„Beim Einkaufen habe ich keine Angst“: Wie ein Schwerstkranker mit der Coronakrise umgeht

© Frank Bachner „Beim Einkaufen habe ich keine Angst“: Wie ein Schwerstkranker mit der Coronakrise umgeht

Engelbert Diegmann leidet an der tödlichen Muskelkrankheit ALS – in der Coronakrise ist er besonders gefährdet. Seine Kraft steckt er in seinen Berliner Verein.

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Martin Stemmler sitzt am schweren Holztisch, genau zwischen der Geschirrspülmaschine und dem Bett. Zu diesem hält er gut zwei Meter Abstand. Das ist wichtig. Denn auf dem Bett liegt Engelbert Diegmann – sein Kopf direkt neben einem Beatmungsgerät.

Engelbert Diegmann ist todkrank. ALS, die heimtückische Krankheit, zerstört seine Muskeln, unaufhörlich, der Herzmuskel ist schon so schwach, dass er Diegmann nicht mehr dauerhaft mit Sauerstoff versorgen kann.

Und jetzt ist da noch die Gefahr durch das Coronavirus. Eine Infektion könnte für den 49-Jährigen den raschen Tod bedeuten. Deshalb ist es gerade bei ihm so wichtig, dass sein Pfleger Stemmler Abstand hält. Denn er ist nicht getestet.

„Natürlich gibt es eine Unsicherheit“, sagt Diegmann. „Ich weiß ja nicht, ob er Kontakt mit jemandem hatte, der infiziert ist. Ich muss im Moment darauf vertrauen, dass er gesund ist.“ Sieben Pfleger kümmern sich im Zwölf-Stunden-Schichtdienst um Engelbert Diegmann, den Mann, der mit seinem Verein „So viel Freude“ unter anderem krebskranke Kinder mit Kickertischen versorgt.

Nur einer der sieben Pfleger ist getestet. Diegmann hätte gerne bei allen die Sicherheit, dass sie gesund sind, dass sie keine Gefahr für ihn darstellen, aber das geht nicht. „Sie werden nur getestet, wenn sie Symptome haben“, sagt Diegmann, „sonst nicht.“ Der Mann, der getestet wurde, hatte zuvor Fieber.

Abstand halten? Für die Pfleger oft nicht möglich

Die Pfleger wissen natürlich, dass Diegmann ein Risikopatient ist. Sie halten größtmöglichen Abstand. Aber manchmal geht das nicht. Sie waschen den 49-Jährigen, sie schieben ihn im Rollstuhl, wenn er ausnahmsweise sein Haus verlässt, zum Einkaufen zum Beispiel.

Diegmann fühlt sich aber gerade in solchen Momenten sicherer als sonst. Denn auch an seinem Rollstuhl ist ein Beatmungsgerät installiert, es hat besondere Keimfilter, die den Patienten gut abschirmen. „Beim Einkaufen habe ich keine Angst vor Ansteckung“, sagt er. „Außerdem gehe ich nur raus, wenn ich einen ganz triftigen Grund habe.“ Die meiste Zeit des Tages verbringt er in seinem Haus in Rahnsdorf, idyllisch gelegen, mit viel Natur.

Stemmler, ein massiger Mann mit gemütlichem Gesicht, beobachtet Diegmann genau, manchmal konzentriert er sich dabei auf dessen Nasenspitze oder Lippen. „Wenn die blau oder blass werden, ist das ein Zeichen, dass die Sauerstoffzufuhr runtergeht“, sagt er.

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Dann muss Diegmann wieder ans Beatmungsgerät. Dann pumpt die Maschine durch einen grünen Schlauch genügend Luft in den Hals des Patienten. Die Ärzte haben bei Diegmann im Juli 2019 einen Luftröhrenschnitt gemacht, dadurch bekommt er genügend Sauerstoff. Höchstens anderthalb bis zwei Stunden hält Diegmann ohne Schlauch durch.

Der ehemalige Fotograf muss wegen Infektionen immer wieder in die Charité, dort wird er natürlich auch künstlich beatmet. „Am besten“, sagt er, „ist es, wenn das Gerät die meiste Arbeit übernimmt, wenn der Patient ruhig liegt. Nicht jeder schafft das.“ Aber es sei sehr wichtig, dem Gerät zu vertrauen. „Wenn man gegen die Maschine arbeitet, hält man das nicht lange durch.“

Der zuständige Arzt stellt das Gerät optimal auf den jeweiligen Patienten ein, in Diegmanns Fall bedeutet das normalerweise 14 Atemzüge in der Minute. „Man muss seine Atmung ganz an die Maschine abgeben, das ist eine Riesenumstellung“, sagt Diegmann. Inzwischen ist das für ihn kein Problem mehr.

