Bundeswehr verlässt Mali noch früher: Abzug aller Blauhelme erfordert neue Planung
© Tagesspiegel/Christopher Ziedler Bundeswehr verlässt Mali noch früher: Abzug aller Blauhelme erfordert neue Planung
An diesem Freitag entscheidet der Weltsicherheitsrat in New York über den Abzug der Blauhelmtruppen aus Mali. Das hat auch für die Bundeswehr und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit weitreichende Konsequenzen.
Von
Erst hat die malische Militärregierung, die sich vor zwei Jahren endgültig an die Macht putschte, der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich die Zusammenarbeit aufgekündigt. Danach waren andere westliche Staaten an der Reihe, was unter anderem zum angekündigten Abzug der Bundeswehr bis Ende Mai 2024 führte.
Nun aber will Übergangspräsident Assimi Goïta, der lieber mit der russischen Wagner-Söldnern kooperiert, die gesamte UN-Blauhelmtruppe außer Landes wissen. Deren gut 13.000 Einsatzkräfte stammen zu großen Teilen aus dem Tschad, Niger, Togo, Ägypten und dem Senegal. Diese Staaten würden „alles andere als erfreut darüber sein“, meint der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, „dass sie quasi aus dem Land hinausgeworfen werden“.
Das Ende des seit zehn Jahren laufenden Stabilisierungseinsatzes, den die malische Regierung überraschend am 16. Juni forderte, nimmt nun konkrete Formen an, weil er ohne Einverständnis des Gastlandes nicht möglich ist. An diesem Freitag wird der Weltsicherheitsrat in New York darüber abstimmen, in welcher Form der Abzug erfolgen soll.
Viele Szenarien, aber kürzer wird der Einsatz in jedem Fall
„Der ursprüngliche französische Resolutionsentwurf, auf dessen Basis die Beratungen im Sicherheitsrat eingeleitet wurden, sieht eine Verlängerung des Mandats bis Jahresende vor“, heißt es vorab aus dem Auswärtigen Amt in Berlin. Weil das genaue Enddatum noch Gegenstand von Last-Minute-Verhandlungen ist, könnte es auch um zwei oder drei Monate nach vorne oder hinten verschieben. Für möglich wird jedoch auch gehalten, dass das ständige Sicherheitsratsmitglied Russland von seinem Vetorecht Gebrauch macht, um möglichst viel Chaos zu stiften. Dann gäbe es nicht einmal eine kurzzeitige Nachfolgeregelung für das an diesem Freitag auslaufende Mandat.
Ein rechtsfreier Zustand wäre aber auch das nicht. „Selbst wenn Russland im Sicherheitsrat sein Veto einlegt und von Samstag an gar kein UN-Mandat für Mali existiert, sind die Soldatinnen und Soldaten bis zum endgültigen Abzug durch das „Status of Forces Agreement“ sowie die ursprüngliche Gründungsresolution der Mission völkerrechtlich geschützt“, heißt es im Auswärtigen Amt. Das kommt einer Art Diplomatenstatus gleich.
So oder so stellt sich die Bundeswehr nun darauf ein, deutlich vor dem 31. Mai 2024 das Land verlassen zu müssen. „Wir werden versuchen, noch etwas schneller rauszukommen, rauszugehen aus Mali“, erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Mittwoch. Ein Sprecher seines Ministeriums ergänzte, dass es bereits „eine Eventualfallplanung“ gebe, die für den Fall einer sich akut verschlechternden Gefährdungslage sogar einen Abzug „innerhalb von Tagen“ beinhalte.
Früherer Abzug angeblich gut möglich
Das Vorziehen des Termins um einige wenige Monate ist nach Angaben aus Regierungskreisen möglich. Als Grund dafür wird genannt, dass die deutschen Kräfte der Blauhelmmission Minusma unter den neu eingetretenen Umständen keine Aufklärungsfähigkeiten mehr zur Verfügung stellen müssen, wie das ursprünglich geplant war. Auch die Hubschrauber, die die Bundeswehr für eine mögliche logistische Unterstützung bei den für das Frühjahr angesetzten Wahlen vorhalten wollte, würden in diesem Fall nicht mehr gebraucht.
