„Berlin hat keinen Personenkult verdient“: Giffeys Karriere in der SPD könnte sich dem Ende neigen
© dpa/Jörg Carstensen „Berlin hat keinen Personenkult verdient“: Giffeys Karriere in der SPD könnte sich dem Ende neigen
Nach dem knappen Mitgliedervotum mehren sich kritische Stimmen. Es gibt den Vorschlag, sich an der Bundes-SPD ein Vorbild zu nehmen, um eine neue Führung zu finden.
Noch am Abend der Bekanntgabe hatten sich die SPD-Parteivorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh sichtlich bemüht, ihre Interpretation des Ergebnisses des Mitgliedervotums zu setzen: Beide sprachen von einem „klaren Ergebnis“, Giffey sogar von einem „deutlichen Abstand“ zwischen Ja- und Nein-Stimmen – bei 54,3 Prozent Zustimmung und 45,7 Prozent Ablehnung. Doch viele in der Partei teilen die Interpretation des Ergebnisses nicht.
Es mehren sich Stimmen, die die Kommunikation der Landesvorsitzenden kritisieren und eine personelle Neuaufstellung der Parteispitze fordern.
„Ich bin zunehmend verwundert über die Kommunikation, die wir als SPD an den Tag legen“, sagte SPD-Politiker Kevin Hönicke, der stellvertretender Bürgermeister und Baustadtrat in Lichtenberg ist, dem Tagesspiegel. „Das Wahlergebnis, der Weg in eine Koalition mit der CDU und das Ergebnis des Mitgliederentscheids hätten Demut verlangt und nicht ständig Superlative.“ Hönicke ist auch Mitglied im SPD-Landesvorstand.
Der Politiker kritisiert die Fixierung auf bestimmte Persönlichkeiten, ohne dabei allerdings konkrete Namen zu nennen: „Berlin hat endlich eine ordentliche Regierung und keinen Personenkult verdient. Meine Mutterstadt hat schon viele Politiker erlebt, überlebt oder genießen dürfen“, sagte er. „Niemand ist unersetzlich“. Er erwarte, dass die Partei nun endlich ordentlich regiere und damit die Öffentlichkeit erreiche.
Bewerbungsprozess im Bund?
Tatsächlich sind die Personaldebatten bereits im vollen Gange. Der Neuköllner Bundestagsabgeordnete Hakan Demir hatte sich am Sonntagabend auf Twitter für eine Trennung von Spitzenparteiämtern und Regierungsposten ausgesprochen.
Ich wünsche mir, dass wir ähnlich wie auf Bundesebene vorgehen.
SPD-Bundestagsabgeordneter Hakan Demir
Um neue Führungspersonen zu finden, möchte er sich ein Beispiel an der Bundes-SPD nehmen: „Ich wünsche mir, dass wir ähnlich wie auf Bundesebene vorgehen“, sagte Hakan Demir dem Tagesspiegel am Montag. 2019 hatte die Bundes-SPD in einer Mitgliederbefragung unter sechs Kandidatenpaaren eine neue Parteispitze gesucht.
Demir ist da mit Blick auf den Prozess in Berlin offen. Wichtig sei die Aufstellung mehrerer möglicher Führungsduos, die sich auf dem Parteitag 2024 zur Wahl stellen könnten. „Die Breite der Partei sollte durch die Kandidaturen sichtbar sein“, sagt Demir.
Parallel zu diesem Prozess müsse es eine tiefgreifende Problemanalyse geben. „Wir müssen in den Gremien ausloten, wie der Prozess der Neuaufstellung aussehen kann. Ich rufe alle auf, daran mitzuwirken.“
Landesvorsitzende sind für zwei Jahre gewählt
Dass die Parteispitze schon vor 2024 ausgewechselt werden könnte, gilt als unwahrscheinlich. Der Hintergrund: Ende Mai findet zwar schon der nächste Landesparteitag der Berliner Sozialdemokraten statt. Doch die Wahl der Landesvorsitzenden steht dann nicht an. Sie sind immer für zwei Jahre gewählt – die neue reguläre Neuwahl ist erst in der ersten Jahreshälfte 2024 geplant.
Eine personelle Neuaufstellung bereits im Mai wäre wohl kaum durchsetzbar. Die Hürden dafür liegen hoch. Zwar gäbe es theoretisch die Möglichkeit, einen Abwahlantrag zur Parteispitze einzubringen. Dieser bräuchte aber eine Zweidrittelmehrheit. Selbst unter den Befürwortern personeller Veränderungen gilt es als unwahrscheinlich, dass diese erreicht würde.
Die Vielzahl an Stimmen, die sich Neuerung wünschen, könnte darauf hindeuten, dass Giffeys Parteikarriere in absehbarer Zeit ein Ende findet. Sie wäre dann, sollte es dazu kommen, ab 2024 nur noch Senatorin. Ob sich ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh in so einem Fall halten könnte, ist fraglich. Er wird der neuen Regierung nicht angehören, aber weiterhin Fraktionsvorsitzender bleiben – wie bereits seit 2011. Er müsste gut begründen, inwiefern er für einen Neuanfang stünde.
Ob es wirklich zu einer personellen Neuaufstellung kommt, hängt wohl auch davon ab, wie viel Druck die innerparteilichen Kritiker bis dahin machen.
Wie Demir hatten sich auch die Jusos, die gegen die Koalition mit der CDU mobil gemacht hatten, noch am Abend der Ergebnisbekanntgabe für eine Trennung von Spitzenparteiämtern und Regierungsposten ausgesprochen. Ein Blick in die Bundespartei zeige, dass die SPD davon profitiere, sagte die Juso-Vorsitzende Sinem Taşan-Funke.
Mit Blick auf die tiefe Spaltung der Partei fordern auch die Berliner Abgeordneten Mathias Schultz und Linda Vierecke eine „Neuaufstellung“. Ähnlich äußerte sich die Abgeordnete Tamara Lüdke sowie der Vorsitzende der SPD Mitte, Yannick Haan, sowie Ben Schneider, Vorsitzender SPD Marzahn-Nord. Sie alle erwarten von ihrer Partei einen „Neuanfang“. Auch die SPD-Bundestagsabgeordneten Annika Klose und Ruppert Stüwe äußerten sich ähnlich.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de