Instinkt zum Schwänzeltanz: Auch Bienen müssen in die Tanzschule
© Heather Broccard Bell
Instinkt zum Schwänzeltanz: Auch Bienen müssen in die Tanzschule
Talent zum Schwänzeltanz hat jede Biene. Doch damit Artgenossen die getanzten Wegbeschreibungen zu Futterquellen verstehen, werden Jungbienen geschult.
Von Alice Lanzke, dpa
Honigbienen werden mit der einzigartigen Fähigkeit zum Schwänzeltanz geboren, mit dem sie Nestgenossinnen den Weg zu Nektarquellen weisen. Um möglichst fehlerfrei tanzen zu können, müssen sie aber älteren Tieren zugeschaut, also von ihnen gelernt haben.
Das berichten Forscher im Fachblatt „Science“. Ihnen zufolge prägt soziales Lernen die Kommunikation von Honigbienen ebenso wie die von menschlichen Kleinkindern, Vögeln und zahlreichen anderen Wirbeltierarten.
Auf den ersten Blick herrscht in Bienenstöcken ein unübersichtliches Chaos, in dem die Insekten scheinbar planlos durcheinander wuseln. Tatsächlich aber steckt in einigen der Bewegungen eine komplexe und hochentwickelte Form der Kommunikation: Mittels ihres Schwänzeltanzes teilen erfolgreiche Sammlerinnen ihren Nestgenossinnen mit, wo sie Nektar gefunden haben. Dafür bewegen sich die Bienen in einem Achtermuster und wackeln mit dem Hinterleib.
Tanzinstinkt allein reicht nicht
Die schnellen Tänze weisen auf Entfernung, Richtung und sogar Qualität der Futterquelle hin. Ein Team um die Biologen Shihao Dong von der Chinese Academy of Sciences und James Nieh von der University of California hat diese Kommunikation nun genauer untersucht und dabei eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Die Experimente ergaben, dass der Bienentanz zwar eine genetische Komponente hat, so dass die Insekten instinktiv dazu in der Lage sind. Für möglichst fehlerfreie Tänze müssen sie allerdings von älteren, erfahrenen Tieren lernen.
Konkret legten die Wissenschaftler Kolonien mit Westlichen Honigbienen (Apis mellifera) an, die alle einen Tag alt waren und keine Gelegenheit bekamen, den Schwänzeltanz älterer Nestgenossinnen zu beobachten. Als Kontrollkohorte dienten Kolonien, in denen der Nachwuchs erfahrenen Tänzerinnen zuschauen konnte.
Die Insekten ohne Vorbilder begannen zwar im typischen Alter von ein bis zwei Wochen mit dem Tanzen, machten dabei allerdings erhebliche Fehler in Bezug auf Entfernung und Richtung der angezeigten Futterquelle. Während sich die Richtungsgenauigkeit mit wachsender Erfahrung der Insekten verbesserte, überschätzten sie die Entfernung in ihren Tänzen während ihres gesamten Lebens.
Lokale Dialekte beim Tanzen
Eben jene Entfernungscodierung ist wichtiger Teil unterschiedlicher „Tanzdialekte“: Eine Studie unter Beteiligung von Forschern der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hatte 2020 gezeigt, dass nicht nur verschiedene Bienenarten, sondern auch Bienenvölker der gleichen Art in unterschiedlichen Regionen verschieden lang tanzen, um die gleiche Entfernung anzuzeigen.
Wie die Autoren der aktuellen Studie nun zusammenfassen, entwickelten Bienen, die während ihrer kritischen frühen Lernphase nie andere Tänzerinnen beobachten konnten, einen neuen Dialekt, den sie für den Rest ihres Lebens beibehielten.
Die Ergebnisse lieferten den Beweis, dass soziales Lernen die Signalgebung von Honigbienen prägt, wie es auch bei der frühen Kommunikation vieler Wirbeltierarten der Fall sei. Umso wichtiger sei, dass jener frühe „Spracherwerb“ bei den Bienen nicht gestört werde, erklärt James Nieh: Mehrere Veröffentlichungen und Studien hätten gezeigt, dass Pestizide die kognitiven Fähigkeiten und die Lernfähigkeit von Honigbienen beeinflussen können.
„Daher könnten Pestizide ihre Fähigkeit beeinträchtigen zu lernen, wie man kommuniziert, und möglicherweise sogar die Art und Weise verändern, wie diese Kommunikation an die nächste Generation von Bienen in einem Bienenvolk weitergegeben wird“, sagt Nieh.
Die beiden Verhaltensbiologen Lars Chittka von der Queen Mary University of London und Natacha Rossi von der University of Sussex rücken zudem eine mögliche neue Perspektive auf das Verhältnis zwischen Instinkt und Lernen in den Fokus. In einem unabhängigen Kommentar zur Studie schreiben sie: „Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Instinkt standardmäßig der angestammte (oder primitive) Zustand ist und das Lernen weiter fortgeschritten ist.
Das Gegenteil wird seltener in Betracht gezogen: Individuelles Lernen könnte die Ursache für einige Verhaltensinnovationen sein, die nicht teilweise angeboren sind.“ Die aktuelle Arbeit ergänze die wachsende Zahl der Belege dafür, dass komplexe Verhaltensweisen nur selten vollständig angeboren seien.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de