Der große Murks: Wie die Ampel an sich selbst scheitert
© imago-images (3) / Gestaltung: Tagesspiegel|Kostrzynski Der große Murks: Wie die Ampel an sich selbst scheitert
Zu wenig Pragmatismus (Grüne), zu viel Geschrei (FDP), zu wenig Führung (SPD): Das Heizungsgesetz bereitet der Koalition großen Ärger. Doch wie kam es dazu?
Von
- Daniel Friedrich Sturm
Noch während die Eilmeldung aus Karlsruhe einschlägt, feiern sie – und feiern sie sich. Im Schatten des Kanzleramtes, am Tipi, begeht die SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch ihr traditionelles Hoffest. Die Sonne scheint, der Kanzler verbreitet in einer Rede am frühen Abend Optimismus.
Der Tenor: Ende gut, alles gut. Zu dieser Zeit rechnen wohl fast alle damit, dass das leidige Heizungsgesetz am Freitag verabschiedet wird. Sommerpause. Urlaub. Schwamm drüber.
Von wegen. Das Bundesverfassungsgericht düpiert Kanzler und Koalition. Eine Runde Nachsitzen. Karlsruhe zeigt allen, welch großen Murks die Ampel hier angerichtet hat. Ob Bundestagspräsidentin Bärbel Bas derlei schon ahnte?
Am frühen Mittwochabend, die Sonnenbrille im Gesicht, gibt sie sich schmallippig zu der Frage, ob sie wohl diesmal die Abgeordneten aus der Sommerpause herausholen muss. Am Donnerstag, Tag eins nach der Backpfeife, einigt sich die Koalition: Erst im September, nach der regulären Pause, soll der Bundestag das Gesetz verabschieden.
Wie im Brennglas zeigt das Gebäudeenergiegesetz: die handwerklichen Schwächen der Bundesregierung, die diversen Defizite ihrer drei Parteien – und das Vakuum, das der Kanzler partout nicht ausfüllen will, nicht ausfüllen kann. Kein Wunder, dass niemand mehr die „Fortschrittskoalition“ beschwört, wie sich die Regierenden zu Beginn ihrer Beziehung priesen. Was aber führt genau zu dem großen Murks?
Der Missionsdrang der Grünen
Die Grünen wollten mit dem Kopf durch die Wand, sind sich SPD und FDP am Tag nach der Ohrfeige aus Karlsruhe einig. Borniert hätten sie am Zeitplan festgehalten und ohne Not auf einen Beschluss vor der Sommerpause gedrängt, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Aus Sicht der Grünen stellt sich das natürlich ganz anders dar. Die Menschen bräuchten Planungssicherheit und schließlich gab es einen gemeinsam verabschiedeten Zeitplan für das Heizungsgesetz. Den hatten die Grünen im 30-stündigen Koalitionsausschuss auch deshalb extra in das Beschlusspapier verhandelt, weil sie den Koalitionspartnern kaum noch trauen. Beim Klimaschutz wähnt sich die Partei als Solitär.
Annalena Baerbock und Robert Habeck wollten die Grünen eigentlich in die gesellschaftliche Mitte führen. © dpa/Michael Kappeler
Das mag mitunter stimmen, vor allem haben die Grünen jedoch den Veränderungswillen in der Gesellschaft überschätzt. „Bereit, weil ihr es seid“, lautete der Slogan im Bundestagswahlkampf und suggerierte, die Bevölkerung dürste geradezu nach Klimaschutz. Wenn es aber konkret – und teuer wird – sieht das offensichtlich anders aus.
Doch den Grünen fehlt offenkundig ein Gefühl dafür, wie viel sie der Gesellschaft aufbürden können. Egal, ob bei der Gasumlage, in der Atomfrage, dem Verbot des Verbrenner-Motors oder beim Heizungsgesetz – immer wieder versuchen sie, Politik an der Mehrheit vorbei zu machen. Missionarisch wirkt das. Die alten Verbots-Reflexe bekommt die Partei nicht völlig los.
Die Partei wird momentan von zwei Seiten zerrieben. Die AfD und neuerdings die Union hat sie zum Hauptgegner erklärt, den Kampagnen haben die Grünen wenig entgegenzusetzen. Doch selbst im eigenen Lager hagelt es Kritik, vor allem von Klimaaktivisten. Erstmals seit Jahren verliert die Partei wieder Mitglieder. Die Grünen haben ihren Kurs verloren und brauchen dringend Erfolge – notfalls auch mit der Brechstange wie beim Heizungsgesetz.
Die Profilierungssucht der FDP
Es gibt eine Gruppe in der FDP, bei der die Stimmung an diesem denkwürdigen Donnerstag gar nicht so schlecht ist. Eine Gruppe, die die Profilierung der Partei besonders vorantreibt. Sie nennt sich „Ottos Erben“, bis zu der Veröffentlichung eines „Stern“-Artikels in der vergangenen Woche agierten sie vor allem im Verborgenen.
In anderen Parteien gibt es offizielle Fraktionsgruppen, wie die Realos bei den Grünen oder die Netzwerker in der SPD. Dieser Kreis aber ist anders. Kaum einer bekennt sich offen dazu, Mitglied zu sein. Eigentlich legt die FDP Wert darauf, keine Flügel zu haben. Dieser Kreis droht, das zu ändern.
