Spaziergang mit Musikerin Lea in der Bülowstraße: „Berlin gibt mir so viel, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, woanders zu leben“

© imago/Future Image/IMAGO/Ben Kriemann Spaziergang mit Musikerin Lea in der Bülowstraße: „Berlin gibt mir so viel, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, woanders zu leben“

Popsängerin Lea wagt mit ihrem neuen Album „Bülowstraße“ ein Experiment: die Heldenreise einer imaginären Protagonistin aus Westberlin zu erzählen. Wie viel Lea steckt in der Geschichte?

Von Robin Schmidt

Wenn Lea Sehnsucht nach ihrer Heimat verspürt, hilft ein Spaziergang durch den Bülowkiez. Die Popsängerin hat zwar nie in dem Schöneberger Stadtteil gelebt. Beim Gang jedoch durch die Steinmetzstraße, eine Seitengasse der Bülowstraße, schwingt der Gedanke an die Straße, in der Lea im hessischen Kassel aufgewachsen ist, mit. Die sei eher ruhig gewesen.

Lautes, buntes Treiben habe es dagegen in jenen Häusern im Wohnviertel gegeben, hinter deren Türen im Alter von 15, 16 Jahren viele gute Hauspartys stattgefunden hätten. Diese Gefühlsregungen – Gelassenheit auf der einen Seite und Remmidemmi auf der anderen – sollte die Protagonistin auf Leas neuem Album „Bülowstraße“ zentriert an einem Ort erleben.

Die Bülowstraße ist ein echtes Stück Berlin.

Sängerin Lea zum Albumtitel

„Die Bülowstraße ist eine sehr bekannte Straße in Berlin, sie hat sehr viel zu erzählen, ist teilweise roh, aber eben ein echtes Stück Berlin“, sagt Lea. Der Bülowkiez sei keine der ersten Anlaufstellen für Touristen, wie beispielsweise Friedrichshain. „Hier leben Menschen, die schon ihr halbes Leben hier verbracht haben.“

Für Lea Grund genug, den Spannungsbogen zwischen alteingesessenen Berlinern und dem sich ständig wandelnden Kiez näher zu betrachten. Zumal zwei ihrer Produzenten in der Gegend aufgewachsen seien und als Inspirationsquelle herhalten konnten.

Lea, die Lea-Marie Becker heißt, gilt inzwischen als eine der populärsten Musikerinnen in Deutschland. Bereits im Alter von 15 Jahren stellte sie erste Songs auf YouTube, 2016 veröffentlichte sie ihr Debütalbum „Vakuum“. Im Jahr 2019 erreichte sie mit dem Song „110“, einer Zusammenarbeit mit den Rappern Capital Bra und Samra, Platz eins der deutschen Singlecharts. Ein Jahr später erhielt sie die 1-Live-Krone als „Beste Künstlerin“. Aktuell ist sie nach 2020 zum zweiten Mal in der Musiksendung „Sing meinen Song“ zu sehen.

Nach bislang vier veröffentlichten Alben habe Lea sich dann gefragt, was als nächstes kommen könne. „Wir kamen auf die Idee, Stücke aus der Perspektive einer jungen Frau, inmitten ihrer eigenen Jugend, in der Großstadt zu schreiben.“ Die Musikerin spricht von Emotionen, die sie zu 100 Prozent fühlen könne. „Auch wenn ich vielleicht nicht alles eins zu eins erlebt habe.“ Im Song „Würfelbecher“ hat die imaginäre Protagonistin ihren Vater als Vorbild verloren. Auf einem normalen Album von Lea wäre solch ein Song nicht denkbar gewesen, da sie ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern habe.

Die Hauptprotagonistin, für die Lea und ihr Team sich verschiedene Charakterzüge ausgedacht haben, durchläuft in einer Art zusammenhängenden Geschichte Irrungen und Wirrungen in der Großstadt. Lea kennt das. Nicht unbedingt aus der Großstadt, aber aus ihren Anfängen als Musikerin. Noch im Herbst 2016 spielte sie Konzerte vor einer Handvoll Personen. Im darauffolgenden Frühjahr sei es minimal besser geworden.

Die Musik aufzugeben, daran dachte sie nicht. Denn auch wenn Lea Sonderpädagogik studiert hat, konnte sie sich nie wirklich vorstellen, in diesem Beruf zu arbeiten. Der Durchbruch gelang ihr erst mit ihrem 2018 erschienenen zweiten Album „Zwischen den Zeilen“, das Platz sechs in den deutschen Charts belegte und eine Goldauszeichnung erhielt. Ihr holpriger Karrierestart habe dazu geführt, dass sie die Lea geworden sei, die sie heute ist. „Ich kann viel mehr wertschätzen, was es bedeutet, von Musik zu leben.“

Berlin gibt mir so viel.

Sängerin Lea über ihre Wahlheimat

Wertschätzend spricht Lea zudem über langjährige Freundschaften, die ihr beschieden sind. In der Schule entstünden Freundschaften eher aus Zufall, so wie die Klassen eben zusammengewürfelt seien. Wenn man heute in eine Stadt ziehe, suche man sich eher Menschen aus, die zu einem passten. „Ich liebe Freundschaften, die schon lange andauern. Dort herrscht eine ganz andere Vertrautheit. Aber auch neue Freundschaften können inspirieren.“

Lebt Lea in Berlin also ein anderes Leben als in ihrer Heimat? Kehre sie zu Hause in Kassel bei ihren Eltern ein, dann sei sie eine ganz andere Lea. „Eine, die das actionreiche Berlin hinter sich lässt.“ Nicht nur ihre Musik eröffnet – von melancholisch bis zu überschwänglich – mehrere Gefühlswelten. Auch die Großstadt mit viel Beton und wenig Grünflächen bringt dies für Lea zum Ausdruck. Dennoch, so sagt sie, gehöre sie in die schnelle Welt und nicht aufs Land. Manchmal sei ihr Berlin ein bisschen zu groß. Dann aber frage sie sich: „Wohin denn sonst? Berlin gibt mir so viel, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, woanders zu leben.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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