FDP-Wahlkampfauftakt in Bayern: Brüllen für die letzte Chance
© Action press/Zuma Wire/Sachelle Babbar FDP-Wahlkampfauftakt in Bayern: Brüllen für die letzte Chance
Die FDP in Bayern kämpft um den Wiedereinzug ins Landesparlament. Würde sie es schaffen, wäre die Überraschung riesig.
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Als Christian Lindners Stimme so kratzig wird, dass sie ihm beinahe auf der Bühne versagt, regt er sich gerade über Markus Söder auf. Söder, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, hat gerade gefordert, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel zu streichen. 13,6 Milliarden Euro würde das kosten, sagt Lindner, die er „ganz sicher“ nicht mit der Gießkanne verteilen würde, hätte er sie, sondern in Zukunftsinvestitionen stecken würde. „Klimaschutz, Bildungsaufgaben“, krächzt er ins Mikrofon.
Der Odeonsplatz in München, strahlender Sonnenschein, die FDP hat zum Wahlkampfauftakt geladen. Lindner spricht erst wenige Minuten, als er sich das erste Mal in Rage redet. Klimaaktivistinnen und Aktivisten verteilen Falschgeld, rufen Parolen. „Wer laut brüllt, verbraucht mehr CO₂“, sagt Lindner. Die Letzte Generation fordere „ein Tempolimit für Deutschland, während die Volksrepublik China bis zum Jahr 2030 noch Kohlekraftwerke baut“. Lindner brüllt ins Mikrofon: „Ganz großer Ärger für ganz kleines Denken.“
Die bayerische FDP muss kämpfen, das zeigt schon der frühe Wahlkampfauftakt. Zu 5,1 Prozent hat es bei der Landtagswahl 2018 gereicht, mehr war auch vor der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene nicht drin. Viele hier glauben, ein Wiedereinzug sei eher unwahrscheinlich. Würden sie es schaffen, es würde an ein Wunder grenzen. Seit 1974 ist es der FDP Bayern nicht mehr gelungen, in zwei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden im Landtag vertreten zu sein. Und nun, ausgerechnet, in Zeiten des Ampel-Dauerstreits soll es gelingen?
Die Stimme als Symbol
Da wirkt es beinahe symbolhaft, dass Lindners Stimme beginnt, ihm den Dienst zu versagen. Für einen Politiker muss es furchtbar sein, auf der Bühne zu stehen und fast nicht mehr sprechen zu können. Doch Lindner nimmt es gelassen. „Ich hab noch Wasser“, sagt er, aber es sei „rein physiologisch“. Da müsse man jetzt durch. „Die Zweitstimme steht nur am Wahltag zur Verfügung“, witzelt er.
Es gibt noch eine Besonderheit in diesem Wahlkampf: Für die Bundes-FDP ist der Freistaat nicht so wichtig wie andere Bundesländer vergleichbarer Größe, zum Beispiel Baden-Württemberg. Das liegt an der politischen Landschaft. Die bayerischen Liberalen sind eher eine Großstadt-Partei, in München sind sie stark, gesellschaftspolitisch liberal, finanzpolitisch konservativ. In München-Schwabing gewann die FDP bei der vergangenen Landtagswahl 12,6 Prozent der Stimmen. Eine Stadt, wie die FDP sie sich backen würde, gebe es sie nicht schon.
Beliebt in den Städten – uninteressant auf dem Land
In Traunstein, wirtschaftlich eine starke Region an der Grenze zu Österreich, waren es 3,7 Prozent. Sie dringen auf dem Land kaum durch. Beispiel Landwirtschaft: Die FDP möchte Subventionen für Bauern abbauen. Das kommt bei konventionellen Landwirten nicht gut an, aber mit Bio-Bauern fremdeln die Liberalen ebenfalls. Die FDP droht, zwischen CSU und Freien Wählern zerrieben zu werden, am rechten Rand lauern auf die Proteststimmen die AfD. Sie muss sich im Spektrum zwischen CSU und Grünen positionieren, es ist eine kleine Lücke, in die es sich schwer zwängen lässt.
Wahlkampf in Bayern: München ist die ideale FDP-Stadt © Action Press/Zuma Wire/Sachelle Babbar
Weil sie in der Fläche schwach sind, müssen sie sich auf die Städte und Vorstädte konzentrieren. Lindner spannt den Bogen von der Schuldenbremse (die Zeit der „expansiven Finanzpolitik“ sei vorbei) über die Fachkräfteeinwanderung (die ein „Paradigmenwechsel“ im Vergleich zur Einwanderungspolitik der Union sei) zur Kindergrundsicherung (bringe es wirklich etwas, den Eltern mehr Geld zu geben, oder solle mehr in Kitas und Schulen investiert werden?). Es sind FDP-Klassiker, mindestens die Finanzpolitik und die Kindergrundsicherung sind in der Ampel umstritten.
Jetzt lieber kein Streit mehr in der Ampel
An einem aber lässt Lindner an diesem Tag keinen Zweifel. Das Heizungsgesetz sei, nach monatelangem Streit in der Ampel-Koalition, nun ein gutes Gesetz. Dem werde die FDP im Herbst zustimmen. Das ist bemerkenswert, denn für die Liberalen könnte das Heizungsgesetz kurz vor den Landtagswahlen zum Problem werden: Wenn nicht durchdringt, wie stark es verändert wurde – und warum die FDP dem ungeliebten Gesetz im ungeliebten Bündnis zustimmt.
Überhaupt, der Streit in der Ampel: Inzwischen scheint selbst Lindner genervt davon, obwohl er der FDP bislang laut Umfragen eher guttat, als dass er ihr schadete. Der letzte Dissens aber, die Auseinandersetzung um das Ehegattensplitting, angezettelt von SPD-Chef Lars Klingbeil, sei „wie aus dem Nichts“ gekommen. „Da haben sich alle nach dem Heizungsgesetz in die Hand versprochen, jetzt mal wieder keinen öffentlichen Streit. Und was kommt? Öffentlicher Streit über das Ehegattensplitting“, sagt Lindner. Es wirkt, als wolle nun auch die FDP vor dem Wahlkampf weniger Debatte.
Neulich gab es eine Umfrage in Bayern, die die FDP bei 5,4 Prozent sah. Ein Hoffnungsschimmer. Lindners Stimme wird brüchiger. „Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber beim Können gebricht’s mir“, sagt er selbstironisch. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass er in Bayern spricht.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de