scholz stellt „Wachstumsraten … wie zuletzt in den 1950er und 1960er Jahren“ in Aussicht. Wann geht es los mit einem Wachstum von etwa acht Prozent?
Es gibt dieses Potenzial, aber jedes Potenzial muss auch gehoben werden. Wenn das Vertrauen in die Energieversorgung wächst, werden Investitionen und Wirtschaftsleistung wesentlich wachsen, da bin ich zuversichtlich.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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