Ganz so problemlos, wie die beteiligten Ministerien sie darstellen wollen, stellt sich die neue Lage für das deutsche Einsatzkontingent im sogenannten „Camp Castor“ in der malischen Stadt Gao aber nicht dar. „Es gibt einige Faktoren, die den Abzug in dieser neuen Konstellation erschweren und verlängern würden“, sagte der SPD-Außenexperte Schmid dem Tagesspiegel: „So wollte die Bundeswehr eigentlich Teile ihrer Ausrüstung den Vereinten Nationen überlassen.“ Nun müsste alles im Feldlager von Gao „ganz abgebaut“ werden. Zudem nütze die eigene Transportlogistik der Truppe wenig, „da es nur einen Flughafen gibt, über den alle das Land verlassen müssten – da könnte es einen Stau geben“.
Unabhängig vom Ausgang des Votums in New York könnte auch ein Votum in Berlin den Zeitdruck erhöhen. Laut einem Antragsentwurf, der dem Tagesspiegel vorliegt, will die Unionsfraktion die Bundesregierung kommende Woche dazu auffordern, den Einsatz im Rahmen der Minusma-Mission „möglichst bis Jahresende 2023 zu beenden“. Er sei wegen der Blockade durch die malische Militärregierung ohnehin „wirkungslos und damit nutzlos“ geworden, sagte ihr außenpolitischer Sprecher Jürgen Hardt dem Tagesspiegel. Daher habe seine Fraktion frühzeitig gefordert, den Einsatz bereits zum Jahresende zu beenden – und dem Ampel-Termin Mai 2024 die Zustimmung verweigert.
Die Festlegung auf ein früheres Abzugsdatum würde Hardt zufolge helfen, dem „Wettlauf um Abzugskapazitäten“ zu entgehen: „Wenn das UN-Mandat nicht verlängert wird, wollen alle so schnell wie möglich abziehen.“ Daher erwarte die Unionsfraktion nächste Woche einen Alternativplan der Bundesregierung, so Hardt weiter: „Unsere Soldaten haben Anspruch auf Sicherheit.“
Gefordert wir zudem, den eben erst begonnenen Militäreinsatz im Nachbarland Niger auszuweiten. Laut Antragsentwurf sollen Fähigkeiten erhalten bleiben, „die für ein fortgesetztes deutsches Engagement in der Sahel-Region auch in Zukunft wichtig sind“. Die gegenwärtige Personalobergrenze für das das Bundeswehr-Mandat in Niger liegt bei 60 Soldaten. Sie sollen dort im Rahmen einer EU-Mission den Aufbau der nigrischen Streitkräfte unterstützen.
Notfallpläne für Entwicklungsprojekte
Konsequenzen hat das sich abzeichnende Ende des UN-Blauhelmeinsatzes in Mali auch für die Entwicklungszusammenarbeit. Schließlich soll sie ausgeweitet werden, um den Abzug der Bundeswehr auf gewisse Weise zu kompensieren und in der für Deutschland und Europa strategisch wichtigen Region weiter präsent zu sein. „Vor allem die Entwicklungsprojekte im Raum Gao und Zentralmali profitierten bislang von der Sicherheit, die Minusma schafft“, sagte ein Sprecher des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dem Tagesspiegel: „Sollte sich die Lage verschlechtern, sind Pläne zur Umsteuerung der Projekte vorbereitet.“
Noch aber gibt man sich optimistisch. Ministerin Svenja Schulze will sich schließlich in knapp zwei Wochen zur Präsidentin der Sahel-Allianz wählen lassen, dem wichtigsten internationalen Unterstützerverbund für die Krisenregion. „Wir gehen aktuell davon aus, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch ohne Bundeswehr-Präsenz in weiten Teilen des Landes möglich sein wird, solange keine substantielle allgemeine Lageverschlechterung eintritt“, so der Sprecher weiter: „Wir arbeiten in Mali bereits im Krisenmodus mit einem verschärften Sicherheitsmonitoring“.
Zur Startseite
- Boris Pistorius
- Bundeswehr
- Russland
- Svenja Schulze
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de