Der Karneval der Kulturen gehört zu ganz Berlin: Lasst ihn durch die Stadt wandern!

© imago/Christian Spicker/IMAGO/Christian Spicker Der Karneval der Kulturen gehört zu ganz Berlin: Lasst ihn durch die Stadt wandern!

Müll, Lärm, Massen: Anwohner sind zu Recht genervt vom Karneval der Kulturen. Aber der Karneval gehört zu Berlin – ein Kompromissvorschlag.

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Ja, es war unglaublich voll. Ja, in den Nebenstraßen hat sich der Müll gestapelt – und ja, das stört. Aber der Karneval der Kulturen war kein stupides Saufgelage, keine verzichtbare Party. Berlin ist am Sonntag für einen Tag in seinen natürlichen Zustand zurückgekehrt.

Als sich Fremde gegenseitig aufs Trafohäuschen gehievt haben. Als die Betreiberin eines Essensstands ihrer nach Kleingeld kramenden Kundin gesagt hat: „Ist gut, Schatzi.“ Als zwei Rentner am Fenster synchron zu Technobeats geschunkelt haben – während unter ihnen ein junger Mann mit Glitzerschminke und knappem Tanga meisterhaft den Samba getanzt hat.

Verdrängung und Inflation lassen das viel beschworene Berlingefühl immer stärker verblassen. Der Karneval bringt Berlin zu seinen Wurzeln zurück wie kein anderes Fest, kein Späti und kein Club: zur Diversität, zum Laissez-Faire, zur ewigen Improvisation. Eine infame Romantisierung, würden so manche Anwohner wütend entgegnen. Die haben sich schon über den Lärm beschwert, bevor das Fest überhaupt begonnen hat. Jedes Mal dasselbe Dröhnen, dieselben Scherben, dieselben Massen, in denen es kein Vor und Zurück gibt – wer soll das aushalten? Weg damit!

Ein Graus, würde der Karneval der Kulturen wegen der Beschwerden eingestampft werden wie das Myfest. Nein, der Karneval darf nicht weg. Der Karneval gehört zu Berlin – und Berlin braucht den Karneval. Aber vielleicht darf er wandern. Wenn Berlin die Gneisenaustraße einmal im Jahr in den absoluten Ausnahmezustand versetzt, ist es kein Wunder, dass Anwohner den Umzug irgendwann verfluchen. Gleichzeitig gehört das Berlin-Gefühl, das der Karneval beschwört, aber nicht nur zu Kreuzberg – sondern auch zu Pankow, Schöneberg, Marzahn. Warum sollte der Karneval also nicht rotieren?

Top-Stimmung kriegen die Berliner auch jenseits des Südsterns hin. Als Feier der Diversität wäre es nur konsequent, sie auch in diversen Teilen der Stadt zu zelebrieren. Und als Party, die die Stadt vereinen soll, sowieso. Die wütenden Kreuzberger wären mit dem Rotationssystem besänftigt – und für die anderen Anwohner, die es je nach Jahr träfe, wäre der Karneval ein Event, das in seiner Seltenheit verkraftbar wäre.

Jeder Bezirk könnte dem Umzug seinen eigenen Spin verpassen. Wäre das kein Inbegriff des Berliner Flairs? Ja, es gibt viele Gründe, vom Karneval genervt zu sein. Doch es gibt noch mehr, ihn zu feiern. Aber im Wechsel, bitte.

  • Friedrichshain-Kreuzberg
  • Karneval der Kulturen
  • Marzahn-Hellersdorf
  • Pankow
  • Tempelhof-Schöneberg

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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