„Massiver Schaden für die Stadt“: Wurde Wegner mit AfD-Stimmen gewählt? Debatte entbrannt

© REUTERS/MICHELE TANTUSSI Update „Massiver Schaden für die Stadt“: Wurde Wegner mit AfD-Stimmen gewählt? Debatte entbrannt

In zwei Wahlgängen ist Kai Wegner gescheitert. CDU und SPD weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Und dann gibt es auch noch Streit um die Stimmen der AfD.

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Erst beim dritten Anlauf hat es geklappt: Nach zwei gescheiterten Durchgängen bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters in Berlin weisen sich Politiker:innen von CDU und SPD gegenseitig die Schuld zu. Und das begann schon vor dem letzten Wahlgang. Nach der Wahl Wegners gibt es viel Kritik – und einige Glückwünsche.

Der 50-jährige Chef der Berliner CDU wurde am Donnerstag im Abgeordnetenhaus im dritten Wahlgang mit einer Mehrheit von 86 Ja- zu 70 Nein-Stimmen gewählt, es gab drei Enthaltungen.

In den beiden vorhergehenden Wahlgängen war Wegner, dessen Partei die Wahl am 12. Februar mit zehn Prozentpunkten Vorsprung zur SPD gewonnen hatte, an der benötigten Mehrheit von 80 Stimmen gescheitert. Nach einer deutlichen Niederlage von 71 zu 86 Stimmen im ersten Wahlgang kam es im zweiten Wahlgang zum Patt. 79 Abgeordnete stimmten für Wegner, 79 gegen ihn, es gab eine Enthaltung. Zusammen verfügen CDU und SPD im Abgeordnetenhaus über eine Mehrheit von sechs Stimmen.

Debatten um Stimmen der AfD

Für teils heftige Debatten sorgte der mutmaßliche Anteil der AfD an der Wahl Wegners. Unmittelbar nach dem Ende des dritten Wahlgangs hatte die Fraktion eine Erklärung verteilen lassen, der zufolge alle 17 AfD-Abgeordneten für Wegner gestimmt hätten. Zwar gilt der Fall als unwahrscheinlich, weil dann nur 69 Koalitionsabgeordnete und damit weniger als in den ersten beiden Wahlgängen für Wegner gestimmt hätten. Ausschließen lässt sich eine AfD-Beteiligung aber nicht.

Insbesondere aus der Linkspartei kam heftige Kritik daran, dass Wegner, der bei seiner Vereidigung die Gottesformel wählte, die Wahl annahm. Fraktionschefin Anne Helm bezeichnete die mutmaßliche Wahl Wegners mit Stimmen der AfD als „fatal“. Sie erklärte: „Es wird der AfD zu politischer Macht verholfen. Einer AfD-Fraktion, die in großen Teilen erst am Wochenende in Schnellroda war, um mit der rechtsextremen Denkfabrik die Strategie abzustimmen.“

Es wird der AfD zu politischer Macht verholfen. Einer AfD-Fraktion, die in großen Teilen erst am Wochenende in Schnellroda war, um mit der rechtsextremen Denkfabrik die Strategie abzustimmen.

Linke-Fraktionschefin Anne Helm

Zuvor hatten Grüne und Linke einen Antrag gestellt, die Wahl Wegners zu vertagen. Diesen hatten die Fraktionen von CDU und SPD abgelehnt. In der Folge sprach Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch von einem „desaströsen Start einer Regierung“. Der Verdacht auf eine Wahl mit Stimmen der AfD bleibe „an diesem Tag haften und richtet massiven Schaden für die Stadt, die Demokratie und die politische Kultur an“, erklärte Jarasch.

Von massivem Vertrauensverlust war die Rede

Unstrittig war am Donnerstag, dass die einem Drama gleichende Wahl Wegners Spuren in der gerade erst eingesetzten Koalition zwischen CDU und SPD hinterlassen wird. Bereits nach dem ersten gescheiterten Wahlgang warfen sich Parlamentarier beider Parteien gegenseitig vor, Wegners Wahl verhindert zu haben. Von einem massiven Vertrauensverlust und einem harten Schlag für die Atmosphäre, die bis dato in der Öffentlichkeit harmonisch dargestellt wurde, war die Rede.

Aus Politik und Gesellschaft waren unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unterschiedliche Reaktionen zu vernehmen. FDP-Landeschef Christoph Meyer erklärte, die Koalition aus SPD und CDU stehe „von Beginn an vor einem politischen Scherbenhaufen“. Mit Blick auf diejenigen in den Reihen von CDU und SPD, die in den ersten beiden Wahlgängen ganz offensichtlich gegen Wegner gestimmt hatten, sprach Meyer von „Heckenschützen“, die die „Fassade eines Neustarts schon vor der Vereidigung von Kai Wegner zum Einsturz gebracht“ haben. „Was nun nach der politischen Nahtoderfahrung des CDU-Landesvorsitzenden bleibt, ist eine Stillstandskoalition, die von Misstrauen durchzogen ist und sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen werden kann“, erklärte Meyer.

