Väterchen Virus: Der Mensch ist ein Kind fieser Erreger
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Väterchen Virus: Der Mensch ist ein Kind fieser Erreger
Für Viren hat man in der Regel wenig Sympathien übrig. Allerdings gäbe es Homo sapiens und sein fittes Gehirn ohne die Erreger wohl kaum.
Eine Kolumne von
„Ich denke, also bin ich“ – das redete sich der französische Philosoph René Descartes im 17. Jahrhundert ein, wenn er sich mal wieder im Erkenntniszweifel suhlte. „Ich huste, schniefe, schnäuze, also bin ich“ wäre das aktuelle Pendant des Erbonkels. Fiese Viren haben zugeschlagen. Gefühlte Ganzkörperdurchseuchung. Aber so ätzend die Erreger auch sind – ohne sie gäbe es weder Descartes, noch den Erbonkel, weder menschliches Sein, noch Bewusstsein.
Denn wären die frühen Wirbeltierarten vor fast 500 Millionen Jahren nicht auch von Viren befallen worden, dann hätten sich weder das menschliche Gehirn, noch andere komplexe Nervensysteme entwickeln können. Das zeigen Erbgutuntersuchungen, über die ein Forschungsteam um den Neurowissenschaftler Robin Franklin von der Cambridge University in der aktuellen Ausgabe des Fachblattes „Cell“ berichtet.
Demnach geriet damals das Erbgut von Retroviren in die Genome von Wirbeltieren. 40 Prozent des menschlichen Erbguts bestehen heute aus solchen Virusresten. Franklins Team fand heraus, dasss eines dieser Virus-Überbleibsel, „RetroMyelin“ genannt, entscheidend dazu beiträgt, dass um Nervenzellfortsätze eine Isolierschicht entsteht, die sogenannte Myelinscheide.
Demnach geriet damals das Erbgut von Retroviren in die Genome von Wirbeltieren. 40 Prozent des menschlichen Erbguts bestehen heute aus Virusresten. Franklins Team fand heraus, dass eines dieser Virus-Überbleibsel, „RetroMyelin“ genannt, entscheidend dazu beiträgt, dass um Nervenzellfortsätze eine Isolierschicht entsteht, die sogenannte Myelinscheide.
Mit Myelinummantelung werden Nervenimpulse schneller übertragen, die Nerven können länger, das Tier größer, das Nervensystem komplexer werden. Entfernten die Forscher die viralen Erbgutabschnitte aus dem Genom von Fischen und Fröschen, ging die Myelinschicht ihrer Nerven verloren.
Myelinisierte (grün) Nervenzellen.
© Peggy Assinck, Altos Labs-Cambridge Institute of Science
„Retroviren waren notwendig, damit die Evolution der Wirbeltiere in Gang kommen konnte“, sagt Franklin. „Ohne Retroviren hätte es keine Myelinisierung gegeben, und ohne Myelinisierung hätte es die ganze Vielfalt der Wirbeltiere, wie wir sie kennen, nie gegeben.“
Ohne Virus-gepimptes Genom hätte es also auch das Gehirn von Homo sapiens so nie gegeben. „Ich denke, also bin ich, dank Viren“. Grippe ist trotzdem Mist.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de