Gekommen, um überall zu bleiben: Weltbiodiversitätsrat warnt vor invasiven Arten
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Gekommen, um überall zu bleiben: Weltbiodiversitätsrat warnt vor invasiven Arten
Eingeschleppte Pflanzen und Tiere bedrohen andere Arten und menschliche Lebensgrundlagen. Eine globale Bestandsaufnahme zeigt auf, wie sie kontrolliert werden könnten.
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Man denkt an den amerikanischen Waschbären, der Vogelnester in brandenburgischen Wäldern ausnimmt, vielleicht an die kanadische Goldrute, die in Gärten und auf Böschungen wuchert. Manchen fallen Feuerfische ein, die aus dem Aquarium im Restaurant, die drohen Mittelmeer- und andere Meeresgebiete leer zu fressen, in die sie gar nicht gehören.
Doch die Probleme, die vom Menschen in andere Ökosysteme eingeschleppte Arten von Pflanzen und Tiere weltweit verursachen, sind größer – viel größer. Es ist eine Hauptaussage eines am Montag veröffentlichten Berichts des Weltbiodiversitätsrates: Invasive gebietsfremde Arten bedrohen die Natur, die Leistungen der Natur für den Menschen und seine Lebensqualität.
423Milliarden US-Dollar sind allein im Jahr 2019 durch biologische Invasionen an wirtschaftlichen Schäden entstanden.
Aber die Bedrohung werde nicht anerkannt, unterschätzt oder gar nicht wahrgenommen, resümiert das Gremium. Dabei nimmt die Zahl der vom Menschen verpflanzten Arten derzeit so schnell zu wie nie zuvor – und das praktisch überall. Es wurden aber auch schon erfolgreiche Maßnahmen ergriffen, die Ausbreitung invasiver Arten zu begrenzen und sie zu bekämpfen, wo sie Schaden anrichten. „Invasive Arten sind ein globales Problem, aber dieser Bericht zeigt, dass es sich lokal auswirkt und das alltägliche Leben vieler Menschen beeinflusst“, sagt IPBES-Sekretärin Anne Larigauderie zur Veröffentlichung am Montag in Bonn.
Kontrollen kosten wenig
Dass Pflanzen und Tiere neue Lebensräume erreichen, ist für viele von ihnen eine Überlebensstrategie. „Natürliche Systeme sind von Natur aus dynamisch“, sagt Sven Bacher, Ökologe an der Universität Freiburg, und leitender Autor des Berichtskapitels „Ökologische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen“. Menschen seien aber existenziell abhängig von natürlichen Systemen. Wenn man der Natur Zeit gebe, eine Million Jahre, würden sich neue stabile Zustände einstellen. „Aber diese Zeit haben wir nicht“, sagt Bacher. „Es ist in unserem eigenen Interesse, die Systeme so zu halten, dass wir sie verstehen und wissen, wie wir sie nachhaltig nutzen können.“
Vorbeugung ist die beste und kostengünstigste Option, aber auch Ausrottung, Eindämmung und Kontrolle sind in bestimmten Situationen wirksam.
Aníbal Pauchard, Co-Vorsitzender des IPBES-Berichts
„Die gute Nachricht ist, dass es für fast alle Umstände und Situationen Management-Maßnahmen, Entscheidungsoptionen und gezielte Eingriffe gibt, die wirklich funktionieren“, sagt Aníbal Pauchard vom Institut für Ökologie und Biodiversität in Chile. Er leitete zusammen mit Helen Roy vom britischen Zentrum für Ökologie und Hydrologie und Peter Stoett von der Universität von Ontario in Kanada das Autor:innen-Team. Vorbeugung ist laut des Berichts die beste und kostengünstigste Option. „Aber auch Ausrottung, Eindämmung und Kontrolle sind in bestimmten Situationen wirksam“, sagt Pauchard.
Mit Präventionsmaßnahmen zu verhindern, dass Pflanzen und Tiere überhaupt in neue Gebiete transportiert werden, hat sich dem Bericht zufolge in vielen Fällen bewährt. Dazu gehören etwa streng durchgesetzte Einfuhrkontrollen an Ländergrenzen. In Australien und Asien konnte die Ausbreitung der Marmorierten Baumwanze (Halyomorpha halys) eingedämmt werden, die an verschiedenen landwirtschaftlich wichtigen Früchten saugt.