Was nun nach der politischen Nahtoderfahrung des CDU-Landesvorsitzenden bleibt, ist eine Stillstandskoalition, die von Misstrauen durchzogen ist und sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen werden kann.

FDP-Landeschef Christoph Meyer 

Positiv bewertete Maren Kern, Chefin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), die Wahl Wegners und damit das Zustandekommen der schwarz-roten Koalition. „Die richtigen Inhalte, ein gutes Team und ein Regierender Bürgermeister mit Gestaltungswillen: Der heute startende Senat bietet beste Voraussetzungen für ein funktionierendes Berlin“, erklärte Kern. Sie listete die aus BBU-Sicht zentralen Projekte auf – die Reform der Verwaltung und deren Digitalisierung, die Stärkung von bezahlbarem Bauen, Modernisieren und Wohnen – und kündigte an, mit der Landesregierung kooperieren zu wollen.

Berlins SPD-Chef Saleh: Gehe fest von eigener Mehrheit aus

CDU und SPD haben bei der Wahl Kai Wegners nach Angaben von Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh eine eigene Mehrheit gehabt. „Ich gehe fest davon aus“, sagte Saleh am Donnerstagabend der dpa. „Am Ende hat es funktioniert mit einer eigenen Mehrheit von 86 Stimmen.“

Wir nehmen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis. Wir brauchen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis – und es gab keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis.

Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh

Saleh kritisierte das Verhalten der AfD: „Sie macht, was sie immer macht. Sie spaltet, sie arbeitet mit den Instrumenten der Desinformation und auch der Lüge und ein Stück weit der Heimtücke“, so der SPD-Politiker. Das sei eine Strategie. „Wir nehmen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis. Wir brauchen keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis – und es gab keine Stimmen von Rechtspopulisten und Nazis.“

Saleh sagte, es habe in der SPD-Fraktion eine Probeabstimmung gegeben. Zwei Genossen hätten gesagt, Probleme mit der Wahl Wegners zu haben. „Wir haben dann intensive Beratungen gehabt, und auch die CDU hat innerhalb der Fraktion intensiv diskutiert“, sagte Saleh.

„Ich gehe fest davon aus, dass auch die CDU ihre Leute nochmal bearbeitet hat und nochmal die Diskussion geführt hat“, so der SPD-Landeschef. „Und ich gehe fest davon aus, dass am Ende auch die CDU in ihren Reihen für Klarheit sorgen konnte.“

Dass drei Wahlgänge nötig gewesen seien, sei nicht schön. „Aber es ist nicht das erste Mal, dass es nicht im ersten oder zweiten Wahlgang funktioniert“, sagte Saleh. „Die Verfassung sieht ja genau deshalb drei Wahlgänge vor. Aber ich hätte mir natürlich etwas anderes gewünscht“, sagte er. „Es ist jetzt so, dass 86 Stimmen die Koalition zusammengebracht haben, und ich gehe fest davon aus, dass der Senat jetzt seine Arbeit aufnehmen wird.“

Ramelow: „Ich sehe hier viele Parallelen zu Thüringen“

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat die Demokrat:innen in Deutschland angesichts der Wahl Wegners davor gewarnt, sich in die Abhängigkeit der AfD zu begeben. „Wenn man den Parlamentarismus schützen will, dann darf man sich niemals in die Hand dieser politischen Kraft begeben“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Es gilt der Satz: Was immer Du tust, bedenke das Ende.“ Ramelow fügte hinzu: „Ich sehe hier viele Parallelen zu Thüringen. Denn die AfD nutzt den Parlamentarismus, um ihn verächtlich zu machen. Und der schleichende Zersetzungsprozess nimmt zu.“ So sehe eine neue Umfrage für Thüringen die AfD mit 28 Prozent vor der Linken mit 22 Prozent.

Die AfD nutzt den Parlamentarismus, um ihn verächtlich zu machen. Und der schleichende Zersetzungsprozess nimmt zu.

Bodo Ramelow (Linke), Thüringens Ministerpräsident

Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war im Februar 2020 mit Stimmen aus CDU und AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden und später aufgrund großen öffentlichen Drucks zurückgetreten. Nun teilte die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus mit, dass sie für Wegner als Regierenden Bürgermeister gestimmt habe.

