Der schwierige Anspruch vieler Eltern: Nur das Beste für das eigene Kind

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In die Suche nach der perfekten Kinderausstattung investieren Eltern viel Zeit. Vor allem Mütter setzen sich und andere unter Druck – mit teils fatalen Folgen.

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Es trifft uns wohl alle, wenn wir unsere Babys das erste Mal im Arm halten: Das Gefühl, künftig alles tun zu wollen für dieses kleine Wesen. Es zu behüten und zu beschützen und ihm, na klar, nur die besten und sinnvollsten Produkte zu kaufen. Gesund und ohne Schadstoffe.

Das Gefühl hört auch nicht auf, wenn das Baby größer wird. Im Grunde ergeben sich nur immer mehr Gelegenheiten, zu beweisen, wie ernst man seinen Auftrag nimmt. Besonders in bestimmten, sehr engagierten Elternkreisen. Da wird die Suche nach dem perfekten Paar Lauflernschuhe, das ökologisch produziert wurde und keine Haltungsschäden begünstigt, schon mal zur Geduldsprobe.

„Intensive Parentship“, also intensive Elternschaft nennen US-amerikanische Forscher eine gesellschaftliche Entwicklung, die seit den 90er Jahren immer populärer wird. Sie ist geprägt durch Eltern, die sich der Beziehung zu ihren Kindern und deren Förderung intensiv widmen und viel Zeit und Geld darin investieren.

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Gerade beim ersten Kind ist man noch unsicher, macht sich viele Gedanken, wird auch stark von anderen Eltern und deren Einstellungen beeinflusst.

Susanne Mierau, Pädagogin und Autorin

Zunächst ein Trend vor allem unter wohlsituierten Oberschicht-Eltern sind laut einer Studie der Cornell University inzwischen die meisten US-amerikanischen Eltern quer durch alle Schichten davon überzeugt. Auch jene, die selbst nicht die finanziellen Möglichkeiten dazu haben.

Intensive Elternschaft ist ein Trend

Auch in Deutschland lässt sich der Trend zur intensiven Elternschaft beobachten. Er betrifft einerseits die Beziehungsqualität: Seit rund einem Jahrzehnt wächst die Zahl der Bücher und Blogs zur sogenannten Bedürfnisorientierten Erziehung stetig (Atachment Parenting, kurz AP) Dabei geht es um eine Erwachsenen-Kind-Beziehung auf Augenhöhe, die ohne Drohen und Strafen funktioniert und stattdessen auf eine klare Sprache und persönliche Grenzen setzt.

Andererseits betrifft diese Entwicklung auch das Freizeit- und Konsumverhalten. Beim AP geht es nämlich nicht nur um Erziehungsthemen, sondern auch um kindliche Bedürfnisse wie Getragenwerden oder gemeinsames Schlafen im Familienbett. Eltern müssen also nicht nur Gedanken, sondern mitunter auch Geld investieren, um die vermeintlichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu erfüllen. Zum Beispiel in teure Babytragen.

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Weil AP zunächst vor allem in alternativen und Ökokreisen beliebt war, sind Fragen der Erziehung zudem oft eng verbunden mit dem Ideal eines ökologischen Lebensstils. Kaum ein AP-Blog kommt ohne Fotos von Babys in schicken Tragetüchern und Kindern mit hochwertigem Holzspielzeug aus. Unzweifelhaft machen viele dieser Produkte Sinn. Gleichzeitig verfestigen die Fotos eine Erwartungshaltung an Eltern, viel Geld und Aufwand zu investieren, damit ihre Kinder vermeintlich bestens versorgt sind.

Die richtigen Schuhe kosten mindestens 80 Euro pro Paar

„Der Mental Load von Barfußschuhen ist unfassbar“ beklagte sich neulich eine Mutter in einer AP-Eltern-Gruppe bei Facebook und bekam viel Zustimmung. Mental Load – so nennt man die Belastung, die durch das Organisieren von und Erinnern an die vielen kleinen Dinge des Familienalltags entsteht. Sie betrifft vor allem Mütter, denn in den allermeisten Familien sind sie es, die nicht nur sämtliche Termine der Kinder im Kopf haben, sondern auch das Geschenk für die Geburtstagseinladung kaufen und die Gummistiefel in der nächsten Größe bestellen.

