Brückenbauer Humboldt: Begegnung mit dem Himmlischen Reich
© imago images/Pictures From Histo Brückenbauer Humboldt: Begegnung mit dem Himmlischen Reich
Kann es einen chinesischen Alexander von Humboldt geben? fragt der Romanist Ottmar Ette – und baut ein Forschungszentrum in Changsha auf.
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Alexander von Humboldt hat es nicht bis nach China geschafft. Nur fast: Auf seiner großen russisch-sibirischen Reise im Jahr 1829 erweiterte der preußische Naturforscher eigenmächtig die von den zaristischen Behörden vorgesehene Reiseroute und ließ sich bis zum Altai-Gebirge, bis zur chinesischen Grenze kutschieren.
„Morgen fahren wir in den schrecklichen Wagen dieses Landes zum chinesischen Posten, so dass wir mit dem Himmlischen Reich in Berührung kommen werden“, schrieb er aus dem Fort Ust-Kamenogorsk an seinen Bruder Wilhelm nach Gastein. „So etwas vergisst man im Leben nicht mehr.“
Sie empfingen uns mit großem Ernst, was sehr vergnüglich war
Alexander von Humboldt, Naturforscher
Im Grenzlager angekommen trafen Humboldt und seine Begleiter auf zwei chinesische Kommandanten. „Sie waren in Seide gekleidet, mit einer hübschen Pfauenfeder an der Mütze, und empfingen uns mit großem Ernst, was sehr vergnüglich war“, berichtete er dem befreundeten Physiker François Arago.
„Im Tausch gegen ein paar Ellen Tuch und roten Samt schenkte man mir ein chinesisches Buch in fünf Bänden, ein geschichtliches Werk, das mir teuer sein wird als Andenken an diesen kleinen Ausflug.“ Danach ging es zurück ins Zarenreich.
Ein neues Humboldt-Zentrum in China
Anders als in Lateinamerika, wo er von 1799 bis 1804 zu Fuß, auf Maultieren und in Booten unterwegs war, konnte Humboldt also keine eigenen Erfahrungen in China sammeln. Das heißt aber nicht, dass er sich nicht mit dem Reich der Mitte beschäftigt hätte – im Gegenteil.
„Humboldt war fasziniert von China. Er stand in engem Austausch mit französischen Sinologen, war vertraut mit der altchinesischen Tradition, interessierte sich für die geologischen Verhältnisse, auch für die dortigen Methoden des Bergbaus“, so der Humboldt-Forscher Ottmar Ette.
Ette, bis Mai dieses Jahres Romanist an der Universität Potsdam und Autor zahlreicher Bücher, darunter „Alexander von Humboldt und die Globalisierung“ (2019) und zuletzt des Romans „Zwei deutsche Leben“ (erscheint Anfang Oktober), ist überzeugt: Humboldt und China wissenschaftlich zusammenbringen, hier ein neues Forschungsfeld quasi zu erfinden, ist eine lohnende Aufgabe.
Denn: „Humboldt ist der ideale Brückenbauer“, sagte Ette im Rahmen des jährlichen Humboldt-Abends des Akademienvorhabens „Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung“. Das Forschungs- und Editionsvorhaben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2015 gegründet, soll noch bis 2033 laufen und umfasst die vollständige Edition der Manuskripte Alexander von Humboldts zum Themenkomplex Reisen. Dazu gehört auch das „Proyecto Humboldt digital“, das digitale Editionen von Dokumenten rund um Humboldts Aufenthalt in Havanna fördert und von dem Tobias Kraft berichtete.
Auf Kuba ist Humboldt als Kritiker der Sklaverei sehr bekannt. Um den Brückenbauer Humboldt auch in China, also gewissermaßen trikontinental, zu verankern, hat Ette das „Humboldt Center for Transdisciplinary Studies“ in Changsha gegründet, der Hauptstadt der Provinz Hunan mit 11 Millionen Einwohnern.
Ottmar Ette, Romanist an der Universität Potsdam und Autor vieler Bücher über Alexander von Humboldt. © Uni Potsdam
Das Zentrum ist an der Hunan Normal University angesiedelt und hat 2019 seine Arbeit aufgenommen. Unabhängig von aktuellen politischen Konfliktlinien gelte es, so Ette, Anknüpfungspunkte zu finden für eine gemeinsame Beschäftigung mit dem Denker, der ein „anderes Modell europäischer Moderne“ verkörpere als das kolonialistische, eurozentrische.
Humboldt als „erster Theoretiker der Globalisierung“ stehe für ein weltumspannendes Denken, das ein friedliches Zusammenleben verschiedener Völker anstrebe. Gerade in Zeiten der Aufspaltung der Welt in Blöcke sei es eine Verpflichtung, daran zu erinnern und die Kanäle des Austauschs auf der Ebene von Wissenschaft und Kultur offenzuhalten.
Dazu ist zunächst einmal Textkenntnis erforderlich: Die Wissenschaftlerin Gao Hong hat Humboldts Hauptwerk „Kosmos“ ins Chinesische übersetzt. Eines der Forschungsprojekte am Center widmet sich etwa der Frage, inwieweit Humboldts ganzheitliches Denken, das nicht zwischen „Kultur“ und „Natur“ unterscheidet, sondern vor allem Wechselwirkungen und Verbindungen betont, Ähnlichkeiten mit dem chinesischen Taoismus aufweist.
„Humboldt strahlt nicht nur nach Westen, auch nach Osten“, sagte Ette. Vorerst klingt das ein wenig wie eine Beschwörung: Denn noch ist in China Goethe deutlich bekannter als Humboldt – auch wenn der Dichter es, anders als sein weitgereister Freund, nur bis Italien geschafft hat.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de