© imago/Chai v.d. Laage/IMAGO/Gladys Chai von der Laage
Die außerplanmäßige Karriere von Deniz Undav: Er kam als Gescheiterter, nun ist er ein Star
Deniz Undav gilt als Kandidat für die deutsche Nationalmannschaft. Dabei schien sein Traum vom Fußballprofi früh ausgeträumt, auch, weil es mit der Disziplin hakte.
Von
Alexander Kiene ist ein ausgebildeter Lehrer und hat natürlich das Pisa-Desaster mitbekommen, über das in Deutschland alle sprechen. Der 45-Jährige ist dennoch gerne Lehrer, auch wenn er im Moment freigestellt ist.
Kiene geht noch einem anderen Job nach, seiner großen Leidenschaft. Er ist Fußballtrainer und auch in dieser Funktion sind pädagogische Fähigkeiten stark gefragt. Kiene arbeitet in der Regionalliga bei Hessen Kassel. Er mag seinen Job, weil er sich als Ausbilder versteht, als jemand, der jungen, hoffnungsvollen Talenten den Weg in eine vielversprechende Karriere bereiten will.
Einer seiner liebsten Schüler ist schon lange nicht mehr bei ihm. „Er ist ein Junge mit einem tollen Charakter, er trägt das Herz an der richtigen Stelle“, sagt er. Die Rede ist von Deniz Undav, dem Stürmer des VfB Stuttgart, von dem plötzlich jeder spricht. Am Mittwoch qualifizierte er sich mit dem schwäbischen Traditionsklub beim 2:0 gegen Dortmund für das Viertelfinale des DFB-Pokals. Neuerdings gilt er sogar als Kandidat für die Nationalmannschaft.
Es ist gut möglich, dass Undav heute kaum jemand kennen würde, wenn er nicht vor knapp zehn Jahren auf ebenjenen Alexander Kiene getroffen wäre. Kiene war damals Trainer beim Regionalligisten TSV Havelse, und Undav kam als Gescheiterter.
Beim SV Werder Bremen wurde er als Jugendspieler aussortiert. Mit der Disziplin hakte es. „Mit Facetten auch außerhalb des Spielfeldes“, beschreibt es Kiene wohlmeinend. Ein weiteres Manko von Undav, das vor allem im deutschen Ausbildungssystem bestraft wird: Undav war im Vergleich zu vielen seiner Mitspieler verhältnismäßig klein. Das ist er mit knapp 1,80 auch heute noch.
Alexander Kiene trainierte Deniz Undav beim TSV Havelse.
© IMAGO/Hartenfelser
So schien die fußballerische Zukunft für Undav nicht allzu verheißungsvoll. Während andere in seiner Altersklasse weiter in den Fußballakademien der Profiklubs wissenschaftlich ausgearbeiteten Trainingsplänen unterworfen waren, kickte Undav zunächst in der A-Jugend beim SC Weyhe, ehe er sich dem TSV Havelse um seinen Ausbildungstrainer Kiene anschloss.
„Das Talent war offensichtlich“, erinnert sich Kiene. „Es ging für uns darum, ihn nun für den Herrenfußball zu erziehen. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben.“ Undav bekam von Kiene eingetrichtert, was es braucht, um im Profifußball zu bestehen: Ernährung, Schlaf, Disziplin. „Das richtige Mindset war wichtig“, sagt Kiene. Und Undav lernte schnell.
Außerhalb des Platzes machte er gewissenhaft eine Ausbildung im handwerklichen Bereich. Und auf dem Fußballplatz empfahl er sich mit vielen Toren und Assists für größere Aufgaben, die er nun beim VfB Stuttgart und vielleicht bald bei der Nationalmannschaft mit Bravour erledigt.
Er ist ein Instinktfußballer. Er erkennt die richtigen Räume und macht dann die richtigen Dinge.
Alexander Kiene, Fußballtrainer
Wahrscheinlich, so sieht es auch Kiene, hat ihn gerade der Bruch in der Laufbahn in seinen jungen Jahren zu dem Profi gemacht, der er nun ist. „Deniz“, so sagt Kiene, „bringt eine andere Note ins Spiel. Er ist ein Instinktfußballer. Er erkennt die richtigen Räume und macht dann die richtigen Dinge.“
Undav hebt sich ab vom Gros der stromlinienförmig ausgebildeten Fußballer in Deutschland. Außerdem, erzählt Kiene, habe Undav eine fantastische Schusstechnik, rechts wie links, auch brauche er nur sehr wenige Torchancen. „Im Strafraum hat er Killerqualitäten.“
Beim VfB Stuttgart bestach Undav in den vergangenen Wochen vor allem durch seine Variabilität. Undav ist ein spielender Stürmer, lässt sich gerne fallen. „Dennoch ist er auch schnell genug in der Box, wenn es gefährlich wird“, sagt Kiene. Sprich: Undav macht ständig Betrieb.
Mit Bundestrainer Julian Nagelsmann soll er bereits ein Gespräch geführt haben. Ob er der Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr in Deutschland helfen würde? Alexander Keine hat eine klare Meinung: „Er hat andere Attribute als die, die jetzt im Kader sind. Außerdem braucht er wenig Anlauf, um zu funktionieren. Und er war schon immer ein Torjäger. Also, ja, Deniz könnte schon sehr helfen.“
Zur Startseite
- Julian Nagelsmann
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de