„Die Nerven liegen hier blank“: Was Abgeordnete nach dem Heizungsdebakel fordern
© dpa/Bernd von Jutrczenka „Die Nerven liegen hier blank“: Was Abgeordnete nach dem Heizungsdebakel fordern
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wollen die Abgeordneten mehr Beratungszeit für Gesetze. Regeln, Fristen, Abläufe des Parlamentes sollen geprüft werden.
Von Daniel Friedrich Sturm
„Jetzt mal Ruhe hier!“ donnert Bärbel Bas ins Mikrofon ins Plenum des Bundestages. „Die Nerven liegen hier scheinbar blank“, stellt die Parlamentspräsidentin am Freitag fest. Abgeordnete brüllen, es gibt Wortgefechte. Die Union zitiert Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ins Plenum, scheitert aber bei einem Votum per Hammelsprung.
Der SPD-Abgeordnete Michael Schrodi wirft der Union vor, einen „Popanz mit der AfD“ zu betreiben. So sagt er es später dem Tagesspiegel und bestreitet, ein derbes Schimpfwort verwendet zu haben. Doch Bas verhängt ein Ordnungsgeld von 1000 Euro gegen Schrodi. Später, in der Debatte, ruft Friedrich Merz der SPD zu: „Können Sie nicht mal einen kurzen Augenblick den Mund halten?“
Laut und emotional geht es zu an diesem Tag im Plenum, am letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause. Eigentlich sollte hier das umstrittene Heizungsgesetz verabschiedet werden. Nachdem aber das Bundesverfassungsgericht auf Antrag des CDU-Abgeordneten Thomas Heilmann eine längere Beratungszeit verlangt hat, geht es in einer hitzigen Debatte um die Konsequenzen aus dem Schlamassel.
Ändert der Bundestag seine Geschäftsordnung?
Was also bedeutet die Entscheidung aus Karlsruhe, weit über den konkreten Gang des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) hinaus? Muss der Bundestag sich generell mehr Zeit für die Gesetzgebungsarbeit nehmen? All dies wird längst diskutiert. Sogar eine Änderung seiner Geschäftsordnung könnte der Bundestag ins Auge fassen.
Als „Ort der Debatten-Verweigerung“ und des „Durchpeitschens von Gesetzen“ hat Unionsfraktionschef Merz den Bundestag „in den letzten 18 Monaten“ erlebt, also seitdem die Ampel regiert. Nur indirekt geht er auf die zahlreichen Schnell-Verfahren unter der Kanzlerschaft Angela Merkels ein, deren Namen er unerwähnt lässt. „Manche Krise erfordert eine schnelle Reaktion“, sagt Merz. Nun aber, „ohne eine externe Krise“, werde bei drei von vier Gesetzen die Beratungszeit verkürzt.
„Eine völlig inakzeptable Respektlosigkeit“
Merz sieht in der Verordnung schneller Gesetzgebung nur ein Teil eines größeren Bildes, er moniert die Art und Weise, wie sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) während der jüngsten Regierungsbefragung geriert habe. Scholz habe nicht eine Frage beantwortet, stattdessen die Abgeordneten belehrt, sie stellten die falschen Fragen. „Das ist eine Respektlosigkeit, die völlig inakzeptabel ist“, ruft Merz mit empörter Stimme in den Saal.
Eher nachdenklich bietet Merz den Regierungsfraktionen Gespräche an, wie das Vertrauen in den Bundestag gestärkt werden könne. Stehende Ovationen der Union für ihren Fraktionschef, der in den letzten Wochen in den eigenen Reihen Vertrauen verloren hat.
Doch welche Konsequenz zieht die Ampel aus der Backpfeife, die die obersten Richter ihr verpasst hat? Es redet zunächst der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner, der jüngst Schlagzeilen machte, weil er in den Sitzungswochen in einem Zelt auf einem Berliner Campingplatz übernachtet („weil’s entspannt ist“). In der Debatte dazu kein Wort.
Warum ein SPD-Mann Heilmann (CDU) dankt
„Respekt und außerordentlichen Dank“ zollt Fechner dem CDU-Abgeordneten Heilmann, ohne denn ja das GEG am Freitag wohl verabschiedet worden wäre. Im Herbst wolle man entscheiden, ob es einer Reform der Bundestags-Geschäftsordnung bedürfe, „ob Regeln, Fristen, Abläufe präzise genug sind“.
Es gebe ja Gründe für die schnelle Gesetzgebung, sagt Till Steffen (Grüne), unter Verweis auf die Pandemie oder die befürchtete Gasmangellage vor dem letzten Winter. „Selbstbewusst“ aber müsse das Parlament sein, „gegenüber der Regierung, aber auch gegenüber dem Bundesverfassungsgericht“. Die Frage, wer was wie lange lesen müsse, sagte Steffen mit Blick auf Gesetzentwürfe, müsse der Bundestag „in eigener Verantwortung hinkriegen“.
FDP-Fraktionsgeschäftsführer Konstantin Kuhle schlägt nachdenkliche Töne an, verweist auf eine „große Verunsicherung bis in die Mitte der Gesellschaft“. Er wirft Merz ein Mangel an Selbstkritik vom, seien doch schon unter der CDU „die Parlamentsrechte bis zur Unkenntlichkeit geschliffen worden“.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de