Lange Nacht der Religionen: Tausende besuchten Kirchen, Moscheen und Tempel
© dpa/Soeren Stache Lange Nacht der Religionen: Tausende besuchten Kirchen, Moscheen und Tempel
Bei der Langen Nacht der Religionen öffneten vor allem Moscheen ihre Tore für alle Berliner. Wir haben eine Buddhistin, die mal Katholikin war, und eine Muslima, die mal Christin war, begleitet.
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Nicola Hernadi ist Buddhistin. Vor 30 Jahren hat sie in Indien einen Mönch getroffen. Danach war vieles anders. Sie wechselte vom Architekturstudium zu indischer Philologie und fand Anschluss im Berliner Tibet-Zentrum. Was sie über den Buddhismus erzählt, hat wenig zu tun mit jener Wellness-Religion, die gestresste Kreuzberger in Yoga-Kursen suchen. Es geht nicht um Entspannung, sondern um harte Arbeit. Hernadi spricht davon, das Bewusstsein zu „sezieren“. Davon, durch Meditation und strenge logische Analyse Ebenen des Denkens zu unterscheiden und zu steuern – und so irgendwann alle Kategorien zu überschreiten, in denen das menschliche Denken und Wahrnehmen gefangen ist. „Mit einer Viertelstunde meditieren morgens und einer dreiviertel Stunde abends komme ich da leider nicht weit“, sagt sie und seufzt. Aber für mehr ist selten Zeit. Schon gar nicht an diesem Samstagabend. Denn da lockt sie die „Lange Nacht der Religionen“. 100 Kirchen, Moscheen und Tempel haben ihre Türen geöffnet. Zehntausend Besucher schauen sich um. Nicola Hernadi hat sich auf eine Tour durch Neukölln eingelassen. Wir begleiten sie.
Die Entdeckungsreise beginnt in St. Eduard in der Kranoldstraße: einem mächtigen Backsteinbau von 1907. Die Gemeinde lädt zu einem „begehbaren Gottesdienst“. An verschiedenen Stationen erklären Symbole und Infotexte Ablauf und Bedeutung einer katholischen Messe. Im Beichtstuhl steht ein Spiegel, in dem sich der Besucher erkennen soll. Das katholische Abendmahl ist durch ein Fladenbrot und eine Schüssel Trauben dargestellt mit der Aufforderung „nehme und schmecke, welche Fülle uns Gott schenken will“. Ein junger Mann greift kräftig zu.
Nicola Hernadi gefällt das. „Die Erklärungen sind niedrigschwellig und einladend, sie stülpen den Besuchern nichts über.“ Für sie selbst gibt es hier nichts zu lernen. Hernadi kommt aus einer urkatholischen Familie. Sie hatte schon immer viele Fragen und Zweifel am Christentum. Warum gibt es so viel Leid auf der Welt, wenn Gott doch allmächtig ist? Im Buddhismus gibt es keinen Gott. Hernadi findet das einleuchtender. „Jetzt muss ich nicht mehr auf einen Gott warten, sondern kann selbst etwas tun.“
© Björn Kietzmann
Es ist 20 Uhr, beste Ausgehzeit, doch nur wenige Menschen kommen nach St. Eduard. Dafür umso mehr ins Sufi-Zentrum in die Wissmannstraße. Vor dem Eingang stehen viele Leute Schlange. Drinnen drängen sich 150 in zwei Zimmern. „Niedrigschwellig“ ist hier nichts, es gibt auch keine Infotafeln. Doch die Exotik zieht. „Gegenüber den Moscheen und Tempeln haben wir keine Chance“, hat eine Kirchenfrau gesagt. Nur wenige Kirchen beteiligen sich deshalb. Die Sufis dagegen machen das, was sie immer samstagabends machen: Im Wohnzimmer sitzt vorne der junge Scheich in einem breiten Sessel, eingerahmt von Sängern, Trommlern und Derwischen. „Allah, der Allerbarmer, der Barmherzige“, singt der Scheich auf Arabisch, und die anderen Sufis wiederholen es vielfach. Der Gesang ist eingängig und emotional. Viele Besucher wiegen sich im Takt der Trommeln.
Nicht so Andrea Reimann. Sie ist vor 20 Jahren zum Islam konvertiert und hat sich den arabischen Zusatznamen „Iman“ (feste Gewissheit) gegeben. Sie ist Vorstandsvorsitzende des „Deutschsprachigen Muslimkreises“ und leitet den interkulturellen Kindergarten „Regenbogen Kidz“. Die Sufis haben einen mystischen Zugang zum Islam. Das aber ist nicht Reimanns Ding. „Da bin ich zu evangelisch sozialisiert“, sagt sie. Bei ihr laufe das mehr über den Kopf. Für den Islam hat sie sich entschieden, weil er ihr klarer vorkommt als das Christentum. Und auch wegen seiner vielen Regeln und Gebote, die den Alltag strukturieren. Ihr leuchtete auch ein, dass für viele Muslime das Leben nach dem Tod eine so große Bedeutung hat. Sie fragt sich nun oft, ob es Gott gefällt, was sie tut, und ob es gut genug ist, um ins Paradies zu kommen. Vorne dreht sich jetzt ein Derwisch. Sein weißes Gewand symbolisiert das weiße Tuch, in das die Muslime ihre Toten einwickeln. Mit seinem Tanz dreht sich der Derwisch quasi in die Ewigkeit, über das menschliche Maß hinaus.
Vom großen Tempel, den die Hindus in der Hasenheide bauen wollen, ist nicht viel zu sehen. Noch beten sie in einer Turnhalle, etwa dort, wo Friedrich Ludwig Jahr 1811 seinen Turnplatz anlegte. Entlang einer weiß gekachelten Wand sitzt die Götterfamilie: Shiva, seine Gefährtin Parvati, ihr Sohn Ganesha und viele andere. Für den indischen Hauptgott Ganesha gibt es einen extra Schrein, der mit Blüten und Obst geschmückt ist. Indienexpertin Nicola Hernadi erklärt, welche Götter für welche Bedürfnisse stehen und was Hinduismus und Buddhismus verbindet. Doch der Kopf schwirrt schon von Göttern und Erklärungen. In einer Stunde lässt sich wohl höchstens die bunte Oberfläche des Hinduismus abtasten. Für die philosophische Tiefe braucht es Jahre.
Es ist halb elf. Der Hindu-Priester reicht zum Abschied eine geweihte Banane. Vor der Turnhalle lagert Baumaterial. Zwei Typen von der Hasenheide suchen sich gerade hier einen Platz zum Pinkeln. „Spinnt ihr? Sucht euch gefälligst einen anderen Ort“, herrscht Iman Andrea Reimann sie an. „Hey, das ist schlecht fürs Karma“, ruft Nicola Hernadi. Die Typen verziehen sich. Reimann und Hernadi lachen. Es war ein guter gemeinsamer Abend.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de