Ex-Umweltminister Jürgen Trittin: „Der Atomausstieg ist keine Grünen-Veranstaltung“
© imago/blickwinkel/imago classic Ex-Umweltminister Jürgen Trittin: „Der Atomausstieg ist keine Grünen-Veranstaltung“
Als Umweltminister brachte Jürgen Trittin den ersten Atomausstieg einst auf den Weg. Kurz vor dem AKW-Aus verteidigt er die Maßnahme und attackiert CDU und FDP.
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Herr Trittin, haben Sie für Samstag den Sekt schon kaltgestellt?
Nein, ich werde um 12 Uhr auf einer Veranstaltung von Greenpeace am Brandenburger Tor reden und so früh am Tag trinke ich noch keinen Sekt. Ich freue mich schon sehr auf diesen schönen Tag. 2001 haben wir Grünen die Grundlage gelegt, dass die Energiewende in Deutschland und global mit dem Ausstieg aus der Atomkraft und dem Einstieg in die Erneuerbaren gelingt. Nun schließen wir erneut als Regierungspartei ein grundlegendes Kapitel erfolgreich ab.
Als Umweltminister haben Sie vor mehr als 20 Jahren den ersten Atomausstieg verhandelt. Was bedeutet Ihnen das AKW-Aus persönlich?
Für inzwischen mehrere Generationen von Menschen endet am Samstag ein langer Kampf. Für die etwa, die sich an Protesten gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl beteiligt haben, oder die Trekker-Demonstrierenden, die von Gorleben nach Hannover gefahren sind. Und natürlich auch für die Menschen, die die Grüne Partei mitbegründet haben. Ohne die Anti-Atomkraft-Bewegung wären die Grünen nicht vorstellbar. Heute können wir sagen, wir haben mit dem Atomausstieg eines unserer allerersten zentralen politischen Ziele erreicht.
Eine Mehrheit der Deutschen sieht den Ausstieg skeptisch, selbst unter Grünen-Anhängern sind 44 Prozent gegen das Aus. Kommen da keine Zweifel bei Ihnen auf?
Nein, 2001 haben wir in der Regierung und 2011, damals in der Opposition, gemeinsam mit den anderen Parteien einen Atomkonsens und nicht das Grünen-Programm beschlossen. Wir wollten 1998, dass nach 20 Jahren Laufzeit Schluss ist, aber wir haben uns auf 32 Jahre geeinigt. Dieser Kompromiss sollte sicherstellen, dass nicht durch Wahlkampfmanöver immer wieder neue Rechtslagen geschaffen werden. Es geht und ging um Investitionssicherheit.
CDU und FDP haben 2010 diesen Konsens leider unüberlegt aufgelöst, nur um 2011 zu ihm zurückzukehren. Das hat uns 2,1 Milliarden Euro gekostet, das sind schon Scheuer‘sche Dimensionen. Wir sind gut beraten, den Atomausstieg nicht von Umfragen abhängig zu machen.
Müssen Sie dennoch fürchten, dass CDU und FDP irgendwann der Atomkraft zum Comeback verhelfen oder ist der Ausstieg so unumkehrbar, wie Robert Habeck sagt?
Die Genehmigung zum Leistungsbetrieb erlischt am Samstag ersatzlos, es bräuchte also ein ganz neues Genehmigungsverfahren. Keine der verbliebenen drei Anlagen wäre in der Lage, dieses Verfahren zu bestehen. Man müsste also neue Atomkraftwerke bauen – und dann hat man die gleichen Probleme wie der Rest Europas.
Probleme? Polen hat angekündigt, in die Atomkraft einzusteigen. Ist der deutsche Alleingang klug?
