Die große Bildungsmisere: Was muss passieren, damit Deutschland wieder nach vorne kommt?
© Bearbeitung: TSP|Imago/Sylvio Dittrich Die große Bildungsmisere: Was muss passieren, damit Deutschland wieder nach vorne kommt?
Das deutsche Bildungssystem ist kaputt, die Kultusministerkonferenz sucht weiter nach Lösungen zur Reparatur. Hier sagen drei Expert:innen, worauf es jetzt wirklich ankommt.
Das deutsche Bildungssystem ist kaputt. Das sieht selbst die zuständige Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) so. Zu wenig Lehrer, am Abitur wird gewerkelt, die Schulen fallen auseinander.
Wo muss nun etwas passieren, damit es wirklich mal vorangeht? In unserem Format „3 auf 1“ geben drei Expert:innen ihre Einschätzung. (Alle Beiträge aus „3 auf 1“ finden Sie hier.)
Ganz so schwierig ist es nicht
Birgit Eickelmann ist Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn und Expertin für Digitalisierung im Bildungswesen. Sie sagt: Wir müssen gemeinsam von der Zukunft aus denken und planen.
Auffällig ist, dass sich derzeit wieder viele Bildungsverantwortliche dafür aussprechen, das System verändern zu wollen. Aber nur ein bisschen. Und die Innovationen doch eher bei den anderen. Und erst einmal in kleinen Schritten. Wohlüberlegt.
Wenn es dann um die konkrete Umsetzung geht, wird noch die Frage eingestreut, ob das Neue denn auch sicher besser als das Alte sei. Und ob es empirische Evidenz gibt, dass die neuen Wege funktionieren und zu den gewünschten Erfolgen führen. Sonst könne man wohl doch besser beim Alten bleiben. Wohlüberlegt scheint erstmal gut zu sein. Sich die benötigte Zeit zu lassen: auch.
Was würde aber wirklich den Fortschritt bringen? Wie gelingt es, unser Schulsystem zukunftsfest zu machen? Alle Akteure an einen Tisch. Gute Idee. Miteinander sprechen. Auch. Aber letztlich kann es nur gelingen, wenn wir gemeinsam von der Zukunft aus denken und planen. Bisher nicht gerade eine Stärke der Bildungsplanung in Deutschland.
Wir wollen unser Bildungstief überwinden? Dann brauchen wir gut ausgestattete Schulen mit starken und vernetzten Schulleitungen. Wir brauchen Unterricht und Lernen, die für die Schülerinnen und Schüler Sinn ergeben und niemanden ausschließen.
Und einen Arbeitsplatz Schule, der für Lehrkräfte attraktiv und modern ist. Beispiele kann man sich im Ausland anschauen. Und im Inland. Ganz so schwierig scheint es eigentlich nicht zu sein. Wenn wir aufhören, an den alten Strukturen festzuhalten und uns etwas Neues zutrauen.
Das Einstimmigkeitsprinzip muss weg
Mark Rackles ist Staatssekretär der Berliner Senatsverwaltung für Bildung a.D., Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Initiator des „Bildungsrats von unten“. Er sagt: Es braucht mehr Mut zu länderübergreifenden Bildungsstaatsverträgen.
Wenn wir von Bildungsmisere sprechen, denken viele an einstürzende Schulbauten, fehlende Fachkräfte und PISA-Schock. Das sind jedoch die Symptome einer Misere.
Das eigentliche Krankheitsbild des deutschen Bildungswesens würde ich eher in Fehlhaltungen und einer institutionellen Arthrose sehen. Was uns fehlt – und das hat der Berliner Bildungsgipfel diese Woche nochmal gezeigt – ist ein gemeinsames Verständnis der Herausforderungen im Bildungswesen und die persönliche Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.
Die Bundesministerin fordert etwas verklausuliert „Bildungsteams“ der verschiedenen Ebenen und Akteure. Ein richtiger Ansatz, in dem jeder eine Verantwortung für das Ganze hat. In der Realität zeigt dagegen jede Instanz auf die andere und es fehlt eine länderübergreifende Verantwortungsgemeinschaft.
Hinzu kommt die Arthrose: Die erstarrten Strukturen des Bildungsföderalismus sind nicht auf Agilität gegenüber Herausforderungen ausgerichtet. Notwendig wären kooperative Strukturen der Zusammenarbeit, zwischen den Ländern ohne Einstimmigkeitsprinzip und mit mehr Mut zu länderübergreifenden Bildungsstaatsverträgen.
Auch mit dem Bund, wie es etwa der Wissenschaftsbereich ganz unverkrampft und erfolgreich vormacht. Die Misere ist hausgemacht, das heißt es gibt Abhilfe. Wenn nicht von oben, dann von unten!
Wir sind es den Kindern schuldig
Petra Stanat ist Professorin an der Humboldt-Universität Berlin und dort Direktorin des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Sie sagt: Die systematische Förderung muss schon in der Kita beginnen.
Um die Bildungsmisere zu überwinden, brauchen wir keine Einzelprojekte, sondern Strategien. Zum Beispiel müssen wir dringend den Anteil der Kinder und Jugendlichen reduzieren, die in zentralen Kompetenzbereichen nicht die Mindeststandards erreichen.
Dies muss durch systematische Förderung geschehen, die schon – das ist sehr wichtig – in der Kita beginnt und in der Schule fortgesetzt wird. Alle Akteure im Bildungssystem sollten wissen, worin die Mindeststandards bestehen, in ihrem jeweiligen Bereich Maßnahmen umsetzen, die sich bewährt haben (Stichwort „Evidenzbasierung“), und regelmäßig überprüfen, inwieweit die angestrebten Ziele erreicht werden.
Dafür brauchen die Bildungseinrichtungen klare Rahmenbedingungen und Unterstützung. Strategie bedeutet, dass jeder weiß, wo man hin will, wer wofür zuständig ist und welche Elemente wann umgesetzt werden sollen. In diesem Prozess müssen alle Verantwortung übernehmen, das sind wir den Kindern und Jugendlichen, deren Zukunft davon abhängt, schuldig.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de