Barfußschuhe – was das ist, muss man Menschen, die nicht in der Spielplatz-Bubble unterwegs sind, wohl erklären. Da gibt es diese regelmäßige Untersuchung seit der Jahrtausendwende, bei der stets herauskommt, dass Kinder in Deutschland zu kleine Schuhe tragen. Was Haltungsschäden begünstigen soll. Seitdem gelten sogenannte Barfußschuhe in bestimmten Elternkreisen als Must-Have.

Manchmal darf man pragmatisch sein. Von gut gelaunten und entspannten Eltern haben Kinder mehr als von einer perfekten Ausstattung.

Susanne Mierau, Autorin und Pädagogin

Diese Schuhe kosten allerdings nicht nur mindestens 80 Euro pro Paar, sie müssen auch genau auf den Kinderfuß abgestimmt sein in Länge, Breite und Form. Einigen Verfechtern gesunden Laufens genügt nicht mal das: Sie berücksichtigen zusätzlich Spannhöhe und Knöchelbreite. Wer es ernst meint mit der Gesundheit des Kinderrückens, muss ihrer Lehre zufolge alle paar Wochen die Füße seiner Kinder ausmessen. Und in den Weiten des Internets genau das Paar Schuhe finden, das in allen Punkten passt. Und genau diese Schuhe müssen dann auch noch gerade lieferbar sein.

Tragetücher, Sonnencreme, Maiswaffeln – alles muss recherchiert werden

Man kann sich vorstellen, wie viele Stunden so eine Recherche dauert. Aber was tut man nicht, damit das eigene Kind bestens versorgt ist. Man vergleicht das Flächengewicht von Tragetüchern (die schweren stützen besser), die Inhaltsstoffe von Sonnencremes (keine chemischen Filter oder Nanopartikel), Maiswaffeln (ohne Gentechnik bitte) und Babystramplern (nur Biowolle).

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All das kostet eine Menge Zeit. Die dann an anderer Stelle fehlt. Eine Mutter, die regelmäßig Produkte recherchiert, kann sich weniger ausruhen oder mit anderen Dingen beschäftigen. Und trotzdem können sich viele nicht freimachen vom Anspruch, dem Kind stets das Beste zu bieten.

Die Pädagogin und Autorin Susanne Mierau hat selbst drei Kinder und beschäftigt sich nicht nur mit bedürfnisorientierter Erziehung, sondern auch mit gesellschaftlichen Eltern-und speziell Mütterbildern. Den Wunsch, seinem Kind gesunde und hochwertige Produkte zu kaufen, kann sie nachvollziehen. „Gerade beim ersten Kind ist man noch unsicher, macht sich viele Gedanken, wird auch stark von anderen Eltern und deren Einstellungen beeinflusst“, sagt sie.

Mütter diskutieren in Facebookgruppen ausführlich über Brotdosen

Klar, wer in Kursen und Foren auf andere AP-Eltern trifft, sieht zwangsläufig Kinder in Bio-Wollanzugen und hört Gespräche über Barfußschuhe und Edelstahl-Brotdosen. Da überlegt man es sich zweimal, ob man selbst die Kindersnacks noch in der schadstoffbelasteten Plastikbox transportieren möchte. Regelmäßig diskutieren Mütter dann in langen Debatten in den entsprechenden Facebookgruppen, welche Brotdosen empfehlenswert sind.

Und wer einmal gehört hat, dass nicht nur Babys sondern auch Kleinkinder in rückwärtsgerichteten Autositzen viel besser geschützt sind, kratzt eben das Geld für einen sogenannten Reboarder zusammen. Und zwar einen, der nicht schadstoffbelastet ist. Auch das ist ein wiederkehrendes ausführlich diskutiertes Thema in den Gruppen.

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Mierau kann das verstehen. „Jeder möchte Produkte, von denen die Kinder nicht krank werden, ist ja logisch“, sagt sie. Im Grunde sei das doch aber eine Zumutung: Dass man als Elternteil auch noch Biochemiker und Ernährungswissenschaftler sein soll, um unschädliche Produkte zu identifizieren. „Da läuft einfach auch in der Industrie einiges falsch. Viel zu viel Verantwortung wird auf die Verbraucher abgewälzt“, findet sie.

Wieso müssen wir uns so hervortun als die perfekt ausgestattete Mutter? Weil der Mutterbegriff unheimlich aufgeladen ist.

