“Anthropozän”-Diskussion: Der Mensch verbleibt im Holozän
© Alamy Stock Photo "Anthropozän"-Diskussion: Der Mensch verbleibt im Holozän
Geologen haben die erdgeschichtliche Epoche, in der wir leben, neu eingeteilt. Ein „Anthropozän“, Zeitalter des Menschen, gibt es demnach noch gar nicht.
Von
“Anthropozän” soll es heißen, das neue, jetzige Erdzeitalter. So wollen es manche Geologen und andere Forscher zumindest. Wären da nicht die offiziellen Zuständigkeiten. Denn einzig und allein der „International Union for Geological Science“ (IUGS) obliegt die Einteilung der geologischen Zeitskala. Zehn Jahre lang haben deren Experten sich beraten – und heraus kam: Die aktuelle Epoche ist und bleibt das „Holozän“. Es wird nur seinerseits nun in drei Teilzeitalter unterteilt.
Milde für den Menschen
Das geologische Startsignal des Holozäns haben Geologen im grönländischen Eispanzer gefunden, der sich während der vergangenen Jahrtausende nach und nach aufeinandergeschichtet hat. In einer Tiefe von 1492 Metern zeigt der im Eis eingeschlossene Sauerstoff an, dass vor ziemlich genau 11 700 Jahren die Temperaturen auf der Erde deutlich zu steigen begannen. In dem vergleichsweise milden Klima des Holozäns, das seither auf der Erde herrscht, hat sich die Menschheit aus ihrem kargen Dasein als Jäger und Sammler zu unserer heutigen modernen Zivilisation entwickelt.
Die neue Unterteilung des Holozäns sieht nun so aus: Sie beginnt mit dem „Grönländischen Zeitalter“. Danach folgt das „Northgrippianische Zeitalter“, eingeleitet von einer geringen, aber deutlichen Abkühlung vor 8326 Jahren. Der Name geht zurück auf das „North Greenland Ice Core Project“, abgekürzt „NorthGRIP“, in dessen Eisbohrkernen die Abkühlung ihre Spuren hinterlassen hatte. Als Ursache der sinkenden Temperaturen vermuten Forscher Süßwasser, das von schmelzenden Gletschern in den Nordatlantik strömte und etwa den Golfstrom beeinflusste.
Auch das dritte, jüngste Zeitalter innerhalb des Holozäns, das „Meghalayan“, wurde den Experten des IUGS zufolge von einem Klima-Ereignis eingeleitet: Vor 4250 Jahren schwächte sich der Monsun ab. Der ausbleibende Monsunregen verursachte eine Dürre, die 200 Jahre lang anhielt. Die Folgen für Kulturen in Ägypten, Griechenland, Syrien, Palästina, Mesopotamien, sowie in den Tälern des Indus und des Yangtze waren verheerend. Die Forscher fanden die Signatur der Trockenheit in einer Tropfsteinhöhle im indischen Bundesstaat Meghalaya: In einem Stalagmiten entdeckten sie eine Schicht mit einem deutlich veränderten Isotopenverhältnis von Sauerstoff-Atomen. „Die Isotopenverschiebung spiegelt eine Abnahme der Monsun-Regenfälle um 20 bis 30 Prozent wider“, so Mike Walker, der Leiter der Wissenschaftlergruppe, die die neue Einteilung des Holozäns kürzlich vorgeschlagen hatte.
Nicht alle Geologen folgen der gleichen Logik
Viele seiner Kollegen zeigten sich aber überrascht davon, dass dieses vergleichsweise kleine Klimaereignis nun gleich ein neues Sub-Zeitalter einleiten soll. „Diese Entscheidung richtet sich ganz eindeutig gegen die Einschätzung der meisten Wissenschaftler darüber, welche Veränderung auf der Erde die wichtigste war während der vergangenen 10 000 Jahre“, sagt Mark Maslin vom University College London. Diese Veränderung sei eindeutig das Aufblühen von „Anthropos“, Altgriechisch für „Mensch“. Viele Wissenschaftler, aber auch Ökologen, Philosophen, Pädagogen und Politiker hatten von der Zeitskalen-Kommission nicht nur drei kleine neue Zeitalter innerhalb des Holozäns erwartet. Schon lange forderten sie vielmehr das Holozän zu beenden und das „Anthropozän“ auszurufen. Denn die Menschheit sei die gestaltende geologische Kraft des Planeten geworden.
Dieser Streit um das Für und Wider einer Menschheits-Epoche der Erdgeschichte hat längst eine kulturelle Dimension erlangt, weit jenseits des sehr akademischen Fokus’ der IUGS: Würde das Anthropozän nicht viele Impulse liefern für das Nachdenken über die Rolle der Menschen auf ihrem Heimatplaneten? Sind wir tatsächlich die Krone der Schöpfung mit weiterhin glänzenden Zukunftsaussichten? Oder wäre das Anthropozän das Menetekel unseres drohenden Untergangs? Könnte die Diskussion vielleicht sogar die kulturelle Kraft entfalten, ein ganz neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu begründen?
Dass die Diskussion notwendig ist, bestreitet kaum jemand: Lebten zu Beginn des Holozäns noch geschätzt drei bis vier Millionen Menschen auf der Erde, sind es heute mehr als 7,5 Milliarden, die den Planeten nach ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gestalten. Es gibt kaum noch Orte mit wirklich unberührter Natur. Auf einem Großteil der nutzbaren Erdoberfläche wächst Nahrung für Menschen. Die notwendige Düngung übertrifft mittlerweile den natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde um ein Vielfaches. Unmengen Erde und Bodenschätze werden umgewälzt – und wie nie zuvor Rohstoffe unter großem Energieeinsatz umgewandelt.
Anthropo-Zukunft oder Anthropo-Zuende?
Doch wenn die Geologen tatsächlich die Epoche „Anthropozän“ schaffen wollten, müssten sie als erstes die Frage klären: Wann hat es begonnen? Welche Hinterlassenschaft der Menschheit könnte noch unseren fernen Nachfahren verraten, wann die menschgemachte Veränderung der Natur so richtig Fahrt aufgenommen hatte: Mehr Nitrat im Boden? VielPlastik im Meer? Überschreiten einer bestimmten Kohlendioxid-Schwelle in der Luft? Oder die Ablagerung von radioaktivem Staub in der Biosphäre ab der ersten Zündung einer Atombombe 1945? Alle diese geologischen Startsignale würden das Anthropozän als Epoche ausweisen, in der die größte Gefahr für die Menschheit sie selber geworden war.
Anthropozän-Befürworter hoffen, der Begriff könnte auch eine Epoche der Erkenntnis einleiten: Zentral wäre die Einsicht, dass das Ergebnis konsequenter Fortführung des menschlichen Wirkens auf einem kleinen Planeten mit 13000 Kilometern Durchmesser unweigerlich ein Total-Debakel wäre – Ende von Anthropos und Anthropozän inclusive. Die Leitfrage des Anthropozäns wäre also jene, die schon der Philosoph Bertrand Russell stellte: „Wie können wir die Menschheit dazu überreden, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen?“
Zur Startseite
- Umwelt und Natur
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de