Miles unter Druck: Brandstiftung und Betrugsvorwürfe erschüttern den Carsharing-Riesen aus Berlin

© imago/Jürgen Ritter/imago/Jürgen Ritter Miles unter Druck: Brandstiftung und Betrugsvorwürfe erschüttern den Carsharing-Riesen aus Berlin

Carsharing-Anbieter Miles hat nicht nur ein Problem mit dem Staatsanwalt. Dem Berliner Unternehmen setzen auch hohe Kosten und schwache Auslastung zu. Die Kunden werden Carsharing weiter nutzen, glauben Experten.

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Beim Carsharing-Anbieter Miles brennt die Luft – und zuletzt auch ein Teil des Fuhrparks. In Berlin gingen am vergangenen Wochenende und an den Tagen zuvor Miles-Fahrzeuge in Flammen auf. Die Polizei vermutet Brandstiftung und eine gezielte Attacke auf das Unternehmen. „Wir sind entsetzt“, wird eine Miles-Sprecherin zitiert. „Derartige Vorfälle sind neu für uns.“

Nachdem Miles wegen des Verdachts der Datenmanipulation und des Betrugs im großen Stil ins Visier der Polizei und Staatsanwaltschaft geraten ist, muss sich das Unternehmen mit einer Reihe unliebsamer Vorfälle beschäftigen. Eigentlich hatte Miles andere Pläne für das Jahr 2023, das mit einer Erfolgsmeldung zu Ende gehen sollte: Der Umsatz sollte auf bis zu 210 Millionen Euro mehr als verdoppelt und erstmalig ein Jahresüberschuss erzielt werden.

Stattdessen sichten Kriminalbeamte beschlagnahmte Akten und Datensätze, um den Verdacht zu erhärten, dass Miles das Land Berlin um bis zu 30 Millionen Euro Parkgebühren geprellt hat. Zum Stand der Ermittlungen äußert sich das Unternehmen nicht. Auch die Frage, ob es inzwischen einen Austausch mit dem Land Berlin und den Investoren gegeben hat und wie die Kundschaft auf die Betrugsvorwürfe reagiert, lässt Miles unbeantwortet.

Zweifelhafte Entlastung der Städte

Nach der rasanten Expansion – Miles übernahm vor einem Jahr die Carsharingflotte von Volkswagen – müssen Anteilseigner und Management um die notwendige Konsolidierung des Geschäfts und ihren Businessplan fürchten. Gleichzeitig wirft die Politik nun einen noch kritischeren Blick auf das Thema Carsharing. Denn die Anbieter des Freefloatingmodells ohne feste Stationen sind bis dato den Beweis schuldig geblieben, dass sie zu weniger Autoverkehr in den Metropolen beitragen.

Ob Carsharing tatsächlich die Städte vom Individualverkehr entlastet oder nicht, muss man wohl bezweifeln. Es gibt Studien, die beides belegen können.

Arnt-Philipp Hein vom Beratungsunternehmen Alix-Partners

„Ob Carsharing tatsächlich die Städte vom Individualverkehr entlastet oder nicht, muss man wohl bezweifeln. Es gibt Studien, die beides belegen können“, sagt auch Arnt-Philipp Hein vom Beratungsunternehmen Alix-Partners. Carsharing sei vielmehr ein Marketinginstrument der Autobauer. Hein glaubt nicht, dass Carsharing einen nachhaltigen Reputationsschaden erleiden würde, wenn Miles Probleme bekäme. „Das Geschäftsmodell des Carsharings bliebe intakt, selbst wenn sich die Betrugsvorwürfe gegen den größten Anbieter bestätigen sollten.“

Miles sei zwar der Anbieter mit den meisten Fahrzeugen im deutschen Markt, aber auch nur in elf Städten aktiv. Der „Abstrahleffekt“ auf die insgesamt knapp 250 Carsharing-Anbieter in Deutschland werde daher „eher limitiert“ sein. „Ein mit dem Service zufriedener Carsharing-Nutzer wird das Angebot auch weiter wahrnehmen – gegebenenfalls von einem anderen Anbieter“, sagt Hein.

