Graft-Architekten zum Berliner ICC: „Es gibt hier einen Schatz, den es zu heben gilt“

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Thomas Willemeit, Lars Krückeberg und Wolfram Putz gehören zu den international gefragtesten deutschen Architekten. Nun haben sie ein neues Wunschprojekt: das ICC.

Von Ronja Merkel

In unserem Vorgespräch haben Sie das Berliner ICC eine „Kathedrale der Sehnsucht nach einer besseren Zukunft“ genannt. Große Worte für so einen alten Kasten.
Thomas Willemeit: Das ICC ist nicht vom Himmel gefallen, das war kein „Unfall“, sondern der Ausdruck einer bestimmten Haltung. Die 60er- und 70er-Jahre waren von einer wahnsinnig ambitionierten Expressivität im Wettbewerb zwischen Ost und West erfüllt, von einer Begeisterung für Technik und Raumfahrt.

Man nehme den Fernsehturm im Osten der Stadt: Auch darin zeigt sich diese Sehnsucht danach, dem Himmel ganz nah zu kommen. Oder die Bauten Ulrich Müthers – des spannendsten Architekten in Ostdeutschland –, in denen sich eine ähnliche Begeisterung für Science-Fiction, Zukunft und Technologie manifestiert. Und das alles in Kombination mit einer fast spielerischen Naivität. Diese Haltung, dieses energiegeladene Visionäre erfüllte damals auch die Stadtverwaltung um den Berliner Baudirektor Rainer G. Rümmler, der eine Vielzahl der Berliner U-Bahnhöfe gestaltete. Dies machte solche Entwicklungen und das ICC überhaupt erst möglich.

Der Berliner Senat sucht langem nach einer Lösung für die zukünftige Nutzung des Kongresszentrums. Derzeit laufen Vorbereitungen für einen internationalen Konzeptwettbewerb, der 2024 starten soll. Ihr Büro hat bereits im Januar ein Zukunftskonzept vorgestellt. Warum möchten Sie sich dieses komplizierte Vorhaben antun?
Willemeit: Wir haben schon immer die Haltung vertreten, dass das ICC ein erstaunliches Potenzial für die Stadt darstellt. Nicht nur repräsentiert das Gebäude eine außergewöhnliche Architektur – mit der sicherlich nicht jeder Berliner warm geworden ist –, es ist vor allem ein wichtiges Zeichen seiner Zeit. Als die Berliner Immobilienmanagement GmbH vor vier Jahren ein Prüfungsverfahren ausgeschrieben hatte, waren wir daher direkt begeistert und haben uns entschieden, eine Bewerbung einzureichen. Das ICC ist im Grunde eine Stadt in der Stadt – uns war klar, dass eine solche Architektur in der Lage sein kann, viele der Wünsche und Träume, die es in Berlin gibt, aufzunehmen.

Lars Krückeberg: Meine Faszination für das Gebäude reicht tatsächlich zurück bis in meine Studienzeit. Ich hatte Verwandtschaft in West-Berlin; immer, wenn ich zu Besuch war, fuhr ich an diesem riesigen Raumschiff vorbei, dessen Funktion sich einem auf den ersten Blick gar nicht erschließt. Ich hatte keine Ahnung, was dieses Ding eigentlich ist – aber es übte eine geradezu magnetische Wirkung auf mich aus. Das ICC ist ein absolut faszinierender Stadtkörper wie es ihn kein zweites Mal gibt. Man muss kein Architekt sein, um das zu erkennen.

Dennoch würden nicht wenige den „Quasseldampfer“ am liebsten abreißen.
Willemeit: Viele der vorhandenen Möglichkeiten wurden noch gar nicht gesehen. Wir sprechen hier von gigantischen Lagerräumen, extrem vielfältigen, riesigen Flächen in labyrinthischen Katakomben. Da schlummern enorme räumliche Möglichkeiten, gerade in Sachen Logistik und Mobilität. Wir glauben auch nach wie vor, dass das ICC Berlin als Konferenzstandort stärken kann. Das Gebäude wurde in den 70er-Jahren gebaut, um die Welt nach Berlin einzuladen. Das ist ein wichtiges städtebauliches Statement, das auch heute noch Relevanz hat.

