Dürre, Hitze und Stickstoffeintrag: Warum sich der deutsche Wald lichtet
© Thünen-Institut/Petra Dühnelt Dürre, Hitze und Stickstoffeintrag: Warum sich der deutsche Wald lichtet
Die neue Waldzustandserhebung 2022 zeigt, wie es in Deutschland um Eiche, Buche, Fichte und Kiefer steht. Fachleute benennen dringende Maßnahmen für den langfristigen Schutz.
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Wie geht es dem deutschen Wald? Seit Mitte der 1980er Jahren wird diese Frage regelmäßig im Waldzustandsbericht beantwortet. Zum internationalen Tag des Waldes am Dienstag hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) die aktuelle Erhebung vorgestellt. Vier von fünf Bäumen im deutschen Wald sind demnach krank.
„Der Wald ist ein Patient, der unsere Hilfe braucht“, wird Özdemir in einer Mitteilung seines Ministeriums zitiert. Das Ökosystem leide vor allem unter den Folgen der Klimakrise, insbesondere Dürre und hohen Temperaturen im vergangenen Sommer.
„Wir sehen, dass mittlerweile alle Hauptbaumarten Buche, Eiche, Fichte und Kiefer betroffen sind“, sagte Nicole Wellbrock vom Thünen-Institut für Waldökosysteme in Eberswalde dem Tagesspiegel. Auch die eigentlich als trockenresistent geltende Kiefer zeige mittlerweile deutliche Schädigungen und den geringsten Anteil gesunder Bäume.
„Verlichtungen“ als Maßstab
Um den Waldzustand zu erfassen, untersuchen geschulte Teams der Bundesländer jedes Jahr im Juli und August die Baumkronen. Die Daten werden an systematisch über die gesamte Waldfläche Deutschlands verteilten Stichprobenpunkten aufgenommen. Die Teams beurteilen die Verlichtung der Baumkronen – wie viele Blätter oder Nadeln sie im Vergleich zu voll belaubten oder benadelten Bäumen tragen.
Abweichungen werden in Fünf-Prozent-Stufen geschätzt. Die Ergebnisse aller Stichproben werden für die Bewertung als „ohne“, „schwache“ oder ab 25 Prozent „deutliche“ Kronenverlichtungen zusammengefasst. Am Thünen-Institut werden die Rohdaten geprüft und zu bundesweiten Ergebnissen zusammengeführt. „Es ist ein Datenschatz, der über Jahrzehnte mit viel Fachwissen zusammengetragen wurde“, sagt Wellbrock.
Laub- und Nadelbäume unterschiedlich betroffen
Seit den drei Rekordtrocken- und Hitzejahren 2018, 2019, 2020 sei der Klimawandel „endgültig und für alle sichtbar“ im deutschen Wald angekommen, teilte das Institut mit. Die positiven Effekte des normalen Wetters 2021 haben nicht ausgereicht, um den Zustand des Waldes nachhaltig zu verbessern, zumal das Jahr 2022 wieder zu trocken und überdurchschnittlich warm war. Zudem haben drei Winterstürme in kurzer Abfolge im Februar 2022 viele Bäume umgeworfen.
Der Anteil der Bäume mit deutlichen Kronenverlichtungen ist mit 35 Prozent weiterhin so hoch wie 2021. Nur jeder fünfte Baum ist voll belaubt oder benadelt. Besonders betroffen sind ältere Bäume über 60 Jahre: 42 Prozent zeigen deutliche Schäden. Von den Bäumen unter 60 Jahren sind es dagegen 15 Prozent, aber auch ihr Zustand verschlechtert sich seit Jahren, heißt es in der Mitteilung.
Bis 2020 waren Laubbäumen deutlich stärker von der Kronenverlichtung betroffen als Nadelbäume. Seit 2020 sind Buche und Eiche von der Fichte überholt worden, sie weist mit einer Kronenverlichtung von aktuell fast 30 Prozent den zweitschlechtesten Wert seit Beginn des Monitorings 1984 auf.
