70 Jahre nach der Erstbesteigung: „Der Everest ist zum Konsumgut geworden“
© dpa/Roland Weihrauch 70 Jahre nach der Erstbesteigung: „Der Everest ist zum Konsumgut geworden“
Vor 70 Jahren wurde der Mount Everest erstmals bestiegen. Bergsteiger Reinhold Messner über die Leistung von Hillary und Norgay und seine Erlebnisse am höchsten Berg der Welt.
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Herr Messner, 2023 jährt sich die Erstbesteigung des Mount Everest zum 70. Mal. Wie haben Sie das als damals Achtjähriger erlebt?
Ich habe die Everest-Besteigung mitbekommen, aber das hat mich damals nicht interessiert. Ich bin damals schon geklettert, hatte Dreitausender bestiegen. Aber der Himalaya war außerhalb meiner Reichweite, am anderen Ende der Welt.
Trotzdem ging die Nachricht um die Welt.
Die Besteigung des Everest war damals medial das, was später die Fahrt zum Mond wurde. Die Engländer hatten den Everest zum dritten Pol stilisiert, weil sie am Süd- und Nordpol das Rennen verloren hatten. Nach der Erstbesteigung war der Zauber dann aber schnell vorbei.
Die Expedition 1953 rund um Tenzing Norgay and Edmund Hillary. © AFP/ROBIC UPADHAYAY
Die Briten, die schon in den 20er Jahren mit George Mallory knapp gescheitert waren, konnten auch den Everest nicht als erstes bezwingen. Wie bewerten Sie die Leistung des Neuseeländers Edmund Hillary und dem Sherpa Tenzing Norgay?
Ihr Erfolg baut auf den früheren Expeditionen im Himalaya auf, die 1895 mit dem Briten Albert Mummery am Nanga Parbat begannen. Fast hätten die Briten Tom Bourdillon und Charles Evans – hervorragende Kletterer – den Everest drei Tage eher bestiegen. Doch am Südgipfel verließ sie der Mut. Die Stelle darüber sieht schlimm aus, deswegen ist die Leistung von Hillary und Norgay so groß. Sie stiegen ins Unbekannte. Sie waren übrigens beide nicht für den Gipfel vorgesehen.
Wobei Tenzing Norgay sich gut auskannte, weil er schon in den 20er Jahren bei Expeditionen am Everest war.
Er war vorher schon ein Dutzend Mal am Everest gewesen und war ein Top-Bergsteiger. Aber die Engländer hätten damals niemals einen Sherpa auf den Gipfel mitgenommen. Sie sahen in ihnen Helfer, Dienstleister, Träger. Sie sollten einem auch Frühstückstee kochen. Hillary aber bestand auf Tenzing Norgay als zweiten Mann. Eine weise Entscheidung.
Sie selbst haben auch mehrfach Geschichte geschrieben am Mount Everest: welche Bedeutung hat der Berg für Sie?
Der Nanga Parbat wird für immer mein Schicksalsberg bleiben, weil ich dort meine schlimmsten Erfahrungen und meinen ersten Alleingang gemacht habe. Auch der Everest bedeutet mir viel. Denn 1978 wurde meine Art des Bergsteigens, ohne Maske und Flaschensauerstoff, in Frage gestellt. Dabei ist mein Stil schneller, günstiger und umweltfreundlicher. Alle sagten, das ginge nicht. Der Erfolg von Peter Haberer und mir hat vor allem deshalb weltweit Erstaunen ausgelöst.
Ohne Sauerstoff und Maske auf dem Dach der Welt: Reinhold Messner 1978 auf dem Mount Everest. © dpa/Reinhold Messner
Welche Erinnerung haben Sie an den Aufstieg?
Wir waren gute fünf Wochen am Berg, als wir unsere Chance erhielten. Es stürmte draußen Graupelschauer als wir gegen fünf Uhr aus unserem letzten Lager auf etwa 8000 Metern krochen. Zum Start war der Schnee tief und Peter dachte ans Umkehren, war langsam, aber dann ging es besser.
Für Romantik ist am Everest keine Zeit.
Reinhold Messner hat am Gipfel keine großen Gedanken.
Wir schleppten uns weiter. Nach jedem Schritt schnappten wir nach Luft. Es war der pure Wille, der gewann. Irgendwann waren wir auf dem Gipfel.
Wie fühlt man sich auf dem Everest ohne Sauerstoff?
Dort oben ist man sehr weit weg von der Sicherheit. Es war kein erhabenes Gefühl, dafür sollte man Gipfel in den Alpen besteigen. Für Romantik ist am Everest keine Zeit. Der Gipfel ist nur ein Wendepunkt. Peter ist sofort wieder abgestiegen, ich habe mir noch ein bisschen Zeit gelassen. Mir wurde dort oben nichts klar. Dass ich alle Achttausender ohne Maske besteigen würde, kam mir erst Jahre später. Der Everest ohne Maske machte es dankbar.
