Ist sie nicht süß, die kleine Maus?: Verschont uns mit lästigen Urlaubs- und Familienfotos
© Tagesspiegel/Thilo Rockeis
Auf jedes lange Wochenende folgt eine Flut an vermeintlich niedlichen und spannenden Handyfotos. Unsere Kolumnistin fragt sich, woher der Mangel an Schamgefühl kommt.
Eine Kolumne von
Heute Morgen sah ich mir die Unmengen an Fotos an, die im Laufe des Pfingstwochenendes auf meinem iPhone angekommen sind. Was für eine reiche Ausbeute: drei Sonnenuntergänge (einer davon im Azurblau eines Schwimmbads gespiegelt), Blumenbeete aus allen erdenklichen Blickwinkeln, zwei romanische Kirchen, eine Moschee und ein Jahrmarkt, ein Hund mit Brille auf dem Gepäckträger einer Vespa in Paris, zwei windgepeitschte Strände, ein Teller mit Krebsen und mindestens sieben Selfies mit eingefrorenem Lächeln.
Fünfzehn (!) Fotos von der Erstkommunion des Enkelsohns der Lebensgefährtin meines Bruders. Nach der Kirche heben die Gäste an einer langen Tafel randvoll gefüllte Champagnergläser in meine Richtung. Sie lächeln mich an. Ich kenne keinen von ihnen. Kein Wunder: Ich habe weder das Kommunionkind noch seine Onkel oder Tanten zuvor je gesehen, nicht die vielen Cousins, das andere Großelternpaar und schon gar nicht die vor sich hin dösende Urgroßmutter am Ende des Tisches.
Wenn ich nachts von meinem Fenster aus in den Himmel blicke, stelle ich mir vor, wie die Satelliten im Zickzack durch die Gegend flitzen, um all diese Fotos zu liefern. Dort oben über den Dächern fliegt gerade die Großtante meiner Schwägerin vorbei, und das jüngste Kind meiner Cousine Caroline schwirrt in die Ferne davon.
Pascale Hugues ist französische Journalistin und lebt in Berlin. Alle zwei Wochen schreibt sie hier über ihre Wahlheimat.
Was treibt all diese Leute dazu, persönliche Fotos zu verschicken, ohne darüber nachzudenken, ob sie den Empfänger überhaupt interessieren? Können sich die verliebten Großeltern nicht denken, dass die Ballettaufführungen ihrer Enkelin – Ist sie nicht süß, die kleine Maus in ihrem rosa Tutu? – nur für sie zum Dahinschmelzen sind?
Dieser Mangel an Schamgefühl macht mich sprachlos. Ist es grenzenloser Narzissmus? Oder das Bedürfnis, Neid zu wecken – Schau nur, wie viel Spaß wir haben, während du arbeitest! Sieh nur, wie meine große Familie so eng zusammenhält und so liebevoll ist!
Ist es die Unfähigkeit, die eigene Freude, den Stolz oder einfach Gefühle im Allgemeinen zu zügeln? Ehrlich gesagt traue ich mich an verlängerten Wochenenden nicht mehr, mein WhatsApp zu öffnen. Und ich fürchte mich schon vor den Sommerferien.
Übersetzung aus dem Französischen: Odile Kennel
Es folgt der französische Text im Original:
Je passais en revue ce matin la moisson de photos glanées sur mon i-phone au cours du week-end de la Pentecôte. Quelle généreuse récolte : trois couchers de soleil (dont l’un se dédoublait dans l’eau bleu azur d’une piscine), des massifs de fleurs sous tous les angles, deux églises romanes, une mosquée et une fête foraine, un chien à lunettes assis sur le porte bagage d’une vespa à Paris, deux plages battues par les vents, une assiette de crustacés et au moins sept selfies de sourires figés.
Quinze ! photos de la première communion du petit fils de la compagne de mon frère. Après l’église, une longue tablée de convives levait vers moi des coupes de Champagne pleines à ras bord. Ils me souriaient. Je n’en reconnaissais aucun. Pas étonnant : Je n’ai jamais rencontré, ni le petit communiant, ni ses oncles, ni ses tantes, si sa floppée de cousins, ni son autre paire de grands-parents et encore moins cette arrière-grand-mère somnolente écroulée sur sa chaise en bout de table.
Quand la nuit je scrute le ciel du haut de ma fenêtre j’imagine les satellites zigzaguant dans tous les sens pour aller livrer toutes ces photos. Voilà la grand-tante de ma belle-sœur qui passe au-dessus des toits et le petit dernier de la cousine Caroline qui s’envole au loin.
Je vous avoue que je n’ose plus ouvrir ma messagerie What’s up pendant les longs week-ends. Et je redoute déjà les vacances d’été. Qu’est-ce qui motive tous ces gens à envoyer des photos si intimes sans même se rendre compte du peu d’intérêt qu’elles vont forcément susciter chez leur destinataire ? Ces grands-parents énamourés ne réalisent-ils donc pas que les spectacles de ballet de leur petite fille – Ist sie nicht süss, die kleine Maus in ihrem rosa Tutu? – ne fait fondre qu’eux ? Ce manque de pudeur me laisse bouche bée.
Exhibitionnisme ? Besoin de susciter l’envie- regardez comme on s’amuse pendant que vous bossez ! Regardez ma grande famille si unie, si aimante ! Incapacité à brider sa joie, sa fierté ou tout simplement ses émotions ? Quoi qu’il en soit, pour le week-end de Fronleichnam, je n’ouvre pas mon portable.
- ‘’Mon Berlin’‘
- Familie
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de