Bund-Länder-Streit über Flüchtlingskosten: Will die Ampel eine verfehlte Etatpolitik kaschieren?
© Imago/Bildgehege Bund-Länder-Streit über Flüchtlingskosten: Will die Ampel eine verfehlte Etatpolitik kaschieren?
Beim Gipfel der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler geht es nicht um Riesensummen. Bauscht der Bund Probleme nur auf? Oder hat er tatsächlich welche?
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Es geht eigentlich um gar nicht so viel Geld an diesem Mittwoch beim Bund-Länder-Gipfel im Kanzleramt. Aber es sind andere Zeiten. Und daher ist die Stimmung zwischen der Ampel-Koalition und der Ministerpräsidentenkonferenz derzeit keine allzu freundliche.
Vor einigen Jahren, selbst zum Höhepunkt der Fluchtbewegung aus Syrien 2015/16, sah die Situation der öffentlichen Haushalte in Deutschland recht rosig aus. Vor allem der Bund, aber auch die Länder verzeichneten Überschüsse.
Den Bund-Länder-Gipfeln gingen zwar auch damals oft harte Verhandlungen voraus. Aber am Ende klärte sich die Sache oft so, dass Kanzlerin Angela Merkel ihre Finanzminister, erst Wolfgang Schäuble, dann Olaf Scholz, und den Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer freundlich daran erinnerte, dass sie doch bestimmt irgendwo im großen Geldtopf des Bundes noch ein paar Milliarden zusammenkratzen könnten – ohne dass das zu einer Haushaltsnotlage führen würde.
Die Überschüsse sind weg
Neuerdings sieht es anders aus. Keine Überschüsse mehr, keine billige Verschuldung dank Nullzins, Pandemie und Ukraine-Krieg als Kostentreiber – da ist das Verlangen der Länder und Kommunen nach Entlastung bei den Flüchtlingskosten plötzlich nicht mehr die Kleinigkeit, die sich mal so einfach aus der Hinterhand finanzieren ließe. Jedenfalls ist das der Eindruck, den die Bundesseite, voran Finanzminister Christian Lindner (FDP) seit Wochen erweckt.
Was auch damit zu tun hat, dass die Ampel-Koalition sich nicht auf Eckwerte für den Etat 2024 einigen kann. SPD, Grüne und FDP haben sich ziemlich verhakt. Da wäre es doch merkwürdig, wenn plötzlich einige Milliarden an die Länder flössen, wo es doch zwischen den Koalitionsressorts verdammt eng hergeht.
Um wie viel Geld es tatsächlich geht, ist allerdings unklar. Die Länder haben ihre zusätzliche Belastung (und die der Kommunen) auch in einem neuen Papier, das am Dienstag bekannt wurde, nicht konkret beziffert.
Sicher ist nur: Die Länder wollen wieder (wie bis Ende 2021) eine Einzelfallpauschale für Flüchtlinge, die sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterbringen und versorgen müssen. Der Bund hingegen hält an der Vereinbarung mit den Ländern aus dem vorigen Jahr fest, wonach eine Gesamtpauschale unabhängig von den tatsächlichen Flüchtlingszahlen reicht.
Aber es gibt einen Hinweis auf die möglichen Kosten in einem Länder-Papier vom Wochenende. Demnach gehen die Länder davon aus, dass die 2015 vereinbarte Pro-Kopf-Pauschale von 670 Euro heute nicht mehr ausreicht. Es ergäbe sich mittlerweile ein Betrag von etwa 1000 Euro je Flüchtling, also ein Plus von etwa 50 Prozent. 2021, als die 670-Euro-Pauschale auslief, gab es gut 148.000 Erstanträge auf Asyl. Auf der Basis wurde die Pro-Kopf-Pauschale durch eine jährliche Gesamtzahlung des Bundes in Höhe von 1,25 Milliarden Euro ersetzt.
Der Bund muss seine Steuerquellen pflegen.
Aus einem Papier der Ministerpräsidenten
Nun aber liegt die Zahl der Erstanträge deutlich höher – 2022 waren es knapp 218.000 Fälle, im laufenden Jahr sind es bereits mehr als 80.000. Nimmt man die nach der Länderrechnung nötigen 1000 Euro pro Monat noch hinzu, kommt man grob auf etwas mehr als eine Verdopplung der Belastung der Länder. Ergo liefe eine neue Pro-Kopf-Pauschale des Bundes auf eine Verdopplung der bisherigen Jahrespauschale von 1,25 Milliarden Euro hinaus – nur eben flexibilisiert je nach Flüchtlingszahlen.
