Beim letzten Staatsbesuch aus Frankreich: Als Jacques Chirac eine europäische Verfassung vorschlug
© Imago/Photothek/Thomas Imo Beim letzten Staatsbesuch aus Frankreich: Als Jacques Chirac eine europäische Verfassung vorschlug
Nach fast einem Vierteljahrhundert ist mit Emmanuel Macron wieder ein französischer Präsident eingeladen. Sein Vorgänger hielt eine Rede im Bundestag.
Von Hans Monath
23 Jahre ist es her, seit das letzte Mal ein französischer Präsident zu einem Staatsbesuch nach Deutschland kam. Damals hielt Jacques Chirac eine Rede im Deutschen Bundestag und legte ein Jahr nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin den Grundstein für die französische Botschaft am Pariser Platz. Die deutsche Hauptstadt war noch im Werden.
Für Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ist die Erinnerung an den Chirac-Besuch ein Hoffnungszeichen, dass auch der am Sonntagabend bevorstehende Staatsbesuch von Emmanuel Macron neue Impulse geben kann.
Auch damals hätten Deutschland und Frankreich gestritten, die Einführung des Euro stand bevor und die EU-Osterweiterung von 2004. „Beides gelang, weil nationale Interessen den langfristigen, gemeinsamen untergeordnet wurden“, urteilt der Experte. Die Einheit Europas habe immer davon gelebt, gemeinsame Antworten auf große Fragen zu finden. Macrons Staatsbesuch sei deshalb eine Chance zum Aufbruch – für die bilateralen Beziehungen und auch die EU.
Weder Sie Deutsche noch wir Franzosen wollen einen europäischen Superstaat, der an die Stelle unserer Nationalstaaten treten und deren Ende als Akteure auf der internationalen Bühne markieren würde.
Jacques Chirac, damaliger Präsident Frankreichs im Juni 2000 vor dem Deutschen Bundestag
Im Plenum des Bundestags würdigte Chirac damals in seiner Rede am 23. Juni 2000 die als historisch bezeichnete Entscheidung der Deutschen, erstmals nach über einem halben Jahrhundert wieder Soldaten zu einem Kampfeinsatz ins Ausland zu entsenden. Die Bundeswehr hatte sich im Jahr zuvor mit Tornado-Kampfflugzeugen an der militärischen Intervention der Nato-Luftstreitkräfte im Kosovo-Konflikt beteiligt.
Zudem bekräftigte der Staatspräsident den Wunsch seines Landes, dass Deutschland einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen erhalten solle, „in Anerkennung seines Engagements, seines Ranges als Großmacht und seines internationalen Einflusses“.
Auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik der Europäischen Union sprach Chirac schon an. Der ethische Anspruch der Europäischen Union, sich für den Frieden und das Ende von Barbarei, für die Würde eines jeden Menschen einzusetzen, rechtfertige es, dass sich Europa unter Achtung seiner Bündnisse künftig die Mittel für eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik gebe, argumentierte er.
Mit Blick auf die damals bevorstehende Ratspräsidentschaft seines Landes in der Europäischen Union führte Chirac weiter aus, die EU sei nach Ansicht vieler Europäer zu abstrakt und kümmere sich nicht um ihre wirklichen Belange.
Dazu zählten Wachstum, Beschäftigung und Ausbildung, Justiz und Sicherheit, die Bekämpfung des illegalen Drogenhandels und der Schlepperkriminalität sowie Umwelt und Gesundheit. In all diesen Bereichen gelte es bis Ende dieses Jahres weiterzukommen. Die EU müsse zudem demokratischer werden.
Anfang Juni hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Abendessen in seinen Wohnort Potsdam getroffen. Nun ist Macron vom Bundespräsidenten zum dreitägigen Staatsbesuch eingeladen. © picture alliance/dpa/dpa Pool/Michael Kappeler
Der europäische Einigungsprozess sei bislang allzu sehr das Werk der Politiker und der Eliten gewesen. Demokratie in Europa müsse nun – insbesondere durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente – mit mehr Leben erfüllt werden.
Chriac betonte betonte die Einzigartigkeit der EU-Institutionen
Auch Überlegungen zu einer institutionellen Neugründung der EU stellte der Präsident an. „Weder Sie Deutsche noch wir Franzosen wollen einen europäischen Superstaat, der an die Stelle unserer Nationalstaaten treten und deren Ende als Akteure auf der internationalen Bühne markieren würde“, sagte er seinen Zuhörern.
Die „Macht Europa“, so Chirac weiter, brauche schließlich solide Institutionen und einen effizienten und legitimen Entscheidungsmechanismus. Dabei müsse das Mehrheitsvotum „seinen angemessenen Platz“ haben und das jeweilige Gewicht der EU-Mitgliedstaaten spiegeln.
Er betonte die Einzigartigkeit der Institutionen der EU und die Notwendigkeit, die Dynamik des europäischen Integrationsprozesses durch die Bildung einer „Avantgarde-Gruppe“ zu sichern. Länder in der EU, die in der Integration weiter voranschreiten wollten, solle dies auf freiwilliger Basis und bei bestimmten Projekten ermöglicht werden.
Dazu solle kein neuer Vertrag mit neuen Institutionen geschlossen, sondern als „flexibler Koordinierungsmechanismus“ nur ein „Sekretariat“ geschaffen werden, das „in dieser Gruppe für Kohärenz zu sorgen hätte“.
Ergänzend solle nach dem Treffen des Europäischen Rates in Nizza Ende 2000 damit begonnen werden, die institutionellen Fragen Europas zu lösen, schlug Chirac vor. Dieser Prozess könne dann in einigen Jahren zur Proklamation einer „Europäischen Verfassung“ führen.
Tatsächlich erarbeitete ein Europäischer Konvent einen EU-Verfassungsvertrag, der 2004 von den Staats- und Regierungschefs der EU unterzeichnet wurde.
Doch dieser trat nie in Kraft, weil ein Jahr später Referenden über ihn in den Niederlanden und in Frankreich scheiterten. In dem Land, das Chirac repräsentierte, sprachen sich fast 56 Prozent gegen die Annahme des Vertrages aus.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de