Umweltministerin Lemke im Interview: „Poolbesitzern würde ich raten, in die wunderbare Natur zu gehen“
© Mario Heller/Tagesspiegel/Mario Heller Umweltministerin Lemke im Interview: „Poolbesitzern würde ich raten, in die wunderbare Natur zu gehen“
Umweltministerin Steffi Lemke will Städte für Hitze und Starkregen wappnen. Ein Gespräch über die Folgen der Dürre, Versiegelungspotenziale in Berlin und das Fischsterben in der Oder.
Von
Frau Lemke, als Umweltministerin beschäftigen Sie sich jeden Tag mit den Problemen unserer Ökosysteme. Macht Ihnen die Klimakrise Angst?
Die Folgen der Klimakrise beunruhigen mich selbstverständlich. Es gibt in Frankreich, Spanien und Italien massive Dürren, Wasserprobleme und verheerende Waldbrände. Solche Ereignisse suchen auch Deutschland regelmäßig heim. Unsere Landschaft trocknet aus.
Sieht man sich die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung an, könnte man einen anderen Eindruck bekommen: Das Heizungsgesetz wurde entschärft, die Sektorziele, die festschreiben sollten, wie viel CO₂ die Bereiche einzelner Ministerien, zum Beispiel Verkehr, ausstoßen dürfen, wurden aufgehoben. Nehmen Sie die Klimaschutzziele nicht ernst genug?
Ich teile Ihren Eindruck nicht. Wegen der geostrategischen Veränderungen mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und wegen der globalen Inflation musste die Bundesregierung schwierige Abwägungen treffen. Wir haben aber viele wichtige Entscheidungen auf den Weg gebracht.
Die verbindlichen Klimaziele für einzelne Ministerien abzuschaffen, ist aber doch kein Erfolg.
Entscheidend sind für mich die realen Fortschritte, etwa, dass wir massive Zuwächse bei den Erneuerbaren Energien haben oder auf Elektromobilität umsteigen. Diese Dinge bringen uns in der Praxis wirklich voran. Die Ziele des Klimaschutzgesetzes bleiben zudem erhalten, und es wird transparent gemacht, wo die Ressorts stehen. Die Regierung und die einzelnen Ministerien bleiben in der Pflicht.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn das Gesetz so geblieben wäre, wie es war.
Umweltministerin Steffi Lemke über das neue Klimaschutzgesetz.
Das einzelne Ressort kann aber nicht mehr juristisch verantwortlich gemacht werden. Ist das für Sie besonders schmerzhaft, da die Sektorziele einst in Ihrem Ressort erarbeitet wurden?
Mir wäre es lieber gewesen, wenn das Gesetz so geblieben wäre, wie es war.
Die Folgen der Klimakrise werden spürbar. New York sah zuletzt aus wie in einem Endzeit-Science-Fiction-Film, in der Nähe von Berlin hat es tagelang gebrannt. Wie kann Politik Menschen vor den Folgen schützen?
Mit guter Vorsorge. Wir haben als Umweltministerium ein Vier-Milliarden-Euro-Programm für Natürlichen Klimaschutz auf den Weg gebracht, das Ökosysteme stärkt und schützt. Wir müssen Wälder, Auen und Moore renaturieren, das bindet nicht nur CO₂, sondern hält auch mehr Wasser in der Landschaft. So kann sie uns vor Dürre bewahren, aber auch bei Starkregen Wasser aufnehmen und uns Menschen somit vor den Folgen der Klimakrise schützen.
Über Jahrhunderte haben wir dafür gesorgt, dass Wasser möglichst schnell abfließt. Das war früher gut für den Ackerbau und hat Wohlstand geschaffen, aber inzwischen müssen wir umdenken, um den Wohlstand zu erhalten. Nun droht uns die Versteppung von Landschaften, zum Beispiel in Brandenburg oder Sachsen-Anhalt. Zudem habe ich ein Klimaanpassungsgesetz vorbereitet …
…das im Juli im Kabinett beschlossen werden soll…
… mit dem die Bundesregierung der Klimaanpassung in Bund, Ländern und Gemeinden einen neuen Rahmen gibt. Wir wollen den Kommunen dabei helfen, ihre konkreten Risiken vor Ort zu identifizieren. In Berlin heißt Schutz gegen die Klimakrise etwas völlig anderes als bei mir in Dessau, an der Küste oder in den Bergen.
2024soll das Klimaanpassungsgesetz nach dem Plan der Umweltministerin in Kraft treten.