Nur noch eine Handvoll bedeutsame Akteure

Welch schwierigen Stand geteilte Mobilitätskonzepte nach mehr als zehn Jahren haben, zeigt auch der „Mobility Services Report“ des Center of Automotive Management (CAM). Demnach führen eine mangelhafte Auslastung, hohe Betriebskosten, steigende Kapitalzinsen und allmählich ungeduldige Investoren „übergreifende Konsolidierungstendenzen“ auf dem Shared-Mobility-Markt. Darunter fallen auch multimodale Dienste, Micromobility und Fahrdienstvermittlung.

In der Folge gebe es nur noch eine Handvoll bedeutsamer Akteure, die immer häufiger hoch spezialisiert seien und über ausgeprägte Daten- und Plattform-Kompetenzen verfügten.

Hohe Kosten, geringe Auslastung

Ein Blick in den mit reichlich Verzögerung veröffentlichten Jahresabschluss 2022 von Miles verrät, wie hoch die Kosten sind. Bei einem Umsatz von knapp 91 Millionen Euro kam Miles auf Kosten für Material (Tanken, Kfz-Leasing, Versicherungen, Parkgebühren und anderes) in Höhe von knapp 66 Millionen Euro, Personalaufwendungen von 13,7 Millionen Euro und sonstigem Aufwand von 15,8 Millionen Euro. Unbereinigt lag das Betriebsergebnis bei minus zwei Millionen Euro, bereinigt kam ein mageres Plus von 400.000 Euro heraus.

Wie daraus im laufenden Jahr ein echter Jahresüberschuss werden soll, bleibt das Geheimnis von Geschäftsführer Oliver Mackprang und Finanzchef Eyvindur Kristjansson. „Der entscheidende Faktor ist die Auslastung“, sagt Arnt-Philipp Hein. Miles nennt keine Auslastung, gibt aber für 2022 an, dass seine Fahrzeuge im Schnitt für 2,5 Fahrten pro Tag genutzt wurden.

Weil der Mobilitätsbedarf der Kunden ungleichmäßig über den Tag verteilt ist, stehen die Fahrzeuge oft ungenutzt herum, während der Anbieter häufig Parkgebühren dafür zahlt. „In der Woche sind die Zeiträume von sieben bis neun Uhr sowie 15 bis 19 Uhr auslastungsstark. Die Zeiten von 22 bis sechs Uhr sind sehr schwach“, weiß Hein aus früheren Untersuchungen.

Parkgebühren sichern Wirtschaftspläne der Bezirke

Miles zahlt nach früheren Angaben in Berlin mehr als 100 Euro pro Monat und Auto an Parkgebühren an die Stadt. Bei 4500 Fahrzeugen in der Hauptstadt macht das zusammen 5,4 Millionen Euro im Jahr – Tendenz steigend, denn die Tarife wurden angehoben, neue Parkraumzonen kamen hinzu.

Der Senat sollte möglichst schnell für maximale Aufklärung sorgen.

Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen

Für die Wirtschaftspläne der zuständigen Bezirke sind Parkgebühren ein zentraler Einnahmenposten. Berlin-Mitte, dessen Ordnungsamt bereits 2019 über Unregelmäßigkeiten bei Miles berichtet hatte, hat für das laufende Jahr allein rund 19,4 Millionen Euro an Einnahmen aus Parkscheinautomaten angesetzt. Hinzu kommen sollen 7,6 Millionen Euro aus dem Handyparken sowie 11,3 Millionen Euro über Geldbußen und Verwarnungsgelder aus der Parkraumbewirtschaftung.

© IMAGO/Funke Foto Services/IMAGO/Sergej Glanze

Wie hoch die Gesamtsumme der in den zwölf Bezirken erhobenen Parkgebühren ist, ist unklar. Hochrechnungen gehen von mehr als 110 Millionen Euro aus. Bestätigt sich der Verdacht gegen Miles, hätte der Carsharer rechnerisch über einen ungenannten Zeitraum ein knappes Viertel der Jahreseinnahmen des Landes Berlin unterschlagen.

Doch noch wird ermittelt. In der Verkehrsverwaltung des Senats will man nicht spekulieren. Derweil regt sich Unmut in der Opposition. „Der Senat sollte möglichst schnell für maximale Aufklärung sorgen“, sagte Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen. Zwar gelte für die Miles-Geschäftsführer die Unschuldsvermutung und eine Vorverurteilung müsse vermieden werden, um den bis dato unbeschädigten Ruf des Unternehmens nicht zu gefährden. „Aber sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre das ein handfester Skandal“, sagt Kapek.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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