Michael Roth über umstrittene Aussage: „Macron wird dafür einen hohen Preis zahlen“
© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa Michael Roth über umstrittene Aussage: „Macron wird dafür einen hohen Preis zahlen“
Der SPD-Politiker sieht in Macrons „Autonomie“-Äußerung anti-amerikanische Ressentiments. Von Außenministerin Baerbock erwartet er in Peking ein Treffen mit Bürgerrechtlern.
Von Daniel Friedrich Sturm
Herr Roth, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat in China die Europäer vor „blinder Gefolgschaft“ gegenüber den USA gewarnt. Können Sie Macron folgen?
Nein, ich verstehe Macrons Aussagen überhaupt nicht. Ich sehe keine blinde Gefolgschaft in Europa. Ich sehe hingegen in Washington ein Höchstmaß an Verantwortungsbewusstsein für Frieden und Stabilität in Europa.
Wie wäre es ohne das militärische Engagement der USA um die Ukraine und Europa bestellt?
Ohne die weitreichende politische und militärische Unterstützung der USA hätte die Ukraine diesen Krieg wohl längst verloren. Vergessen wir mal nicht: Anfangs tat sich ja nicht nur Deutschland, sondern vor allem auch Frankreich schwer mit Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine. Ohne den Einsatz der USA hätten wir es vermutlich schon mit weiteren Brandherden in Osteuropa zu tun, wie in Moldau oder Georgien. Insofern ist Macrons Vorwurf völlig unbegründet. Er ist zudem verletzend gegenüber den USA, die nach den schrecklichen Trump-Jahren wieder zu neuer Verantwortung und Partnerschaft gegenüber Europa gefunden haben.
Was steckt hinter Macrons Aussagen? Ist es außenpolitische Überheblichkeit infolge innenpolitischer Schwäche?
Da will ich nicht spekulieren. Ich bin ja so enttäuscht, weil ich in Macron nach wie vor einen überzeugten Europäer sehe. Was er jetzt sagt, passt aber so gar nicht mit dem zusammen, wofür er einmal angetreten ist. Es ist so frustrierend. Macron wird dafür einen hohen Preis zahlen. Er droht mit diesen Aussagen Europa zu spalten, wo doch Geschlossenheit und Teamgeist gefragt wären. Und er vergrätzt damit natürlich auch andere internationale Partner.
Es ist so frustrierend. Macron wird dafür einen hohen Preis zahlen.
Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
Inwiefern?
Denken Sie etwa an Japan oder Australien. Diese Länder liegen Tausende Kilometer von der Ukraine entfernt und stehen dennoch fest an der Seite der Ukraine gegen den russischen Aggressor. Sie tun das übrigens nicht aus Nächstenliebe, sondern im Wissen: Wenn Russland siegt, so kann das auch eine Blaupause für China im Indopazifik sein. Taiwan liegt also nicht, wie Macron suggeriert, auf einem fremden Stern, sondern hat sehr viel mit uns in Europa zu tun.
Frankreich ist Deutschlands wichtigster Nachbar. Wie viel öffentliche Kritik ist in einer solchen Freundschaft möglich und nötig?
Ich war acht Jahre lang Beauftragter für die deutsch-französische Zusammenarbeit, unsere Beziehungen sind mir ein Herzensanliegen. Unter Freunden sollte man auch zu einer offenen Aussprache finden, hier geht es doch nicht um Deutschland und Frankreich. Macron rüttelt mit seinen Worten vielmehr an den Grundfesten des vereinten Europas. Wenn in Berlin die Kritik an Macron schon groß ist, wie groß muss der Unmut über ihn dann erst in Warschau, Tallinn, Riga oder Vilnius sein?
Macron spricht von „strategischer Autonomie“ Europas, also neben den USA.
