Aus Ablehnung wird Verachtung: Kanzler Scholz findet keine Botschaft
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Aus Ablehnung wird Verachtung: Kanzler Scholz findet keine Botschaft
Die Ampel auf Rekordtief und ein Kanzler, der unbeliebt ist und wie erstarrt wirkt: Zwei weitere Jahre mit dieser Regierung sind nur schwer zu ertragen.
Ein Kommentar von Daniel Friedrich Sturm
Nicht einmal jeder dritte Deutsche würde heute für die Ampel-Koalition stimmen. Die SPD kommt bei der Sonntagsfrage nur noch auf 13 Prozent, halb so viel wie bei der Bundestagswahl 2021. Die AfD stabilisiert sich auf hohem Niveau.
Am Montag, dem Höhepunkt der Bauernproteste, überließ er es dem Finanzminister, vor demonstrierenden Bauern und Spediteuren zu reden und sich auspfeifen zu lassen. Die Bauernverbände wurden nicht etwa von der Regierung, sondern von den Ampel-Fraktionschefs zum Gespräch eingeladen.
Am Wochenende hatte der Kanzler eine Videobotschaft verbreiten lassen, in der er zu „Maß und Mitte“ aufrief, vor „Wut oder Missachtung für demokratische Prozesse und Institutionen“ warnte. Am Mittwoch ist Kabinett, am Donnerstag will Scholz „Karnevalisten aus ganz Deutschland“ im Kanzleramt empfangen.
Während das Land verrückt spielt, betreibt Olaf Scholz business as usual. Scholz bleibt äußerlich ruhig, gelassen, stoisch. Nicht viele können darin eine angemessene Antwort auf den Frust weiter Teile der Bevölkerung erkennen.
Das Ansehen des Kanzlers fällt auf ein Rekordtief, mit sinkender Tendenz. Die protestierenden Bauern finden breite Zustimmung in der Bevölkerung. Sozialdemokratische Ministerpräsidenten fallen Olaf Scholz in den Rücken. Selbst unter den Treuesten der Treuen in der SPD wächst der Unmut über den Kanzler. Und Handballfans pfeifen Scholz beim Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft am Sonntagabend aus.
Angela Merkel stand nicht einen Moment so verloren da
Scholz erleidet einen Vertrauensverlust, den so dramatisch und so rapide noch kein Vorgänger erlebt hat. Angela Merkel regierte 16 Jahre lang, nicht einen Moment lang stand sie so verloren da wie Scholz heute.
Kein Zweifel: Es ist etwas in Rutschen gekommen. In Teilen der Bevölkerung – Handballfans gelten ja gemeinhin nicht als rechtsradikal unterwandert – wird aus Ablehnung Verachtung.
Über Scholz’ Ansage von Ende 2021, die Ampel wolle über eine Wahlperiode hinaus regieren, spottet das halbe Berliner Regierungsviertel. Der Kanzler hat seine Regierung für alle sichtbar geradewegs in die Sackgasse geführt. Wer soll der Ampel-Koalition noch vertrauen, wo sie sich selbst zutiefst misstraut?
Der Niedergang lässt sich mit dem Dauerstreit in der Koalition allein nicht erklären, der Verweis auf Grüne und FDP greift zu kurz. Es liegt auch an Scholz selbst. Sparsam an Emotion und erkennbarer Empathie, hat er bisher keine Geste, kein Wort, keine Botschaft gefunden, um die Bürger zu gewinnen.
Halt, Orientierung, Zuversicht – all das müsste er jetzt bieten, und tut es nicht. Scholz wirkt in diesen kalten Tagen noch kühler, noch weniger fassbar als ohnehin schon, fast schon erstarrt. So leistet er ungewollt Parolen von Populisten und Verschwörungstheoretikern Vorschub, „die da oben“ scherten sich nicht um die Anliegen der „einfachen“ Bürger, der Kanzler sei von der Bevölkerung entkoppelt.
Scholz’ gebrochene Versprechen
Vielleicht ist der tiefere Grund für den Ansehensverlust die Enttäuschung über zwei gebrochene Versprechen. Scholz gewann die Bundestagswahl 2021 mit der Botschaft an die Bürger, sie nicht mit den Veränderungen (Digitalisierung, globaler Wettbewerb, Demografie, Aufstieg autoritärer Regime) zu behelligen. Mit Geld stopfte er alle Finanzlöcher. Krisen und Kriege aber haben Scholz’ paternalistisches Versprechen im Grunde unhaltbar gemacht.
Für sein gebrochenes Versprechen, er werde das Land handwerklich solide regieren, wird Scholz schon lange abgestraft. Seine Masche, sich – im Gegensatz zu Annalena Baerbock und Armin Laschet – als einziger Erwachsener im Raum zu präsentieren, erscheint heute als maßlose Selbstüberschätzung. Nichts davon hielt er ein.
Status-quo-Politiker Scholz
Olaf Scholz hat zeit seines Lebens als Politiker den Status quo verteidigt und mit sozialdemokratischen Sozialstaats-Gaben garniert, Rentengarantie, anderen Dingen. Erfahren und, ja, solide steuerte er große Apparate, ob in Berlin oder Hamburg. Bei Disruptionen, bei unvorhergesehenen Ereignissen (G-20-Gipfel Hamburg!) hingegen erschien Scholz schwach, getrieben, überfordert.
Nun erweist sich die Lage als unübersichtlicher denn je. Krise und Kriege plagen Europa und seine Nachbarschaft. Und jetzt begehren auch noch die Bauern auf. Die Ampel-Koalition steht mit dem Rücken zur Wand. Die Vorstellung, dass sich diese Regierung, dieser Kanzler noch knapp zwei Jahre lang derart durchschleppen werden, ist nur schwer zu ertragen.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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