Kanzlerkandidatur bei der AfD: „Ein kluger Schachzug zu diesem Zeitpunkt“
© dpa/Michael Kappeler Kanzlerkandidatur bei der AfD: „Ein kluger Schachzug zu diesem Zeitpunkt“
Der Politologe Wolfgang Schroeder sieht in einem eigenen AfD-Kandidaten eine Gefahr für die demokratischen Parteien. Wichtige Themen könnten in den Hintergrund treten, die Polarisierung zunehmen.
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In Umfragen erreicht die AfD derzeit höchste Zustimmung, teilweise liegt sie mit 19 Prozent auf Platz zwei. Bundessprecherin Alice Weidel hat für die nächste Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten angekündigt – überrascht Sie das?
Nein, es ist auf gewisse Weise konsequent, denn mit der Ankündigung, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, hat man die Aufmerksamkeit wieder einmal auf seiner Seite, hat eine höhere Sichtbarkeit und kann im Wahlkampf eine ganz andere Welle schieben, als wenn man nur als normaler Wettbewerber auftritt. Es ist auf jeden Fall ein kluger Schachzug zu diesem Zeitpunkt.
Was bedeutet das jetzt für den politischen Wettbewerb?
Die AfD macht mit dieser Ankündigung deutlich: Wir sind nicht irgendeine subalterne Partei, sondern wir sind eine, die auf Augenhöhe mit den Großen spielt, die für sich in Anspruch nimmt, das große Ganze zu thematisieren. Indem sie die Machtfrage auf diese Weise konstituiert, zieht sie auch mit ihren rechten Schwesterparteien in Italien, Frankreich und in vielen anderen europäischen Ländern gleich, die diese Strategie in den letzten Jahren bereits mit unterschiedlichem Erfolg verfolgt haben.
Das hängt aber auch vom jeweiligen Kandidaten ab.
Die Auswahl des Kandidaten oder der Kandidatin ist maßgeblich dafür, ob diese Strategie zu ihren Gunsten ausgehen kann. Wenn Sie jetzt einen Extremisten aufstellen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Polarisierung und einer Bekämpfung der AfD sehr hoch. Das könnte aber auch in ihrem Interesse sein, weil dann der gesamte Wahlkampf durch die Gegenmobilisierung von einer Art Volksfront-Mentalität überlagert werden könnte.
Alle gegen eine Person – das würde den Wahlkampf stark polarisieren.
Das wäre für den politischen Wettbewerb in Deutschland nicht gut, denn dieser sollte sich um das Gelingen der vielfältigen Transformationen drehen; vor allem darum, wie wir den Klimawandel stoppen, die Wirtschaft wieder ankurbeln und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt hinbekommen. Durch eine Kandidatur der AfD könnte all das in den Hintergrund treten, weil sich alles auf die Verhinderung des AfD-Kandidaten konzentrieren könnte. Das wäre für eine vulnerable Wirtschaftsnation wie die Bundesrepublik Deutschland nicht gut.
Was, wenn die Partei einen aus ihrer Sicht moderaten Kandidaten aufstellt?
Diese Variante ist für die öffentliche Auseinandersetzung noch schwieriger, weil wenn auf diesen Kandidaten eingeschlagen würde, nicht nur die AfD, sondern auch Teile der Öffentlichkeit sagen könnten: ‚So kann man doch mit dem nicht umgehen, ist doch gar nicht so verkehrt, was er da und dort erzählt hat.‘
Es ist auf jeden Fall eine Gefahr für den Wahlkampf, weil alles zu sehr auf sie konzentriert wird und die realen zentralen Themen, die wir lösen müssen, fallen eher hinten runter.
Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler
Die AfD wäre dann wieder in ihrer Opferrolle.