Ich hatte gehofft, dieser missverständliche Begriff wäre endlich überwunden. Bei „Autonomie“ schwingt immer eine Abkehr von den USA mit, ein dritter Weg, eine Schwächung der Nato. Unsere Nachbarn im Osten aber sind nach wie vor fest davon überzeugt, dass ihre Freiheit und Sicherheit weder von Deutschland noch von Frankreich allein garantiert werden können. Sondern derzeit nur von den USA. Daher darf man sich, wenn man so wie ich für ein souveränes, starkes Europa auch in Fragen der Sicherheit und Verteidigung eintritt, nicht von den USA abwenden. Macron stößt mit seiner Rhetorik leider ganz Mittel- und Osteuropa vor den Kopf.
Wünschen Sie sich ein offenes, deutliches Wort des Kanzlers gegenüber Macron?
Der Kanzler hat im Unterschied zu mir einen direkten Zugang zum französischen Präsidenten. Diesen wird er sicher nutzen, um mit ihm darüber zu sprechen, wie er sich die Rolle Europas vorstellt, auch im transatlantischen Verhältnis. Macron hat ja völlig recht, wenn er sagt, Europa müsse mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen. Wenn wir uns aber Knall auf Fall von einem unserer verlässlichsten Partner abwendeten, wäre das ein Sicherheitsrisiko – nicht nur für uns in Deutschland, sondern für die gesamte EU.
Macron fürchtet, Europa könnte infolge eines Überfalls China auf Taiwan zu einem „Vasallen“ Amerikas werden.
Diese Sprache ist leider Wasser auf die Mühlen derjenigen, die seit Jahrzehnten anti-amerikanische Ressentiments verbreiten. US-Präsident Joe Biden geht derzeit mit seinem weitreichenden Engagement für die Sicherheit Europas ein innenpolitisches Risiko ein. Seine Politik wird von weiten Teilen der Republikaner und seinem Vorgänger klar und deutlich abgelehnt. Biden tut das, was auch bisher Sicherheitsdoktrin der USA war: nämlich die Sicherheit Taiwans zu garantieren. Nicht die USA haben also ihre Politik geändert, sondern China. Unter Xi Jinping tritt das Land nach außen immer aggressiver auf, nach innen immer autoritärer und ideologischer. Auf diesen dramatischen politischen Kurswechsel in Peking müssen wir in der EU doch reagieren und eine gemeinsame Strategie entwickeln!
Bei der gemeinsamen Reise von Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron nach China ging laut Roth kein Signal der europäischen Geschlossenheit aus: „Macron inszenierte sich in Peking als ,good cop’ und wies von der Leyen die Rolle des ,bad cop’ zu.“ © dpa/LUDOVIC MARIN
Haben wir aus unserer am Ende mörderischen Naivität gegenüber Russland nichts gelernt?
Nicht nur Deutschland muss aus seinen Fehlern lernen. Gegenüber Russland fahren wir jetzt endlich eine Politik, die nicht nur auf Dialog, sondern auch auf Abschreckung beruht. Auch im Umgang mit China darf es kein einfaches „Weiter so“ geben. Macrons jüngste Äußerungen tragen den dramatischen Veränderungen so gar nicht Rechnung.
Wir wollen keine Mauer zu China bauen. Aber ich rate uns zu mehr Selbstbewusstsein.
Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
Ist das chinesische Papier zum Ukraine-Krieg ein „Friedensplan“, wie Macron in Peking behauptet hat?
Nein. Dieses Papier ist eine Aneinanderreihung altbekannter chinesischer Positionen. Wichtig ist jedoch die rote Linie, die Xi Jinping dem Kreml aufgezeigt hat, nämlich: Mit Atomwaffen darf weder gedroht noch dürfen sie eingesetzt werden. Wie man aber mit diesem Papier zu Friedensverhandlungen kommen soll, ist mir schleierhaft. Denn es bleibt unerwähnt, dass es um die Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine geht. Ebenso fehlt die klare Benennung von Russland als Aggressor. Und ich vermisse den Hinweis darauf, dass es nicht nur um einen Waffenstillstand gehen muss, sondern dass sich die russischen Truppen vom ukrainischen Territorium zurückziehen müssen.
In China hat Macron mit Kritik an der Kommunistischen Partei Chinas gespart. Kanzler Olaf Scholz hielt es Ende 2022 ebenso. Gelingt es dem Westen, mit dieser Zurückhaltung von China ernst genommen zu werden?