Der Zustand der Kiefer verschlechtert sich seit 2016 kontinuierlich. Mit etwa 24 Prozent mittlerer Kronenverlichtung wurde 2022 ein neuer Höchstwert erreicht. Nur 13 Prozent dieser Bäume haben keine sichtbaren Schäden – so wenig wie noch nie seit Beginn der Waldzustandserhebungen. Die mittlere Kronenverlichtungen von Buche und Eiche liegen jeweils über 25 Prozent.
Großflächige Fichtensterben
Die Absterberate stieg 2022 für die Fichte auf einen neuen Rekordwert von 4,4 Prozent. Die Bäume reagieren deutlich auf den Wassermangel im Boden. Im Jahr 2019 kam es erstmals zu einem flächenhaften Absterben von Beständen, sind viele große Flächen betroffen, überwiegend unterhalb von 700 Höhenmetern. Dazu tragen auch Schädlinge bei. Borkenkäfer befallen geschädigte Fichtenbestände besonders stark. „Dass der Borkenkäfer in dem Maß und der Geschwindigkeit da durchgehen kann, liegt auch daran, dass wir viele Flächen mit Monokulturen haben“, sagt Wellbrock.
Klimaschutz und weniger Stickstoffeinträge notwendig
Einfache technische Lösungen zur Verbesserung des Waldzustands, wie die in den 1980er Jahren eingesetzten Filteranlagen zur Entschwefelung von Abgasen und das Ausbringen von Kalk, stehen nach Einschätzung der Fachleute nicht zur Verfügung. Heute geht es darum, den Klimaschutz voranzubringen, um das Auftreten von Hitze und Dürre zu begrenzen, und die Stickstoffeinträge aus Verkehr, Industrie und Landwirtschaft zu vermindern. „Da wird bislang zu wenig getan“, sagt Wellbrock.
„Umweltschädliche Subventionen wie die Steuervorteile für Dieselkraftstoff müssen abgeschafft werden“, fordert etwa der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland Olaf Bandt. Ein umfassender Umbau des Mobilitätssektors einschließlich eines Baustopps für Autobahnen und Bundesstraßen sei überfällig, um den Autoverkehr zu verringern. In der Landwirtschaft sollten Nutztierbestände reduziert und weitere Anreize geschaffen werden, den Eintrag von Stickstoff zu verringern.
Langfristig müssen die Wälder auch umgestaltet werden, um besser mit den veränderten klimatischen Bedingungen zurechtzukommen, sagt das Landwirtschaftsministerium. „Wir müssen weiter entschlossen handeln, damit unsere Wälder in Zukunft der Trockenheit und den höheren Temperaturen trotzen können“, sagt Minister Özdemir. Mit dem Wald-Klima-Paket stellt die Bundesregierung insgesamt 900 Millionen Euro bereit, um die Waldbesitzenden beim klimagerechten Umbau der Wälder zu unterstützen.
„Wir brauchen eine ausreichende Finanzierung, um die Generationenaufgabe Waldumbau zu sichern“, sagt Andreas Bitter, Präsident des Verbands „AGDW – Die Waldeigentümer“. Die Klimaveränderung sorge für fortschreitende Standortsveränderungen, sodass Baumarten auch dort, wo sie seit Jahrhunderten stehen, nicht überleben könnten. Die enormen Kosten der Wiederaufforstung und des Waldumbaus seien von den Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern nicht mehr aus eigener Kraft zu stemmen.
Dabei könnte Saatgut von Bäumen aus dem südlichen Europa verwendet werden, die besser an trockene Bedingungen angepasst sind, sagt Wellbrock. Wenn zudem anstelle von Monokulturen Mischwald angepflanzt werde, würde das das Risiko von flächenhaften Waldschäden etwa durch Windwurf verringert. „Das Problem ist, dass das alles nicht so schnell geht“, sagt Wellbrock. Was man jetzt pflanzt, werde erst in 40 Jahren volle Wirkung zeigen. „Trotzdem sollte man das angehen“, sagt die Forscherin.
Für die nahe Zukunft gibt es keine positive Prognose: Der Bodenwasserspeicher hat sich trotz der günstigen Witterung 2021 in einigen Regionen Deutschlands nicht vollständig aufgefüllt und der Schädlingsbefall wird voraussichtlich weiter zunehmen, besonders durch Borkenkäfer. Durch die großen Schadflächen werden die Ökosystemfunktionen des Waldes nachhaltig gemindert.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de