Er hat eine gewisse Macht. Besonders beobachten ließ sich das beim Heizungsgesetz. Mitglieder der Erben fanden die Rolle der FDP zu unscheinbar, Frank Schäffler sprach von einer „Atombombe“ für das Land, der Vize-Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, beharrte auf der Beantwortung eines ominösen Fragenkatalogs, den Teile der FDP-Fraktion zusammengestellt hatten. Sie trieben die Debatte, und die Partei. Schäffler und Kubicki gehören nach Tagesspiegel-Informationen beide zu „Ottos Erben“.
Wolfgang Kubicki sieht sich in der Tradition von Otto Graf Lambsdorff. © dpa/Jörg Carstensen
Doch nicht nur sie: Auch der Vize-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer ist demnach Mitglied, ebenso wie Torsten Herbst, der als Parlamentarischer Geschäftsführer für die Organisation der FDP-Mehrheiten im Parlament mitverantwortlich ist. Die Abgeordneten, die sich zu „Ottos Erben“ erklärt haben, sehen sich in der Tradition der Marktwirtschaft im Sinne von Otto Graf Lambsdorff.
Die Profilierungssucht der FDP, sie stammt vor allem von dieser Gruppe, die den Eindruck hat, dass die Liberalen ihre Rolle zu Beginn der Ampel-Koalition nicht scharf genug definiert hat. Dass sie zwischen Grünen und SPD zu wenig auffiel.
Ob es nach der Sommerpause ruhiger wird? Das entscheiden „Ottos Erben“ mit. Die Partei- und Fraktionsspitze hat sich nach anfänglichem Zögern voll hinter die Linie von Schäffler und Co. gestellt, auch, weil die Sichtbarkeit der FDP offenbar bei der Bürgerschaftswahl in Bremen geholfen hat, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.
Profillose SPD
„Wir sind ganz schön cool“, ruft Olaf Scholz am Dienstagabend im Hof der Alten Pumpe in der Berliner Lützowstraße. Der linke Flügel der SPD-Fraktion hat zu seinem Sommerfest geladen, für 45 Euro gibt es Bratwurst, Salate, Bier und Weinschorle. „Um uns herum sind ganz schön viele, die aufgeregt sind“, tönt Scholz von der Bühne, „aber irgendwer muss ja die Nerven behalten!“ Beifall. Die guten Nerven bezieht er schließlich auf: die SPD. Scholz hätte auch rufen können: „Ich bin ganz schön cool“ – die Genossen hätten wohl auch geklatscht.
Bescheidenheit ist nicht seine Sache: Olaf Scholz beim Hoffest der SPD-Bundestagsfraktion im Tipi am Kanzleramt. © action press/Bernd Elmenthaler
Gut 24 Stunden später verpassen die Karlsruher Richter nicht zuletzt dem reichlich selbstbewussten Kanzler eine schallende Ohrfeige. Wann hat es das zuletzt gegeben? Das Bundesverfassungsgericht düpiert die Regierung, stärkt das Parlament. So funktioniert sie, die Gewaltenteilung, das Herzstück in den politischen Systemen des Westens.
„Wir sind geeint wie nie!“
Olaf Scholz freut sich über den Gehorsam in seiner Partei.
Wie aber steht es um die Gewaltenteilung innerhalb der SPD? Karlsruhe führt den Sozialdemokraten vor Augen, dass ihre allzu brave Gefolgschaft, ja der fast blinde Gehorsam dem Kanzler gegenüber an seine Grenzen kommt. Während die SPD-Bundestagsfraktion die Inhalte des Heizungsgesetzes in ihrem Sinne verändert hat, folgte sie in den Abläufen treu dem Willen des Kanzlers: Ruhe schaffen. Nicht zuletzt für die bisher aussichtslosen SPD-Wahlkämpfer in Bayern und Hessen.
Wo die SPD einst kräftig stritt und ihren führenden Köpfen das Leben oft schwer machte, ist eine ambitionslose Ruhe eingekehrt. Kritik am Kanzler gilt als tabu. Monatelang ließ Scholz beim Heizungsgesetz Grüne und FDP streiten, versuchte sich zu inszenieren als dem Koalitionszoff enthoben. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) tauchte vollends ab.
Die SPD-Fraktion setzt gegenüber dem eigenen Kanzler, den eigenen Ministern keinerlei Akzente. Viele Abgeordnete führen ihren Wahlerfolg auf Scholz zurück, fühlen sich also quasi vom Kanzler zum Job gebracht. Doch ist es nicht Aufgabe des gesamten Parlamentes, die Regierung zu kontrollieren? Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast wirkt derweil wie eine Erfüllungsgehilfin des Kanzleramtes.
„Wir sind geeint wie nie“, ruft Scholz seiner Partei in dieser Wochen auf diversen Sommerfesten zu. Das Debakel beim Heizungsgesetz zeigt, dass dem Kanzler und der Koalition etwas mehr Selbstreflexion und Mut zur Selbstkorrektur auch ganz gut zu Gesicht stehen würden.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de