© Mike Wolff Aufbruch in Hohenschönhausen: Bilanz nach fünf Monaten – so arbeitet der neue Gedenkstättenleiter
Seit Herbst 2019 ist Helge Heidemeyer Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte. Er will die Einrichtung modernisieren.
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Den winzigen Balkon seines Büros darf Helge Heidemeyer nicht betreten. Der Balkon ist marode, an der Tür klebt eine Warnung: Einsturzgefahr, wer durchbricht, landet drei Stockwerke tiefer.
Also kann Heidemeyer nur vom Fenster auf die Häuserblöcke mit den Vernehmerräumen und den Gefängniszellen blicken. Dort finden gerade die wichtigeren Bauarbeiten der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen statt. Bäder, Tapeten, Möbel, ein neuer Aufzug, Dächer müssen saniert, Wände verändert werden. Acht Millionen Euro kosten die Arbeiten im neuen Gefängnistrakt. Bis Ende 2020 soll alles fertig sein. Der Balkon des Chefs hat da jetzt keine Priorität.
Seit September 2019 leitet der Historiker Heidemeyer die Gedenkstätte, das frühere Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit. Die meisten der insgesamt 11.000 Häftlinge saßen wegen politischer Delikte in dem düsteren Bau in Hohenschönhausen.
Mitte Januar sagt Heidemeyer in seinem Büro: „Ich habe hier engagierte Mitarbeiter mit guten Ideen und Projekten vorgefunden. Die Atmosphäre innerhalb der Belegschaft war gut, bevor ich gekommen bin.“ Erheblich weniger gut war die Atmosphäre zwischen Belegschaft und Führungsspitze.
Acht Frauen hatten sich über sexuelle Belästigung durch Helmuth Frauendorfer, den damaligen stellvertretenden Leiter der Gedenkstätte, bei der Senatskulturverwaltung beschwert. Hubertus Knabe, Frauendorfers Chef, wurde vorgeworfen, er habe dieses Verhalten nicht verhindert, obwohl er die Vorwürfe kannte. Frauendorfer und Knabe mussten gehen.
„Das Arbeitsklima ist im Moment nicht so gut.“
Heidemeyer hat viele Aufgaben, eine davon ist ein Kulturwandel bei den Umgangsformen. „Wir wollen eine moderne Gedenkstätte werden“, sagt der 56-Jährige, der zuvor jahrelang die Abteilung Bildung und Forschung beim Bundesbeauftragtem für die Stasi-Unterlagen geleitet hatte. Modern auch im Sinne von angemessenem, guten Arbeitsklima.
Gutes Arbeitsklima? Da verzieht ein langjähriger Mitarbeiter das Gesicht. „Nein, das Arbeitsklima ist im Moment nicht so gut. Viele sind eher unzufrieden. Es gab den Vorwurf, dass hier Strukturen für einen systemischen Sexismus herrschten.“ Einige, vor allem leitende Mitarbeiter fühlten sich in Mithaftung für das Verhalten von Frauendorfer genommen. „Es gab hier solche Strukturen aber nicht“, sagt er. Die vielen Workshops im Haus, Plattformen für die Aufarbeitung der Vergangenheit, empfänden einige als eine Art Tribunal.
© Agnieszka Budek
Heidemeyer lehnt sich überrascht zurück, als er das Stichwort „Strukturen für systemischen Sexismus“ hört. „Diesen Vorwurf haben die Frauen erhoben, die sich beklagt haben. Dieser Vorwurf steht ja nun im Raum, den kann man nicht abtun und wie Kohlen einfach wegschaufeln.“
Die sexuellen Belästigungen haben über mehrere Jahre hinweg stattgefunden, es war klar, dass Aufarbeitung stattfinden muss. „Die Krise hat alle Mitarbeiter betroffen, aber in unterschiedlicher Intensität“, sagt Heidemeyer. Sieben Workshops fanden bisher statt, der erste im Frühjahr 2019, der vorerst letzte im Dezember. Nur an den beiden letzten hat Heidemeyer auch teilgenommen.
Viele Fragen bei Workshops zu sexueller Belästigung
„Die Workshops haben dazu gedient, dass man erstmal klären konnte, was eigentlich los war“, sagt Heidemeyer. Es gab eine Flut von Fragen. Was hatte man früher gedankenlos gemacht? Was lief schief? Wie verhält man sich in bestimmten Situationen? Was bedeutet sexuelle Diskriminierung genau?
