Großer Sieger mit kleinen Fragezeichen: Jonas Vingegaard gewinnt erneut die Tour de France

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Großer Sieger mit kleinen Fragezeichen: Jonas Vingegaard gewinnt erneut die Tour de France

© Imago/Belga Großer Sieger mit kleinen Fragezeichen: Jonas Vingegaard gewinnt erneut die Tour de France

Wie im Vorjahr setzt sich der schmächtige Däne beim härtesten Radrennen der Welt durch. Seine Dominanz ruft allerdings auch Skeptiker auf den Plan: Kann da wirklich alles mit rechten Dingen zugehen?

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Das Töchterchen auf dem Arm, ganz in Gelb gekleidet wie er auch, so zeigte sich Jonas Vingegaard im Backstage-Bereich des Siegerpodiums auf dem Markstein. Er hatte ein versonnenes Lächeln im Gesicht. Seine Tochter bei sich zu haben, war ihm in diesem Moment offenbar auch wichtiger als der gigantische Trubel der Tour de France.

Die ganz große Show hatte ihm am Samstag ohnehin jemand anderes gestohlen. Tadej Pogacar war – mal wieder – schneller bergauf gesprintet und hatte sich den Etappensieg geholt. Die Rundfahrt selbst gehört aber ganz Vingegaard. In Gelb fuhr er nach Paris ein und krönte sich damit zum zweiten Mal zum Toursieger.

Am Sonntag rollte er beim Sieg von Jordi Meeus vom deutschen Team Bora-hansgrohe im Peloton über den letzten Zielstrich der 110. Frankreich-Rundfahrt.

Dabei bezwang er nun zweimal nacheinander in Pogacar den Radprofi, den alle für den aktuell besten der Welt halten und den selbst Eddy Merckx als den „kompletteren Fahrer“ bezeichnet. Als Adelsschlag dürfen aber beide Stars für sich verbuchen, dass der fünfmalige Toursieger von ihrem Duell so begeistert war, dass er meinte: „Ich hätte es wirklich geliebt, selbst bei dieser Tour mitzufahren.“

Nun gut, so weit ist die medizinische Forschung noch nicht, dass sie einen Merckx-Klon gegen Vingegaard und Pogacar ins Rennen bringen könnte. Aber wer ist der Mann, der nicht nur den Überfahrer Pogacar zum zweiten Mal bezwingen und dabei auch noch das Herz des alten Heroen Eddy Merckx gewinnen konnte?

Er stammt aus Jütland, spielte dort Fußball und Handball. Als „klein, schüchtern und zurückhaltend“ erinnern sich Klassenkameraden an ihn, die von der dänischen Boulevardzeitung BT aufgesucht wurden. Radsport hat er aber schon immer geliebt. Und als er dann ein Rennen, bei dem der immerhin bis zu 13 Prozent ansteigende Hügel Pøt Mølle nahe der dänischen Ortschaft Hammel gleich mehrfach erklommen werden musste, gewann, hatte er auch schnell einen Vertrag als Halbprofi bei ColoQuick.

Vingegaard kam anfangs nicht mit dem Stress klar

Das ist ein Rennstall mit dualem Ausbildungsweg. „Wir achten darauf, dass unsere Fahrer entweder arbeiten oder eine Ausbildung machen. Sie sollen über Alternativen verfügen, denn nicht jeder schafft den Sprung zum Profi“, erläuterte Christian Moberg Jorgensen, damals Fahrer und später Trainer bei ColoQuick, das Konzept. Vingegaard wurde zur Frühschicht in die Fischfabrik gesteckt. Nachmittags trainierte er. „Ich denke, das frühe Aufstehen, die Arbeit in der Fabrik und das daran angeschlossene Training haben mir bei meinen nächsten Schritten geholfen“, sagte er später.

Die Tür in den internationalen Radsport schlug er mit einer Rekordfahrt im Trainingslager in Spanien auf. Jumbo-Visma verpflichtete den begabten jungen Mann. Erfolge wie ein Etappensieg bei der Polen-Rundfahrt im Jahr 2019 wechselten sich aber mit Rückschlägen ab. „Ich kam einfach mit dem Stress nicht klar, konnte nicht die Leistung abrufen, zu der ich in der Lage war“, erinnert sich Vingegaard an diese Zeit.