Die Wasserhyazinthe Pontederia crassipes ist die weltweit am stärksten verbreitete invasive Blütenpflanze.
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In Afrika, Asien und Lateinamerika werden Kleinbauern mit dem Programm „PlantwisePlus“ dabei unterstützt, neue pflanzliche und tierische Schädlinge zu erkennen und sie nachhaltig zu bekämpfen. Das Programm sei beispielhaft für Überwachungsstrategien für neue, gebietsfremde Arten.
Ausrottung, mal anders
Vorsorge, frühzeitige Erkennung und rasche Reaktion könnten vor allem Meeres- und Gewässersysteme schützen. Darunter fällt etwa die Bekämpfung von Feuerfischarten, die ursprünglich im Pazifik vorkommen, aber in den Atlantik und das Mittelmeer eingeschleppt wurden. Nach dem Motto „Wir können sie nicht schlagen, aber wir können sie essen“ wird etwa in den USA angeregt, die Fische zu jagen und – ihrer giftigen Flossenstrahlen beraubt – zuzubereiten.
Dass es gelingt, die Feuerfische außerhalb ihrer natürlichen Verbreitungsgebiete auszurotten, ist fraglich. Doch Ökosystemen ist auch damit geholfen, die Populationen invasiver Arten zu kontrollieren.
Auch ohne die Einführung neuer gebietsfremder Arten werden sich die bereits etablierten weiter ausbreiten.
Helen Roy, Co-Vorsitzende des IPBES-Berichts
Bei einigen Arten hat sich gezielte Ausrottung jedoch als erfolgreich und kosteneffizient erwiesen, berichten die Wissenschaftler:innen, insbesondere bei kleinen und sich langsam ausbreitenden Populationen in isolierten Ökosystemen wie Inseln. Beispiele gibt es in Französisch-Polynesien, wo die Hausratte (Rattus rattus) und das Kaninchen (Oryctolagus cuniculus) vollständig zurückgedrängt wurden. Bei Pflanzen ist das Unterfangen schwieriger, da Samen lange Zeit im Boden überdauern können. Mit der Unterstützung von Indigenen, lokalen Gemeinschaften und Interessengruppen steigen die Aussichten auf Erfolg.
Hausratten gelangten mit Seefahrern auch auf entlegene Inseln.
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Auch biologische Bekämpfung kann funktionieren, zumindest überwiegend: Im Bericht wird das Beispiel eines Rostpilzes (Puccinia spegazzinii) genannt, der zur Bekämpfung der Bitteren Weinrebe (Mikania micrantha) im asiatisch-pazifischen Raum eingeführt wurde – in mehr als 60 Prozent der bekannten Fälle mit Erfolg.
Bekämpfen, um Vielfalt zu erhalten
Es erscheint widersinnig, gegen Pflanzen und Tiere vorzugehen, um Natur zu schützen. Doch invasive Arten wurden bereits im IPBES-Bericht von 2019 als Treiber des globalen Artensterbens identifiziert – neben der sich verändernden Land- und Meeresnutzung, der direkten Ausbeutung von Organismen, dem Klimawandel und der Umweltverschmutzung. Daraufhin wurde IPBES mit dem aktuellen Bericht beauftragt.
„Invasive Arten haben entscheidend zum von uns erfassten Aussterben von Pflanzen oder Tieren beigetragen und es bei etwa jeder sechsten Art allein verursacht“, sagt Pauchard. 218 invasive Arten waren für lokales Aussterben von mehr als 1200 ansässigen Arten verantwortlich. Bei 85 Prozent der biologischen Invasionen waren die Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna negativ. Beispiele dafür sind die Lebensraumveränderungen, die der nordamerikanischen Biber (Castor canadensis) in Gebieten in Südamerika oder die Pazifische Auster (Magallana gigas) unter anderem in der Nordsee herbeiführen.
