Hähne können sich wohl im Spiegel erkennen: Nur wenige Tiere besitzen diese Fähigkeit
© Sonja Hillemacher/Uni Bonn Hähne können sich wohl im Spiegel erkennen: Nur wenige Tiere besitzen diese Fähigkeit
Um Aufschluss über die Selbstwahrnehmung von Tieren zu erhalten, wird klassischerweise der Spiegel-Test eingesetzt. In abgewandelter Form wurde er nun mit Hähnen durchgeführt.
Von Alice Lanzke, dpa
Neben Schimpansen, Delfinen und Elstern könnten möglicherweise auch Hähne in der Lage sein, sich selbst im Spiegel zu erkennen – zumindest dann, wenn der Spiegel-Test zur Selbsterkennung in einer abgewandelten Form durchgeführt wird. Das berichtet ein deutsches Forschungsteam im Fachblatt „PLOS One“.
Der Anfang der 1970er Jahre entwickelte Spiegel- oder Mark-Test soll Aufschluss geben über die Selbstwahrnehmung eines Testsubjekts. Dafür wird ihm eine Markierung an einer Stelle des Körpers angebracht, die es nur im Spiegel sehen kann, und dann das Verhalten beobachtet: Erkundet das Testsubjekt die markierte Stelle am Körper vor dem Spiegel oder versucht es, sie abzureiben, gilt das als Beleg dafür, dass es sein Spiegelbild als sich selbst erkennt.
Kinder bestehen diesen Test ab einem Alter von 24 Monaten. Im Tierreich gibt es allerdings nur wenige erfolgreiche Arten. So schaffen einige Menschenaffen wie Schimpansen und Orang-Utans den Test, ebenso Delfine, Asiatische Elefanten, Elstern und überraschenderweise auch Putzerlippfische. Andere Tierarten, von denen man aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten erwarten könnte, dass sie ihr Antlitz im Spiegel erkennen, fallen indes durch.
Sonja Hillemacher (links) und Dr. Inga Tiemann (rechts) – im Hühnerstall auf dem Campus Frankenforst der Universität Bonn. © Volker Lannert/Uni Bonn
Dies könnte auch daran liegen, dass sich die Tiere in der „künstlichen“ Experimentalumgebung unwohl fühlen, spekulieren Forschende der Universitäten Bonn und Bochum, die den Spiegel-Test mit Hähnen durchführten. In der klassischen Variante bestanden die Hähne den Test tatsächlich nicht, sodass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Versuchsanordnung veränderten. „Unser Ziel war es, den Spiegel-Test in einer Umgebung durchzuführen, die dem ökologisch relevanten Verhalten der Hühner besser angepasst ist“, erläutert Inga Tiemann von der Universität Bonn.
Mitautor Onur Güntürkün, Professor für Biopsychologie an der Universität Bochum, kam auf die Idee, sich für das Experiment ein natürliches Verhalten des Federviehs zunutze zu machen: „Manche Hühner, aber insbesondere Hähne, warnen ihre Artgenossen durch spezielle Rufe, wenn ein Beutegreifer – etwa ein Greifvogel oder Fuchs – auftaucht.“ Ganz anders, wenn die Tiere allein sind: Dann bleiben sie stumm, um nicht die Aufmerksamkeit des Raubtiers auf sich zu ziehen. „Der Alarmruf ist das perfekte Verhalten, um es in einen ökologisch besser angepassten Test zur Selbsterkenntnis zu integrieren“, so Güntürkün.
Manche der Tiere sind mutiger
Zunächst testete das Forschungsteam, ob sich diese Verhaltensunterschiede wirklich bei den Vögeln zeigten, indem sie in einer Testarena, in der sich Hähne entweder allein oder getrennt durch ein Gitter mit einem Artgenossen befanden, einen Greifvogel an die Decke projizierten. Dieses Experiment wiederholten sie mit jedem der insgesamt 58 Hähne dreimal.
Das Ergebnis: In Anwesenheit eines Artgenossen stießen die Hähne 77 Alarmrufe aus, allein allerdings nur 17. „Manche der Tiere sind mutiger, andere ängstlicher“, sagt Ko-Autorin Sonja Hillemacher. „Das Ergebnis zeigt aber, dass die meisten Hähne tatsächlich in Anwesenheit eines Artgenossen warnen, wenn ein Fressfeind unterwegs ist.“
Im nächsten Schritt ersetzten die Forschenden das Gitter durch einen Spiegel und wiederholten den Versuch erneut mit jedem Tier dreimal. In dieser Anordnung ertönten bei 174 Versuchen nur 25 Warnrufe. „Das beweist, dass die Hähne in ihrem Spiegelbild keinen Artgenossen identifizierten“, erklärt Biologin Hillemacher. Das Ergebnis sei ein Indiz dafür, dass die Hähne sich möglicherweise selbst in ihrem Spiegelbild erkannten.
Auch andere Ursachen denkbar
Ebenso könnte es aber einen anderen Grund dafür geben, dass der Warnruf ausblieb. So könnten die Hähne in ihrem Abbild ein merkwürdiges Tier gesehen haben, „das sich nicht normal verhält und alle Bewegungen nachahmt und somit eine gedämpfte Reaktion hervorruft“, heißt es dazu in der Studie. Hier seien weitere Untersuchungen erforderlich, merkt Inga Tiemann an.
Noch dazu erfordere die Präsentation eines Raubtiers, das in der Natur schnell identifiziert werden müsse, eine rapide Informationsverarbeitung im Gehirn. „Dieser Zeitdruck bei der Informationsverarbeitung könnte auch zu einer fehlenden oder geringen Reaktivität gegenüber dem ,Fremden’ im Spiegel (…) führen“, so die Studie.
Unabhängig davon sehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihren Resultaten eindeutige Hinweise darauf, dass der klassische Spiegel-Markierungs-Test zuverlässigere Ergebnisse bringt, wenn das Verhalten der jeweiligen Tierart stärker berücksichtigt wird – ein Ansatz, der auch für andere Spezies von Bedeutung sein könnte.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Hühner deutlich zwischen ihrem eigenen Spiegelbild und der Betrachtung von anderen unterscheiden“, schließt die Studie. Der klassische Spiegel-Markierungs-Test habe diesen wichtigen Unterschied nicht aufdecken können, zudem machten die Daten eindrucksvoll deutlich, wie sehr Kognition ökologisch eingebettet sei. „Unsere Ergebnisse sprechen auch gegen eine einfache Unterteilung in das Vorhandensein oder Fehlen von Selbsterkenntnis und machen es wahrscheinlich, dass diese Fähigkeit nicht so exklusiv ist, wie ein halbes Jahrhundert angenommen wurde.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de