Ramelow warf an die Adresse der SPD gerichtet zudem die Frage auf, „warum sie nicht einfach mit den Grünen und der Linken weiter regiert hat. Das macht mich ratlos.“ Die Partei verhelfe der Union nämlich nun auch zu einer Bundesratsmehrheit gegen die Ampelkoalition im Bund. Der Linken-Politiker betonte: „Dies ist ein schwerer Tag, in Berlin und in Thüringen.“

Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, sagte dem Tagesspiegel: „Berlin verdient eine verlässliche Regierung und nicht schon Chaos an Tag eins. Dass CDU und SPD es versäumt haben, die Mehrheit in den ersten zwei Wahlgängen zu sichern, war ein denkbar schlechter Start. So kann nun die AfD behaupten, Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister gemacht zu haben. Das ist ein Desaster mit Ansage und schwächt das Vertrauen in diese Koalition und in demokratische Prozesse.“

CDU-Chef Merz gratuliert

CDU-Parteichef Friedrich Merz rief die SPD nach den beiden gescheiterten Versuchen, Wegner zu wählen, zur Vernunft auf. „Ich kann nur hoffen, dass die SPD im Verlaufe des Tages noch zur Vernunft kommt und die Regierungsfähigkeit dieser Stadt wiederherstellt“, sagte er den Sendern ProSieben, Sat.1 und Kabel eins. Es habe ein klares Wahlergebnis und einen klaren Wahlgewinner gegeben. „Dem darf sich die SPD hier nicht durch Verweigerung und Boykott und Obstruktion entziehen.“

Nach seiner Wahl gratulierte Parteichef Merz Kai Wegner auf Twitter. „Mit der CDU ist unsere Hauptstadt auf einem guten Weg und kann jetzt besser regiert werden. Ich wünsche Dir und Deinem Team viel Erfolg und eine glückliche Hand“, schrieb der Bundesvorsitzende der CDU.

„In der SPD gibt es offensichtlich viele, die die Wahl des Regierenden Bürgermeisters nutzen, um mit Franziska Giffey und Raed Saleh abzurechnen“, sagte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak dem RND nach dem zweiten gescheiterten Wahlgang. „Das ist staatspolitisch unverantwortlich.“ Die SPD verliere so weiter an Glaubwürdigkeit, sagte er und betonte: „Die CDU-Fraktion steht geschlossen hinter Kai Wegner.“

Woidke „freut sich auf Zusammenarbeit“

Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat Kai Wegner zur Wahl gratuliert. „Ich freue mich auf unser beider Zusammenarbeit“, schrieb Woidke ihm nach Angaben der Staatskanzlei vom Donnerstag. „Mit Ihnen bekommt die Innovations- und Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg eine starke Stimme.“

Woidke lud Wegner und den gesamten Berliner Senat ein, möglichst bald nach Potsdam zu kommen, um über die Vertiefung der Zusammenarbeit zu reden. Der rot-grün-rote Senat unter der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey – einer gebürtigen Brandenburgerin – hatte die Kooperation zwischen beiden Ländern im vergangenen Jahr bereits verstärkt.

Der Potsdamer Regierungschef zeigte sich zufrieden, dass Brandenburg im Koalitionsvertrag von CDU und SPD oft auftaucht. Er begrüßte die Pläne Wegners, die Metropolregion Berlin-Brandenburg zu einem der bedeutendsten Wirtschafts-, Technologie- und Innovationsstandort in Europa zu machen. „Wichtig sind für uns dafür unter anderem der weitere Ausbau der Bahn, eine gemeinsame Energieregion, die Innovationskorridore und eine noch engere Abstimmung rund um das Thema Wasser.“

Kritik von der Brandenburger Linken und der Berliner SPD

Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter kritisierte, dass Woidke dem Berliner CDU-Chef zur Wahl als Regierungschef gratulierte. „Der Bürgermeister #Wegner von braunen Gnaden – weil die #noAfD ihn wählte – bekommt Glückwünsche von #Woidke“, schrieb Walter bei Twitter. Das sei ein schlechter Tag für Berlin und Brandenburg.

Der Berliner SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir sagte der Deutschen Presse-Agentur (DPA) vor dem dritten Wahlgang über die Abweichler:innen: „Ich bin sehr sicher, dass es aus den Reihen der CDU ist. Die müssen ihre Reihen jetzt schließen. (…) Ich hoffe jetzt, dass Herr Wegner seine Leute auf Reihe kriegt.“ Bei der SPD seien zwei „Gegenakteure“ bekannt, die gegen Wegner stimmen wollten, räumte Özdemir ein. Mehr seien es jedoch nicht.

Auch der Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen (Grüne) gab auf Twitter seinen Unmut über die Wahl Wegners kund. Dass CDU und SPD laut Dahmen erst in drei Wahlgängen und mithilfe der AfD eine Mehrheit organisieren könnten, sei unerträglich. 

Der ehemalige Kultursenator Klaus Lederer (Linke) kommentierte die turbulente Wahl auf Twitter. CDU und SPD hätten den dritten Wahlgang ohne eigene Mehrheit anberaumt. Zuvor waren Grüne und Linke mit einem Antrag gescheitert, das weitere Vorgehen zu vertagen.

Der Berliner CDU-Politiker Falko Liecke zeigte sich überrascht von der Dimension. „Ich habe schon damit gerechnet, dass es einen kleinen Dämpfer geben kann“, sagte Liecke, der Staatssekretär werden soll, am Donnerstag. „Aber das hat schon eine besondere Qualität, die nicht sein muss.“ Das sei auch kein leichter Start in die schwarz-rote Koalition. Er könne sich schlecht vorstellen, dass es aus den Reihen der CDU Abweichler gegeben habe.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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