Susanne Mierau, Pädagigin und Autorin

Abgesehen von diesem Aspekt möchte Mierau den Eltern aber auch einfach raten, sich vom Wunsch nach Perfektion zu befreien. „Niemand kann in jedem Lebensbereich immer die besten Produkte recherchieren und kaufen. Das funktioniert weder zeitlich noch finanziell“, sagt sie.

Die Pädagogin schlägt vor, das Eltern- und vor allem das Mutterbild zu entlasten. „Ob ich eine gute Mutter für meine Kinder bin hängt nicht davon ab, welche Produkte ich kaufe“. Auch wenn es in Diskussionen zwischen Müttern manchmal so scheint. Besonders im Internet toben regelrechte Grabenkämpfe um die Frage nach den richtigen Schuhen und Autositzen. Diesen Themen keine Zeit und Gedanken zu widmen, gilt dann fast schon als verantwortungslos.

Schon immer haben sich Eltern über ihre Kinder definiert

Wieso neigen besonders Mütter dazu, in solchen Diskussionen derart dogmatisch aufzutreten? Es sei ein klassischer psychologischer Effekt, sich selbst aufgewertet zu fühlen, indem man andere abwertet, glaubt Mierau. Neu ist diese Vergleicherei nicht. Schon immer haben sich Eltern auch über ihre Kinder definiert. Unsere Eltern-und Großelterngeneration war stolz, wenn das eigene Kind besonders früh trocken war, besonders gute Manieren oder Schulnoten hatte. Heute sei das Sich-aufgewertet-fühlen eben oft an Statussymbole geknüpft, sagt Mierau.

Leider ist diese Form der Selbstaufwertung wenig solidarisch. Als Lateral Violence bezeichnet man es, wenn Mitglieder einer diskriminierten Gruppe ihren Ärger nicht gegen den Unterdrücker richten, sondern gegen ihresgleichen. „Wieso müssen wir uns so hervortun als die perfekt ausgestattete Mutter? Weil der Mutterbegriff unheimlich aufgeladen ist“, sagt Mierau. Sobald eine Frau Mutter wird, rückten ihre beruflichen oder individuellen Fähigkeiten in den Hintergrund und sie werde fast nur noch an ihren Kindern gemessen.

Das nächste paar Schuhe kann doch einfach mal Papa oder Opa kaufen.

Susanne Mierau, Pädagogin und Autorin

Dadurch entstehe ein großer Druck, nach außen zu signalisieren: „Meinen Kindern geht es gut“. Dabei bestätigen Mütter durch diese Denkart nur das falsche Bild, das von ihnen herrscht und reproduzieren es. „Wir sollten andere Mütter viel mehr als Verbündete sehen statt als Konkurrentinnen“, sagt Mierau. „Unser Wert als Mutter und als Mensch hängt ganz sicher nicht davon ab, welche Schuhe unsere Kinder tragen“.

Natürlich sei es wichtig, dass Kinder gut versorgt sind. Aber der Anspruch, stets 100 Prozent geben zu müssen, sei illusorisch und außerdem unfeministisch. „Wir leben glücklicher, wenn wir uns und anderen Eltern erlauben, unperfekt zu sein. Sie mit einem freundlichen statt mit einem kritischen Blick betrachten“.

Letztendlich, so die Pädagogin, gehe es der gesamten Familie besser, wenn der Druck der Perfektion raus ist. „Ich glaube, jedes Elternteil hat Themen, die ihm besonders wichtig sind und wo es lieber keine Kompromisse machen möchte“, sagt Mierau. An anderer Stelle dürfe aber ruhig mehr Leichtigkeit rein.

Die Kinder hassen die dicke Bio-Sonnencreme und es gibt regelmäßig Knatsch ums Eincremen? Dann kauft man eben das leicht zu verteilende Spray, auch wenn es nicht ökozertifiziert ist. „Manchmal darf man pragmatisch sein. Von gut gelaunten und entspannten Eltern haben Kinder mehr als von einer perfekten Ausstattung“, findet die Pädagogin.

Ohnehin rät Mierau Müttern, das Thema Kinderausstattung öfter mal abzugeben. „Wieso sollen immer sie sich diese Verantwortung aufhalsen? Das nächste Paar Schuhe kann doch einfach mal Papa oder Opa kaufen.“

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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