„Für mich ist das eine Chance, sich mit den Problemen auseinanderzusetzen und mit den Betroffenen zu sprechen“, sagt Heidemeyer. „Das muss ohne Vorwürfe an andere ablaufen.“ Und jeder müsse prüfen, ob er das Klima mitgetragen, ob er sich nichts vorzuwerfen habe. Es gehe aber auch um das Coaching der Führungskräfte. „Sie sollen lernen, Mitarbeiter sensibel zu führen. Dieser Prozess, sagt Heidemeyer, „kann nicht abgeschlossen sein“. Nur das externe Coaching, das ist jetzt beendet.
Zeitzeugen führen durch die Gedenkstätte
Aber der Historiker hat noch andere Änderungen im Kopf, die Gedenkstätte muss ja mit der Zeit gehen. Und da spielen die Zeitzeugen, die Führungen leiten – oft frühere Häftlinge von Hohenschönhausen – eine bedeutsame Rolle. Die „wesentlichen Grundpfeiler“ und „unsere Trümpfe“ nennt sie Heidemeyer. Sie hätten eine enorme „Bereitschaft zu qualitativer Veränderung“.
Die Bänke in den Zellen zum Beispiel. Bisher stehen die Besucher in den kargen Zellen und stellen sich vor, wie man hier leben musste. In Zukunft sollen Sitzbänke aufgestellt werden, auf denen die Besucher auf einen Bildschirm blicken. Die Bildschirme werden bald an den Wänden installiert, dann laufen Filme mit Zeitzeugen, die ergänzend zum Referenten ihre Erlebnisse schildern.
Zudem soll die jetzt noch abgeschirmte Großküche für Besucher geöffnet werden. Die Küche liegt im Keller, dazu gehören Zellen, die etwas besser ausgestattet sind als die restlichen in Hohenschönhausen. Frauen eines Arbeitskommandos haben hier gekocht. „Mit diesem Plan schlagen wir drei Fliegen mit einer Klappe“, sagt Heidemeyer. „Wir zeigen einen neuen Raum und können sowohl über die Situation der Frauen als auch der Arbeitskommandos informieren.“
Neu produzierter Film eröffnet die Führungen
Auch der Film, mit dem jede Führung beginnt, wird komplett neu produziert. Den bisherigen, der inzwischen nicht mehr gezeigt wird, kritisierten Referenten und andere Beobachter wegen historischer Ungenauigkeiten. Außerdem war er mit 30 Minuten ziemlich lang.
Der neue Film läuft nur noch eine Viertelstunde und klärt über die Gesamtsituation auf, in der das Stasi-Gefängnis entstand. Heidemeyer will bei Ausstellungen auch die Rolle der Haftanstalt stärker herausstellen. „Wir müssen die Einordnung von Hohenschönhausen im ganzen System sichtbar machen.“ Erst wenn man den Repressionsapparat DDR betrachte, wenn man sich die Arbeit der Stasi-Bezirksverwaltungen mitdenke, werde klar, welche Bedeutung Hohenschönhausen hatte.
© dpa
Heidemeyer will auch die Zusammenarbeit mit anderen Gedenkstätten intensivieren. Das liegt nahe. Er war erster wissenschaftlicher Leiter der Erinnerungsstätte Notaufnahme Marienfelde, erste Anlaufstelle von DDR-Flüchtlingen in Berlin. Die Zusammenarbeit soll durchaus auch mit historischen Stätten des nationalsozialistischen Terrors stattfinden.
Eine gemeinsame Ausstellung der Gedenkstätten Sachsenhausen, dem früheren KZ, und Hohenschönhausen, warum nicht? Dann könnte man die Besonderheiten des Stasi-Gefängnisses gut darstellen.
Besuchermagnet Stasi-Zentrale liegt nur ein paar Kilometer entfernt
Eine Gedenkstätte, die nur wenige Kilometer entfernt von Hohenschönhausen liegt, ist die ehemalige Stasi-Zentrale in Lichtenberg. Dort wird zusätzlich der „Campus der Demokratie“ entwickelt, alles sehr zäh, aber trotzdem ein potenzieller Besuchermagnet. Eine Konkurrenz zur Hohenschönhausen im Kampf um Interessenten?
Im Gegenteil, sagt Heidemeyer. „Wir haben im vergangenen Herbst sogar zwei Besuchergruppen nach Lichtenberg, zur Stasi-Zentrale, umgeleitet, weil wir an diesem Tag keine Gruppen mehr aufnehmen konnten.“ Zudem leiten Referenten durchaus in beiden Häusern Führungen. Gut möglich, dass Heidemeyers Mitarbeiter bald wieder Besuchergruppen umleiten müssen. Für den Monat Februar, der ja gerade erst begonnen hat, ist Hohenschönhausen bei den Anmeldungen von Gruppen schon jetzt komplett ausgebucht.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de