Großer Sieger mit kleinen Fragezeichen: Jonas Vingegaard gewinnt erneut die Tour de France

Vingegaard hat nach der Tour noch viel vor, er plant einen Start bei der Spanien-Rundfahrt im Spätsommer. © dpa/David Pintens

Der Unschwung kam in der Pandemiesaison 2020. „Jonas bereitete sich im Höhentrainingslager gemeinsam mit Primoz Roglic auf die Vuelta vor. Und er brachte da solche Leistungen, dass Primoz zu ihm sagte: ‚Eines Tages kannst du eine Grand Tour gewinnen‘“, erinnerte sich Artur van Dongen, der Sportliche Leiter bei Jumbo-Visma. Vingegaard sicherte Roglic‘ zweiten Vuelta-Sieg ab. 2021 wurde er als Back-Up des Slowenen bei der Tour de France Gesamtzweiter. Im vergangenen Jahr gewann er dann erstmals. Und auch an diesem Sonntag war der Platz auf dem obersten Podest auf den Champs Elysees für ihn reserviert.

Was ihm dabei neben eigener physischer Kraft und Willensstärke sowie einer beeindruckenden Teamleistung von Jumbo-Visma noch so alles half, ist unklar. Auf Ketone, jene Kraft spendenden Nahrungsergänzungsmittel, die sein Rennstall gern einsetzt, verzichtet der Däne nach Aussage von Rennstallchef Richard Plugge. Und auch beim aktuell letzten Schrei im Profisport gerät er offenbar nicht in Versuchung. Es handelt sich dabei um Schilddrüsenhormone.

Schilddrüsenhormone sollen im Peloton weit verbreitet sein

Im Peloton seien sie verbreitet, erzählten im Frühjahr anonym einige Profis dem Magazin Wielerflits. „Damit kannst du fliegen“, wurde ein Profi zitiert. Als „eine Art Superbenzin“ bezeichnete es ein anderer. Er betonte auch, dass es beim Abnehmen helfe, dabei aber die Muskulatur erhalten bleibe. Diese Effekte können Schilddrüsenhormone tatsächlich haben. Denis Biró setzt als Internist solche Medikamente bei Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion ein. „Bei ihnen ist der Energie-Grundumsatz des Körpers verringert. Sie sind schneller erschöpft und träge“, erklärt der Arzt, der zugleich Verbandsarzt des Bundes Deutscher Radfaher ist.

Weil Schilddrüsenhormone als „Kraftwerk des Körpers“ gelten, interessiert sich auch der Profisport dafür. Muhammed Ali nahm sie. Im Nike-Oregon-Projekt des mittlerweile wegen Doping gesperrten Leichtathletiktrainers Alberto Salazar wurden sie eingesetzt.

„Gerade der Effekt des schnelleren Einbaus von Glykogen, also einer Speicherform von Kohlenhydraten, in Leber und Muskeln macht das Schilddrüsenhormon interessant auch für lange Rundfahrten und ganz allgemein im Training. Es sorgt für eine schnellere Regeneration, man hat auch eine bessere mentale Verfassung und ist allgemein besser trainierbar“, schätzt Biró ein.

Er rät aber strengstens ab, es zur Leistungssteigerung einzusetzen. „Es kann bei falscher Anwendung Herzrhythmusstörungen auslösen und sogar zu Osteoporose führen“, warnt er.

Auf der Verbotsliste der Weltantidopingagentur steht das Mittel nicht. Jonas Vingegaard sagte auf Nachfrage, dass er solche Präparate nicht kenne, geschweige denn nähme. Dass er sie nicht kennt, verblüfft etwas. Dass er sie nicht nimmt, ist Glaubenssache. Er führte auch wieder seine Tochter ins Spiel. „Ich nehme nichts, was ich nicht auch meiner Tochter geben würde“, beteuerte er. Eine starke Aussage, an der er sich messen lassen wird.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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