„Ich habe zehn Minuten vorgeatmet“

„Manchmal“, sagt er, „vergesse ich, dass die Maschine an ist, dann bin ich überrascht, dass sie läuft.“ Er redet jetzt ohne den Schlauch in seinem Hals, die Stimme kommt etwas verzerrt, sie hat einen metallischen Klang. Das Gespräch strengt ihn an, obwohl er sich extra darauf vorbereitet hat. „Ich habe zehn Minuten vorgeatmet“, sagt er, „damit ich genügend Kraft zum Reden habe.“ Aber es ist ihm wichtig, dieses Gespräch, es ist für ihn auch eine Botschaft.

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Engelbert Diegmann will zeigen, dass man in einer fürchterlichen Situation Lebensmut besitzen kann. Im Oktober 2018 brachen ihm erstmals die Knie weg, im Januar 2019, sagt Diegmann, „hörte ich mein Todesurteil“. Diagnose ALS. Schreckensnachrichten und extreme Motivation liegen bei ihm nur ein paar Sätze auseinander.

Diegmann sagt: „In jeder Sekunde, in der wir reden, sterben weitere Nervenzellen von mir ab. Aber so gut wie heute wird es mir nie mehr gehen.“ Vier Minuten später: „Ich gebe meinem Leben durch die Hilfe für schwerstkranke Kinder einen unglaublichen Schub. Das setzt enorme Kräfte frei.“

[Kontakt: www.sovielfreude.de, Spenden: Kontoinhaber: „So viel Freude e.V.“, IBAN: DE02 1005 0000 0190 6842 67, BIC: BELADEBEXXX, Berliner Sparkasse]

Es ist seine Mission seit Mai 2017, da gründete er seinen Verein. Tausende Kickertische – große, wie sie in Kneipen stehen, und kleine, die man auf einen Tisch stellen kann – stehen in verschiedenen Kliniken in Berlin, aber auch in ganz Deutschland. Sie stehen nicht bloß bei krebskranken Kindern, sondern auch in Kinder- und Jugendpsychiatrie-Stationen.

Die Tagesspiegel-Spendenaktion „Menschen helfen“ stellte sein Projekt vor, als Engelbert Diegmann noch gesund war. Er, der Todkranke, ist immer noch Vereinsvorsitzender von und Cheforganisator von „So viel Freude“. Diegmann hat 20 Vereinskollegen, aber er telefoniert selbst mit potenziellen Sponsoren, organisiert vom Bett aus Transporte der Kicker und entwickelt Ideen für Projekte.

Mandala-Malbücher zum Beispiel, Vorlagen mit sehr detaillierten Motiven, speziell für Erwachsene und ältere Kinder gedacht. Er wird sie mit einem Designerbüro entwickeln. Und natürlich steht die nächste Lieferung von Kickertischen an. Sie werden im Sommer in einer Klinik in Andernach übergeben.

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Ob Diegmann dabei sein wird, ist unklar. Für ihn wäre es hart, wenn er fehlen würde. Die strahlenden Kinderaugen, das Lachen der jungen Patienten, die Freudenschreie, das sind die Impulse, die ihn in seinem Kampf um jede Minute Lebenszeit am meisten antreiben. Er verfolgt die Szenen gerührt in seinem Rollstuhl, an dem ein Beatmungsgerät installiert ist. Aber es sind auch Momente, in denen Diegmann stets am Rand zur Überforderung vorbeischrammt.

Er hat das in Bremen gemerkt, im Oktober 2019. Da übergab er in einer Klinik Kickertische. „Das war schwer“, sagt er, „da hatte ich meine ganze Energie aufgebraucht.“ Bei der nächsten Übergabe, einen Monat später in Düsseldorf, fehlte der Vereinsvorsitzende.

„Das erste Mal, dass ich nicht dabei war“, sagt Diegmann, „aber ich hatte die Kraft nicht mehr.“ Die Kraft für das Gespräch an diesem sonnigen Tag geht auch zu Ende. Diegmann muss sich erholen. Aber einen Satz sagt er noch: „Ich gebe nicht auf.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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