Nun waren bei der Eröffnung 1979 nicht alle von dem Gebäude begeistert. Der Architekturhistoriker Julius Posener kritisierte damals, das ICC sei für Fußgänger schlecht zugänglich und insgesamt zu abgeschottet. „Es ist nicht für das Volk von Berlin gebaut. Das ICC gehört nicht zur Stadt“, lautete sein Urteil. Was sagen Sie dazu – aus der Perspektive einer modernen Stadtentwicklung, in der gesellschaftliche Teilhabe und Transparenz wichtige Rollen spielen?
Wolfram Putz: Teilweise hatte Posener damit sicherlich recht. Dennoch drückt das Haus eine bestimmte Utopie und Hoffnung dieser Zeit aus. Die Kanzlerschaft Willy Brandts, die 68er-Bewegung: Wir blicken hier auf eine Gesellschaft, die an Fortschritt glaubte – und nicht nur an Altbewährtes oder Funktionales.

Vieles von dem, was das ICC verkörpert, ist auch heute noch faszinierend. Natürlich haben sich manche der damaligen Sehnsüchte mit der Zeit selbst entlarvt, heute träumen wir andere Städte als damals: Städte ohne Autos, beispielsweise. Grundsätzlich steht das ICC aber für einen zukunftsorientierten Optimismus, für den Mut, etwas auszuprobieren.

Das ICC kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss als Katalysator einer Stadtentwicklung City-West genutzt werden.

Thomas Willemeit

Ist das nicht ein etwas romantisierender Blick auf die Vergangenheit – wie Sie ihn als erklärte Kritiker von historischen Rekonstruktionen eigentlich ablehnen sollten?
Krückeberg: Es geht ja nicht darum zu sagen, dass früher alles besser gewesen sei. Aber es ist durchaus interessant, sich damit auseinanderzusetzen, wofür Berlin in den 70er- und 80er-Jahren eigentlich stand. Vor dem Mauerfall waren hier Menschen wie David Bowie, Depeche Mode, Iggy Pop, Daniel Libeskind – sie alle waren in Berlin, weil sie hier etwas gespürt haben, weil sie etwas erleben und sich weiterentwickeln konnten.

Berlin lebt von den Brüchen und der Energie, die aus dieser Reibung entsteht. Daraus speist sich das Freiheitsgefühl, das diese Stadt ausmacht. Und deshalb ist der Zustrom an jungen Kreativen auch heute noch ungebrochen. Sie alle suchen hier etwas.

© dpa/Soeren Stache

Putz: In den vergangenen 33 Jahren seit der Wiedervereinigung war in Berlin der Wunsch, diese Stadt zu heilen, omnipräsent. Diese Sehnsucht nach Heilung ist ganz natürlich und rührt letztendlich noch aus den Wunden des Zweiten Weltkriegs. Der Blick zurück – und damit auch eine Tendenz zu historischen Rekonstruktionen – war sehr dominant. Wenn man sich dann aber mit dem ICC auseinandersetzt, wird plötzlich klar, wie energiegeladen und positiv die Stimmung in den zehn bis 15 Jahren vor dem Mauerfall war. Das spiegelt sich in einer Reihe an Bauwerken aus dieser Zeit wider.

Und Poseners Vorwurf, das ICC sei nicht für die Menschen dieser Stadt gebaut?
Willemeit: Die damalige Kritik ist durchaus nachvollziehbar. Auch heute wirkt das Gebäude vermutlich auf viele wie ein isoliertes Monstrum. Aber alles, was Posener 1979 kritisiert hat, kann man ja heute sicherstellen. Man kann beispielsweise die Autobahnen deckeln, man kann die alten Gleisanlagen überbauen und so für die Stadt zurückgewinnen. Das würde die Stadt auch näher an das ICC heranführen und dem Gebäude so die Funktion einer Mitte eines Stadtquartiers geben.

Zentral ist, das gesamte Umfeld mitzudenken. Das ist die eigentliche Herausforderung: Das ICC kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss als Katalysator einer Stadtentwicklung City-West genutzt werden.

Erst, wenn man das ICC von innen sieht, begreift man dieses Gesamtkunstwerk.

Lars Krückeberg

Krückeberg: Das Haus hat eine bemerkenswerte Energie, es ist ein magischer Ort. Wenn man das Potenzial dieses wirklich komplexen Gebäudes befreit, dann ist es in der Lage, auch alles drumherum neu zu ordnen. Poseners Kritik stammt aus einer Zeit, in der autogerecht gebaut wurde und die daher heute nicht mehr passt. Natürlich muss man die vorhandenen Verkehrsschneisen zurückbauen. Wir müssen das „Herz“ ICC an die umliegenden Quartiere anbinden und zum Schlagen bringen – und dann wird dieses Herz sofort Blut in die Viertel pumpen.