Der Opferstatus könnte auch noch mal zusätzliche Solidarisierung und Mobilisierungs-Effekte freisetzen. Aber ob das am Ende zugunsten der AfD ausgeht, ist eine offene Frage. Es ist auf jeden Fall eine Gefahr für den Wahlkampf, weil alles zu sehr auf sie konzentriert wird und die realen zentralen Themen, die wir lösen müssen, fallen eher hinten runter.
Welche Bedeutung hat das für die anderen Parteien, CDU/CSU sind jetzt schon massiv unter Druck.
Am stärksten unter Zugzwang kommen CDU, FDP und Linke. Je nachdem, welcher AfD-Kandidat und welche Themenschwerpunkte er hat, kann er in die Wählerschaft dieser Parteien ein Stück weit hineinwirken. Aber die Hauptposition unserer Beobachtungen nach den letzten Wahlen und auch bei den aktuellen Umfragen ist: Es gibt kaum Bewegungen von den etablierten Parteien zur AfD. Die Chance liegt für sie gegenwärtig wieder beim nicht ausgeschöpften Nichtwähler-Potenzial, wenn ein entsprechender Kandidat dieser Gruppe der Unzufriedenen ein Angebot macht, um deren Unzufriedenheit und Zorn zu artikulieren.
Abgesehen davon sind die Aussichten für die AfD schlecht, weil sich keine Partei vorstellen kann, mit ihr zusammenzuarbeiten.
Die AfD hat keine Machtperspektive. Aber es geht ihr ja auch nicht darum, das Kanzleramt einzunehmen. Das ist auch gar nicht der Zweck dieser personalisierten Kanzlerkandidatur, sondern ihr geht es um Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit, Mobilisierungsfähigkeit und Kampagnenfähigkeit. Vor allem die fernseh-mediale Aufmerksamkeit ist entscheidend für den Bundestagswahlkampf. Mit einem eigenen Kanzlerkandidaten erreicht man eine zusätzliche Aufmerksamkeit.
Wie stark diese ist, hängt davon ab, wie die Medien einen AfD-Kandidaten in ihren Formaten berücksichtigen. Im Kern zielt die AfD also auf den zornigen Teil des Nichtwählerlagers, das könnte übrigens für einen radikalen Kandidaten sprechen.
Björn Höcke, Landessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen. © dpa/Heiko Rebsch
Also ein Björn Höcke?
Es muss kein Rechtsextremist sein, aber schon jemand, der eine stark populistische Rhetorik und emotionalisierende und mobilisierende Art hat.
Konkurrenz könnten sie auch von einer Wagenknecht-Partei bekommen, die im gleichen Wählerteich fischt.
Da ist teilweise eine Schnittmenge im Wählerpotenzial vorhanden. Wagenknecht schielt aber auf die Europawahlen, was aus ihrer Sicht der letzte Anker ist, um sich eigenständig politisch zu institutionalisieren. Eine Bundestagswahl mit einer scharfen AfD-Polarisierung könnte sich zu ihren Gunsten auswirken.
Die AfD schöpft einen nicht unwesentlichen Teil aus den unteren Schichten, aber in der sozioökonomischen Frage ist sie neoliberal aufgestellt und in der soziokulturellen sehr völkisch, national orientiert. Dagegen bedient die Wagenknecht-Konstellation die soziokulturellen Fragen weniger völkisch, sondern eher in Richtung von Anti-Wokeness und eines sozialen Nationalismus. Dies bedeutet auch, dass sie im sozioökonomischen Bereich stark links ausgerichtet ist.
Wenn ein AfD-Kanzlerkandidat schon keine Machtperspektive hat, welchen Mehrwert erhält die Partei dann?
Der Mehrwert für die AfD ist sicher Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Das Schlachtengemälde des Wahlkampfs, das bei der Bundestagswahl 2025 entstehen könnte, hängt nicht nur von der Aufstellung der AfD ab, sondern von der Gegenaufstellung des demokratischen Lagers. Dies könnte jedoch für die wirklich wichtigen und dringlichen Probleme dieses Landes negative Konsequenzen haben. Deshalb ist die Initiative der AfD brisant.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de