Trauriger stimmt mich die Performance des gemeinsamen Besuchs von Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Idee der gemeinsamen Reise war ja sehr gut. Umso bitterer, dass von ihr kein Signal der europäischen Geschlossenheit ausging. Macron inszenierte sich in Peking als „good cop“ und wies von der Leyen die Rolle des „bad cop“ zu. Damit tappte er abermals in die Falle Chinas, das ganz gezielt die Bilateralisierung der Beziehungen betreibt, um die EU durch Deals mit einzelnen Mitgliedsländern zu schwächen. Zu Recht haben viele in Europa die China-Politik Merkels kritisiert, weil sie von „Business first“ geprägt war.
Deutschland war im Handel noch nie so abhängig von China wie heute. China exportiert dabei mehr nach Deutschland als umgekehrt, wir haben ein Handelsdefizit von 84 Milliarden Euro.
Wir müssen unsere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit China sehr genau überprüfen. Einseitige Abhängigkeiten von China müssen wir schnellstmöglich reduzieren. Wir dürfen etwa bei Halbleitern und Seltenen Erden nicht wieder so verwundbar werden wie früher bei Energieimporten aus Russland. Entscheidend ist, dass wir unsere Produktions- und Lieferketten diversifizieren und chinesische Unternehmen bei Bedarf auch aus kritischen Bereichen ausschließen.
Sehen Sie bei großen deutschen Unternehmen wie BASF oder Volkswagen ein Bewusstsein für die politische Gefahr Chinas?
Es gibt eine neue Nachdenklichkeit. Etliche Unternehmen überprüfen ihr geschäftliches Engagement. Ich erwarte von den deutschen Unternehmen, dass sie politische Diskussionen nicht nur achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern einen möglichen Kurswechsel Deutschlands und der EU gegenüber Peking in ihre Strategien einbeziehen. Es gilt das Primat der Politik. Konzerne dürfen nicht sagen: Was schert mich die Außenpolitik meines Landes oder der EU?
BASF-Chef Martin Brudermüller will in China wachsen und warnt vor einem „China-Bashing“. Das klingt ja nicht einmal mehr nach „Wandel durch Handel“, sondern nach „Handel, Handel über alles“.
Wenn er es so meint, halte ich das für komplett falsch. Wir wollen keine Mauer zu China bauen. Aber ich rate uns zu mehr Selbstbewusstsein. China ist selbst zutiefst abhängig vom attraktiven europäischen Markt. Wir brauchen endlich das Prinzip der Reziprozität: Beschränkungen für unsere Unternehmen in China sollten auch für chinesische Unternehmen in Deutschland und Europa gelten.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird am Donnerstag in Peking eintreffen. © REUTERS/Ognen Teofilovski
Wann legt die Bundesregierung endlich ihre China-Strategie vor?
Die Bundesregierung wird zunächst ihre nationale Sicherheitsstrategie vorstellen, darauf baut dann die China-Strategie auf.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird am Donnerstag in Peking eintreffen. Welche Botschaft, welche Ergebnisse erwarten Sie von ihrem Besuch?
Außenministerin Baerbock sollte in Peking deutlich machen: Deutschland lässt sich nicht mehr aus dem europäischen Team-Spiel herauskaufen. Ich rate, mit allem gebotenen Selbstbewusstsein aufzutreten. Außerdem sollten wir nachhaken: Kann das mächtige China Russland doch stärker dazu drängen, endlich den Krieg gegen die Ukraine zu beenden?
Sollte sich Baerbock in China mit Bürgerrechtlern und Vertretern der Uiguren treffen?
Es gehört zur guten deutschen außenpolitischen Tradition, bei einer solchen Reise nicht nur Regierungskontakte zu pflegen, sondern auch Vertreter von Minderheiten, Bürgerrechtler, den kritischen Teil der Zivilgesellschaft zu treffen. Ich bin sicher, auch Annalena Baerbock weiß, dass in Autokratien umso mehr gilt: It’s the civil society, stupid!
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de