Das klingt ausgesprochen poetisch.
Krückeberg: Wer das ICC nur von außen kennt, kann das Gebäude eigentlich nicht verstehen. Erst, wenn man es von innen sieht, begreift man dieses Gesamtkunstwerk: Vom Aschenbecher, der Säule, bis hin zum Bodenbelag und dem Treppengeländer ist die Architektur durchgehalten – und deswegen ist sie auch so unglaublich qualitativ. Die Wenigsten wissen, dass Berlin diese Ikone besitzt, die die Chance hat, zu einem Wahrzeichen zu werden, wie es beispielsweise der Fernsehturm ist. Und das muss endlich klar werden: Es gibt hier einen Schatz, den es zu heben gilt.

Nun ist das ICC nicht die einzige Problemimmobilie Berlins. Auch beim Tempelhofer Feld kommt man seit Jahren nicht weiter, um nur ein Beispiel zu nennen. Woran liegt es Ihrer Meinung, dass die Politik nicht in die Gänge kommt?
Putz: Der Standort Tempelhof ist einfach schwierig, der Umbau extrem herausfordernd und sowohl das Gebäude selbst als auch das Umfeld sind nicht einfach zu bespielen. Davon abgesehen denke ich, dass es ganz normal ist, dass eine Stadt viele ihrer Ressourcen ungenutzt liegen lässt. Ein positives Gegenbeispiel ist der ehemalige Flughafen Tegel.

An dessen Entwicklung Ihr Büro beteiligt ist.
Putz: Trotz aller Unkenrufe wird das in den kommenden 20 Jahren sehr spannend. An solchen Bauwerken entzündet sich natürlich immer ein Kulturkampf, das ist unausweichlich. Ganz unabhängig davon halten wir die Abrissdebatte heute nicht mehr für zeitgemäß.

Krückeberg: Das Problem ist doch vor allem, wenn sich Diskussionen verhärten, denn das führt zum Stillstand – und genau das erleben wir hier. Eine Diskussion kann nur mit Respekt und einer gewissen Toleranz gegenüber den Andersdenkenden geführt werden. Dieses Beharren auf bestimmten Standpunkten bringt uns nicht weiter.

Seit kurzem wird Berlin von einer neuen Koalition regiert. Welche Erwartungshaltung haben Sie an die Politik, insbesondere mit Blick auf den weiteren Prozess rund um das ICC?
Willemeit: Zunächst ist es natürlich sehr begrüßenswert, dass sich Franziska Giffey als jetzige Wirtschaftssenatorin dazu bekannt hat, diesen Prozess weiterzuführen. Es ist mit Sicherheit auch für die Berliner schwer, über Jahre hinweg einen reinen Diskussionsprozess zu führen. Insofern würden wir uns etwas mehr Tempo wünschen. Wenn man sich schon zu einem Vorhaben bekennt, muss man es auch konsequent betreiben. Was außerdem kritisch anzumerken ist, ist der direkte Vergleich des ICC mit dem Centre Pompidou.

Glauben Sie nicht an das ICC als einen „Kulturort für alle“?
Willemeit: Abgesehen davon, dass das ICC fünfmal so groß ist wie das Centre Pompidou, bringt die Schaffung eines reinen offenen Kulturraums natürlich die Frage der Finanzierung mit sich. Wenn man solche Träume für das ICC hat, müssen gleichzeitig realistische Finanzierungsszenarien entworfen werden.

Putz: Die Politik muss den Mut haben, einzusehen, dass die weniger werdenden Steuereinnahmen woanders gebraucht werden – nämlich im nicht mehr vorhandenen Wohnungsbau. Die Vision des ICC kann daher nicht wieder nur eine staatlich geförderte Idee sein, sondern sollte mithilfe einer Public Private Partnership umgesetzt werden.

Krückeberg: Berlin hat sich hier eine sehr große Aufgabe gestellt, die viel Personal und Leidenschaft erfordert. Es gilt, ein Objekt zu beherrschen, das viele Schwierigkeiten mit sich bringt, aber eben auch große Chancen und die schöne Herausforderung, den Standort vollkommen neu zu denken. Berlin darf sich hier ruhig etwas mehr zutrauen.

  • Charlottenburg-Wilmersdorf
  • ICC: Nachrichten zu Berlins besonderer Immobilie

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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