Kehren Sie nochmal zurück? Wenn Sie noch zwei Jahre warten, könnten Sie den Altersrekord des Japaners Yuichiro Miura schnappen, der mit 80 Jahren auf den Mount Everest stieg.
Diese Rekorde machen wenig Sinn. Das traditionelle Bergsteigen ist nicht messbar, denn die Verhältnisse sind immer wieder anders – der Wind, der Berg, die Ausrüstung. Es geht mir um die human Dimensionen. Was erleben wir, wenn wir der Natur ausgeliefert sind, weit weg von der Zivilisation? Das ist verloren gegangen.
Es ist bedauerlich, aber wir reichen Europäer können einem armen Land wie Nepal nicht vorschreiben, auf viel Geld und Arbeitsplätze zu verzichten.
Reinhold Messner wünscht sich weniger Tourismus im Himalaya.
Heute klettern am Everest hunderte Menschen parallel. Mindestens einmal werde ich aber noch zurückkehren in die Nähe des Bergs.
Warum?
Wir eröffnen zum 70. Jahrestag ein Museum in Namche im Solokhumbu, dem Sherpa-Dorf am Fuße des Everest. Damit möchte ich an die Kultur und Leistung der Sherpas erinnern, die vor 500 Jahren dort eingewandert sind. Sie waren eine vertriebene Volksgruppe, die mit tausenden Yaks über einen 6000 Meter hohen Pass nach Nepal eingewandert sind. Später wurden sie dann die Höhenträger, ohne die anfangs kein Ausländer auch nur in die Nähe der höchsten Gipfel gekommen wäre.
Der Everest ist auch durch die Sherpas zum Geschäftsmodell geworden. Wie hat das den Berg und die Region verändert?
Wir beobachten im Himalaya die gleiche Entwicklung wie in den Alpen. Nach der Eroberung kam der Tourismus. Der Everest ist zum Konsumgut geworden. Man kann ins Reisebüro gehen und sich den Aufstieg vom Basislager zum Gipfel buchen, inklusive Koch, Arzt und erfahrenen Bergführern. Viele überfliegen inzwischen den gefährlichen Eisbruch mit dem Hubschrauber.
Stau am Gipfel des Mount Everest. © AFP PHOTO / @NIMSDAI PROJECT POSSIBLE
Vor 20 Jahren habe ich mit Edmund Hillary beim König von Nepal vorgesprochen, um die Besteigung pro Saison auf eine Expedition pro Route zu beschränken – ohne Erfolg. Es ist bedauerlich, aber wir reichen Europäer können einem armen Land wie Nepal nicht vorschreiben, auf viel Geld und Arbeitsplätze zu verzichten.
Im Khumbu wird es immer trockener, im ganzen Himalaya schmelzen die Gletscher. Wie lange wird es die Welt, wie Sie sie kennengelernt haben noch geben?
Die Veränderungen sind greifbar: die Gletscher schnelzen, der Jet-Stream ändert seine Bahn. Im Karakorum kann man wegen Lawinengefahr im Sommer kaum noch klettern. In den Bergen ist die globale Erwärmung krasser als in den Städten, ausgelöst aber werden die Veränderungen hier.
Auf mich wirkt die letzte Generation wie eine Sekte.
Reinhold Messner über die Aktionen der Letzten Generation.
Nicht der Tourismus in den Bergen ist das Problem, sondern die Industrialisierung, das Verbrennen fossiler Brennstoffe und unser Verhalten. Wir Menschen müssen verzichten auf das, was wir nicht brauchen. In Mitteleuropa sind 50 Prozent unseres Konsums überflüssig. Ein Drittel unserer Nahrungsmittel wird weggeworfen, man braucht keine 80 T-Shirts im Schrank.
In Berlin blockieren Kliamaaktivisten Straßen, indem sie sich an den Asphalt kleben. Aus Protest werden Bäume gefällt und das Brandenburger Tor besetzt. Können Sie mit dieser Form des Protests etwas anfangen?
Wenn Klimaschützer Bäume fällen, ist das, als ob Veganer aus Protest Schweine töten. Das alles macht wenig Sinn. Der Versuch, die Gesellschaft in Geiselhaft zu nehmen, ist kontraproduktiv. Wir können uns nicht erpressen lassen, nur weil einige ein Tempolimit und das Neun-Euro-Ticket wollen.
Das zeugt von null Demokratieverständnis. Auf mich wirkt die letzte Generation wie eine Sekte. Die Gemeinschaft werden sie damit nicht erreichen und die Erwärmung und den Wandel in den Bergen nicht aufhalten.
- Letzte Generation
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de