Bericht mit politischer Mitwirkung
86 Expertinnen und Experten aus 49 Ländern haben für den Bericht in vier Jahren mehr als 13.000 wissenschaftliche Studien und weitere Quellen gesichtet und die Ergebnisse zusammengeführt. In der vergangenen Woche haben die Fachleute mit Vertretern der 143 Mitgliedsregierungen in Bonn die Zusammenfassung des Berichts für politische Entscheidungsträger fertiggestellt. Das Prozedere ist angelehnt an das umständliche Veröffentlichungsverfahren des Weltklimarates IPCC. Die nicht immer nur konstruktive Beteiligung der Regierungen gewährleistet eine gewisse politische Schlagkraft des veröffentlichten Berichts.
Es geht darum, die zusehends wachsende Bedrohung auf politischen Tagesordnungen weiter nach oben zu rücken – global, national, regional. Der Bericht soll Wissenslücken schließen und Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen, aber auch „Entscheidungsfindungen unterstützen“, so der achtsame UN-Sprech, um die Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten zu mindern. Die Autor:innen schätzen weltweit verursachte Schäden auf 423 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019, mit einer Vervierfachung jedes Jahrzehnt seit 1970. „Aber die Summe wird damit grob unterschätzt“, sagt Roy. Nicht alle Informationen über finanzielle Einbußen wie etwa größerer Arbeitsaufwand für das Jäten in der Landwirtschaft könnten erfasst werden.
Peter Stoett, Helen Roy und Aníbal Pauchard (von links) haben die Berichterstellung geleitet.
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„Eine der wichtigsten Botschaften des Berichts ist, dass Fortschritte bei der Bekämpfung invasiver gebietsfremder Arten möglich sind“, sagt der Co-Vorsitzende Peter Stoett. „Was wir brauchen, ist ein kontextspezifischer integrierter Ansatz, länderübergreifend und innerhalb der verschiedenen Sektoren.“ Hauptforderung des Berichts sind kohärente politische Gegenmaßnahmen.
Zwar haben sich vier von fünf Ländern Ziele gesetzt, gegen invasive Arten vorzugehen, aber nur eines von fünf habe entsprechende Gesetze beschlossen oder Regulierungen getroffen. Fast die Hälfte aller Länder plant derzeit keinerlei Mittel ein. Dadurch steigt auch das Risiko, mit dem sich invasive Arten über Landesgrenzen hinweg ausbreiten. Denn das ist zu erwarten.
Wandelröschen gehören zu den weltweit am stärksten verbreiteten invasiven Arten, auch als Zierpflanze für Balkon und Garten.
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„Die Aussichten sind besorgniserregend“, sagt Co-Vorsitzende Helen Roy. Etwa 37.000 Arten von Pflanzen und Tieren wurden bislang in ihnen zuvor nicht zugängliche Ökosysteme bewusst eingebracht oder eingeschleppt. Nur ein kleiner Teil davon wird auch als „invasiv“ bezeichnet, weil er negative Auswirkungen auf den neuen Lebensraum hat, weltweit insgesamt etwa 3500 Arten.
Mit dem weltweiten Handels- und Reiseverkehr werde die Zahl verbreiteter Arten zunehmen, erwarten die Wissenschaftler:innen. „Auch ohne die Einführung neuer gebietsfremder Arten werden sich die bereits etablierten weiter ausbreiten“, sagt Roy. „Gerade in den reichen Ländern sollten wir uns bewusst machen, dass das, was wir hier tun, unsere Reisen, unsere Online-Einkäufe, dazu beitragen, dass in anderen Weltregionen Probleme mit invasiven Arten auftreten“, sagt Berichtsautor Bacher. Und nicht alle seien in der Lage, negative Auswirkungen auszugleichen.
Im Dezember letzten Jahres haben sich Regierungen weltweit jedoch darauf geeinigt, die Einführung und Ansiedlung gefährlicher invasiver Arten bis 2030 um mindestens die Hälfte zu reduzieren. „Das ist eine wichtige, aber auch sehr ehrgeizige Verpflichtung“, sagt IPBES-Sekretärin Anne Larigauderie. Der neue Bericht liefere Instrumente und Optionen, die dazu beitragen könnten, diese Verpflichtung zu erfüllen.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de