Ich lese seit 20 Jahren solche forschen Ankündigungen, aber seit 20 Jahren geht die Zahl der Atomkraftwerke weltweit zurück. Es werden kaum neue Atomkraftwerke gebaut und die, die im Bau sind, brauchen doppelt so lange und werden dreimal so teuer wie geplant. Nur China baut noch neue Anlagen, trotzdem sinkt die Zahl insgesamt. Atomkraft ist eine Nischentechnologie. Weltweit beträgt der Anteil von Atomenergie nicht einmal fünf Prozent, weil sie schlicht nicht mehr rentabel und wettbewerbsfähig ist.
In den USA will Präsident Joe Biden auf moderne kleine Reaktoren setzen.
Auch aus den USA höre ich nur Ankündigungen und sehe, dass Staatsgelder verwendet werden. Die amerikanische Privatwirtschaft investiert nicht in Atomkraft. Der Preis pro Kilowattstunde wird durch die kleinen Anlagen noch steigen. Schon heute beträgt der Preis für Strom aus AKW den vier- bis fünffachen Preis im Vergleich zu Strom aus Solar- und Windkraftanlagen.
Wenn wir unsere Energieversorgung dekarbonisieren wollen, müssen wir massiv in Erneuerbare investieren und nicht in Atomkraftwerke, die erst in 20 Jahren fertig sind, wenn wir schon klimaneutral sein wollen.
Die FDP argumentiert mit der Energiesicherheit und fordert, die alten Meiler noch ein Jahr in einer Reserve zu behalten. Was spricht dagegen?
Die Rechtslage und dass wir kein Versorgungsproblem haben. Wir haben jetzt dreieinhalb Monate simulierte Versorgungssicherheit hinter uns. An den meisten Tagen haben wir mehr Strom produziert als benötigt, wir haben Strom exportiert, Windparks zugunsten der Atomkraft abgeschaltet und den Betreibern dafür Geld bezahlt. Das ist kompletter Unsinn.
Herr Djir-Sarai sollte sich überlegen, was er sein möchte: Generalsekretär einer Regierungspartei oder Kampfhamster im Auftrag der Bild.
Jürgen Trittin über den Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai
Herr Djir-Sarai sollte sich überlegen, was er sein möchte: Generalsekretär einer Regierungspartei oder Kampfhamster im Auftrag der Bild. In Teilen der FDP fehlt mir die Ernsthaftigkeit bei dem Thema Energiewende und Zukunftstechnologien.
Müssen Sie aber nicht zugeben, dass ein Weiterbetrieb für wenige Jahre auch gut fürs Klima gewesen wäre?
Wenn man für Atomkraft die Erneuerbaren abschalten muss, ist dem Klima auch nicht wirklich geholfen. Die Gesamtklimabilanz unterliegt als System komplett dem europäischen Emissionshandel. Diese Zertifikate sollten wir sofort stark reduzieren, dann würden die Kosten für die Kohleverstromung deutlich steigen. Der Kohleausstieg 2030 wäre dann keine Diskussion mehr. Mit den Atomkraftwerken hat das gar nichts zu tun.
Wird der Atomausstieg auch deshalb durchgezogen, weil er zum Gründungsmythos der Grünen gehört?
Nein, der Atomausstieg ist keine Grünen-Veranstaltung. Wir hatten 2011 einen Konsens zwischen fast allen Parteien, von denen sich einige nun doch wieder verabschieden. Unzuverlässigkeit sind wir von der CDU aber gewohnt. Für die Grünen ist der kommende Samstag ein echter Erfolg. Wir haben die Energiewende und die Dekarbonisierung Deutschlands auf den Weg gebracht.
Endet am Samstag die Ära der Atomkraft?
Wir werden uns noch bis mindestens 2060 mit der Atomkraft beschäftigen. So lange wird es brauchen, um ein Endlager für den gefährlichsten Müll der Welt zu finden. Der Einstieg in die Atomenergie hat stattgefunden, ohne zu wissen, was man mit dem Atommüll machen soll. Jetzt steht man vor der Hinterlassenschaft dieser Zeit. Diese Verantwortungslosigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen bleibt uns leider erhalten.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de