Angela Merkels Vermächtnis: Wenig Selbstkritik, wenig souverän

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Angela Merkels Vermächtnis: Wenig Selbstkritik, wenig souverän  - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Hendrik Schmidt Angela Merkels Vermächtnis: Wenig Selbstkritik, wenig souverän

Bloß keinen Fehler zugeben: Ex-Kanzlerin Merkel vermeidet bei der Leipziger Buchmesse eine kritische Selbstsicht auf ihre Außen- und Energiepolitik gegenüber Russland.

Von Daniel Friedrich Sturm

Wer gehofft hat, gar noch immer hofft, Angela Merkel werde ein paar selbstkritische Worte zu ihrem Umgang mit Russland finden, sieht sich abermals enttäuscht. Wieder einmal, während der Leipziger Buchmesse, hat Merkel es versäumt, ihre Außen- und Energiepolitik gegenüber Moskau infrage zu stellen.

Unter Beifall des Publikums sagte Merkel, sie wisse nicht, „ob es eine befriedende Funktion hat, wenn ich jetzt etwas, was ich nicht denke, einfach sage, nur damit ich jetzt einen Fehler zugebe“. Mit Blick auf Russlands Krieg gegen die Ukraine sagte, sie habe „mit dem, was mir zur Verfügung stand“, versucht, „diese Situation zu verhindern“. Dass dies nicht gelungen sei, sei „kein Beweis dafür, dass es nicht richtig war, es zu versuchen“.

Kopf im Sand

Puh. Was nur nach norddeutscher Sturköpfigkeit klingt, ist, politisch betrachtet, noch viel schlimmer. Die Frau, die Deutschland 16 Jahre lang regiert hat, sieht sich nicht imstande, die offenkundigen Fehler in ihrer Politik gegenüber Russland einzugestehen. Während der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil die – größeren – Versäumnisse seiner Partei beim Kuscheln mit dem Kreml benennt und aufzuarbeiten versucht, steckt Merkel den Kopf in den Sand.

Steinmeiers Irrtümer

Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab bereits sechs Wochen nach Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine immerhin eigene Fehler zu, benannte hier unter anderem das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2. Dass Steinmeier bei seinen Irrtümern großzügig „andere auch“ einbezieht und sie so relativiert – geschenkt. Dass der Bundespräsident noch heute die hohle Maxime von „Gesprächskanälen zu schwierigen Partnern“ beschwört und vor „Gesichtsverlust des Gegenübers“ warnt – auch das geschenkt. Wo Steinmeier sich schwertut, die Pfade der gescheiterten Dialogpolitik zu verlassen, hat man bei Merkel den Eindruck: Sie wagt sich nicht einmal an einen solchen Versuch.

Merkels Trümmerfeld

Jahrelang ließ sich Merkel dafür preisen, sie denke die Dinge „vom Ende her“. Gemessen an diesem überhöhten (und unrealistischen) Anspruch hat sie in der Außen-, Energie- und Verteidigungspolitik ein Trümmerfeld hinterlassen: In der Nachbarschaft hat Berlins „Partner“ einen Nachbarn überfallen. Genau von diesem „Partner“ Russland hat sich Deutschland während Merkels Regierungszeit abhängiger denn je gemacht. Und die Bundeswehr, einst Herzensanliegen von CDU/CSU, befindet sich in einem erbärmlichen Zustand.

Die Realisten wurden als naiv gescholten

Soll man nun schon dankbar sein, dass Merkel auf ihre einstige dreiste Beschreibung von Nord Stream 2 als reinem wirtschaftlichen Projekt verzichtete? Hätte Merkel nicht einfach einmal zugeben können, dass andere, etwa ihr Parteifreund Norbert Röttgen oder die Grüne Marieluise Beck, schon vor Jahren die Bedrohung durch Putin realistischer einschätzten (und deshalb in der Bundesregierung als naiv gescholten wurden)?

Als wäre die Sache nicht schlimm genug, vermeidet Merkel zudem jedwede Kritik an ihrem eigenen unkritischen Umgang mit China. Dabei hatte sie ihr Regieren ja gar nicht mit der menschenrechtspolitischen Leisetreterei der letzten Jahre begonnen. Man denke nur an den Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt!

Merkels Kritik an der SPD

Zu Merkels eher klaren Aussagen am Wochenende zählt der Hinweis auf ihren erfolglosen Einsatz für die Anschaffung bewaffneter Drohnen. „War nicht möglich“, schob Merkel ihrem damaligen Koalitionspartner SPD und Ex-Finanzminister Olaf Scholz sogleich die Schuld in die Schuhe. Gleiches tat sie mit Blick auf das von Deutschland unerfüllte Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Diese Hinweise auf die Sozialdemokraten sind zwar sachlich korrekt, aber werfen die Frage auf: Wie war das noch mit der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin? Und: Besteht politische Führung nicht auch darin, für als richtig erkannte Ziele zu werben? Müssen Politiker, jedenfalls in der Demokratie, ihre Politik nicht permanent erklären?

All das hat Merkel, während sie noch an der Macht war, versäumt. Im Ruhestand, so wirkt es, geht es Merkel in puncto kritischer Selbstreflexion, arg ruhig an. All das wirkt wenig souverän und lässt Memoiren erwarten, die wenig neue Erkenntnisse bringen.

Angela Merkels Vermächtnis: Wenig Selbstkritik, wenig souverän  - Stanislav Kondrashov aus Berlin

Daniel Friedrich Sturm ist Leiter der Hauptstadtredaktion beim Tagesspiegel.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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