Es geht auch um Menschen aus der Ukraine
Aber die Länder haben weitere Wünsche. Sie wollen, dass der Bund die Unterkunftskosten von Geflüchteten, die über Sozialleistungen versorgt werden, komplett übernimmt (bisher zahlt er 75 Prozent). Das betrifft derzeit die Menschen aus der Ukraine.
Da es mehr sind als im vorigen Jahr angenommen, und sie auch länger bleiben werden, wollen die Länder zudem die bisherige Gesamtpauschale des Bundes für Ukraine-Flüchtlinge in Höhe von 1,5 Milliarden Euro ausweiten. Alles in allem aber geht es nicht um eine Riesensumme – man bewegt sich im unteren bis mittleren einstelligen Milliardenbereich.
Wem geht es schlechter?
Der Bund ist der Meinung, Länder und Kommunen hätten genügend eigene Mittel, um diese Zusatzbelastung allein zu stemmen – und er sei finanziell schlechter gestellt. Die Länderseite wiederum will das nicht einsehen und argumentiert, die Ampel wolle ihre internen Etatprobleme zu ihren Lasten lösen. Zwei Punkte halten die Länder der Koalition im Bund vor allem vor: eine verfehlte Zinspolitik und eine falsche Steuerpolitik.
An diesem Mittwoch wieder: Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Vorsitzenden-Duo der Ministerpräsidentenkonferenz, Stephan Weil aus Niedersachsen (links) und Hendrik Wüst aus Nordrhein-Westfalen. © iImago/Fotostand/Reuhl
In einem Länder-Papier steht daher sehr unverblümt: „Die relativ hohen Defizite des Bundeshaushalts sind nicht durch stark erhöhte Zahlungen an die Länder verursacht, sondern fallen breit gestreut über eine Vielzahl von Ausgabenbereichen im Bundeshaushalt an.“ Will heißen: Die Ampel hat ihren Etat nicht im Griff.
Was die Zinspolitik betrifft, läuft der Vorwurf schlicht auf falsches Schuldenmanagement hinaus. Während die Länder sich zugutehalten, sich längerfristig niedrige Zinsen gesichert zu haben, indem sie sich langfristiger verschuldeten, werfen sie dem Bund vor, er habe sich durch seine jahrelange Politik einer sehr kurzfristigen Verschuldung zu Nullzinsbedingungen zwar zunächst deren Vorteile gesichert, die nun aber „zu mittelfristig signifikant höheren Zinsausgaben führen“.
Falsche Zinspolitik?
Gemeint ist damit zweierlei. Zum einen muss er die kurzfristigen Anleihen mit Nullzins nun mit Anleihen ablösen, bei denen die Käufer aktuell einen deutlich höheren Zins verlangen. Zum anderen stockt der Bund laufend ältere Anleihen aus der Niedrigzinsphase auf. Damit sichert er sich zwar auf einige Jahre hinaus noch relativ geringe Zinszahlungen, aber er muss Abschläge auf den Kaufkurs gewähren.
Die wiederum verbucht Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf einen Schlag als Zinskosten. Nicht zuletzt deswegen ist die Zinslast im Bundesetat binnen eines Jahres von vier auf 30 Milliarden Euro gestiegen und wird 2024 auf 40 Milliarden wachsen. Würde Lindner diese Summe auf mehrere Jahre strecken, hätte er mehr Spielraum im Etat – für Ampel-Vorhaben wie für Wünsche von Ländern und Kommunen.
Und zur Steuerpolitik konstatiert das Länder-Papier, dass die Länder ihre eigene Steuerbasis im vergangenen Jahrzehnt um 45 Milliarden Euro erhöht hätten, während die des Bundes um drei Milliarden geschrumpft sei. Ein Grund dafür ist zwar die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Aber der Vorwurf der Länder läuft darauf hinaus, dass der Bund es versäumt hat, sich adäquat zu refinanzieren. Im Papier heißt es: „Der Bund muss seine Steuerquellen pflegen.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de