Daher müssen Städte und Gemeinden auf Basis ihrer Risikoanalysen Maßnahmen für Anpassung und Risikovorsorge finden, die zu ihrer jeweiligen Situation passen. Bei Klimaanpassung geht es weniger um den Schutz der Natur, sondern um den Schutz der Menschen vor Hitzewellen, vor Dürre und vor Katastrophen wie Überflutungen und Waldbränden.
Bis wann sollen die Kommunen solche Pläne vorlegen?
Nach meinen Vorstellungen soll das Gesetz Anfang 2024 in Kraft treten. Eine konkrete Frist wird den Kommunen aber nicht vorgegeben, da es sehr unterschiedlich ist, welche Vorarbeiten diese schon gemacht haben. Manche haben schon ein fertiges Konzept, andere stehen noch ganz am Anfang.
Steffi Lemke in ihrem Ministerium. © Mario Heller/Tagesspiegel/Mario Heller
Es wird auch nicht jede kleine Gemeinde ein eigenes Konzept vorlegen müssen. Das wäre mir zu bürokratisch gedacht. Die Länder entscheiden, ab welcher Größe eine Gemeinde ein eigenes Konzept vorlegen muss. Wichtig ist, dass wir das Grün in der Stadt erhalten, ausweiten und Strategien für Dürreperioden entwickeln.
Die Kommunen ächzen schon jetzt unter der Bürokratie für die Wärmeplanung, Geflüchtete müssen untergebracht werden und durch die Inflation sind die Kosten gestiegen. Wird sich der Bund für solche Hitzeschutzpläne finanziell beteiligen?
Seit Langem unterstützt das Bundesumweltministerium Städte und Gemeinden mit Programmen. Wir fördern zum Beispiel Klimaanpassungsmanager, also Expertinnen und Experten, die vor Ort mit der Verwaltung effektive Maßnahmen identifizieren. Diese Förderung kann aus verfassungsrechtlichen Gründen aber nur temporär geleistet werden. Für eine wirkungsvolle Klimaanpassung bräuchten wir eigentlich eine dauerhafte Finanzierung von Klimaanpassung in Kommunen.
Mehr Grün, weniger Beton, das ist die Stadt der Zukunft.
Umweltministerin Steffi Lemke will Hitzepläne für Städte.
In der Umweltministerkonferenz beraten Bund und Länder, wie wir diese nationale Kraftanstrengung gemeinsam stemmen können, zum Beispiel über eine neue Gemeinschaftsaufgabe. Ich gehe aber davon aus, dass wir das in dieser Legislaturperiode nicht abschließend lösen werden, zumal das eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages erfordern würde.
Relativ preiswert wäre, Flächen von Beton zu befreien und zu bepflanzen, also zu entsiegeln. Wo sehen Sie dabei Potenziale?
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir beim Städtebau zu wenig darauf geachtet, das Wasser in den Städten zu halten und zu speichern. Vielmehr wurden Kanalisationen gebaut, die das Wasser schnell ableiten, nicht nur Abwasser, sondern auch Regenwasser.
Auch war bisher der Bau von Straßen wichtiger als Hitzeschutz für die Bevölkerung. Angesichts der Klimakrise brauchen wir hier ein Umdenken. Mehr Grün, weniger Beton, das ist die Stadt der Zukunft.
In Berlin kämpft der CDU-geführte Senat aktuell hart für den Erhalt von Parkplätzen. Müsste hier entsiegelt werden?
Über seine Parkplätze und Radwege muss Berlin selbst entscheiden. Ich kann nur allen Städten raten, sich auf Hitze und Starkregenereignisse noch besser vorzubereiten. Berlin ist eine sehr stark versiegelte Stadt, wo es viele Möglichkeiten gäbe, auch zur Entsieglung.
Wir müssen noch viel mehr lernen, mit Wasser sorgfältig umzugehen.
Umweltministerin Steffi Lemke.
Es gibt hier auch tolles Stadtgrün, das aber unter der Hitze leidet. Ich war letztens erst in der Hasenheide, einem Park in Berlin-Neukölln. Dort sterben mehr Bäume als nachgepflanzt werden können. Auch über die vorhandene grüne Infrastruktur müssen sich die Städte stärker als früher bekümmern, auch sie muss an die Klimakrise angepasst werden.
Immer mehr Gemeinden verbieten die Bewässerung von Gärten am Tag. Droht so etwas bald in ganz Deutschland?
In meiner Heimatstadt Dessau gab es schon vor Wochen einen Erlass, dass private und öffentliche Flächen ab dem 1. Juli zwischen 10 und 18 Uhr, also dann wenn die Sonne am heißesten ist, nicht mehr bewässert werden dürfen. Das ist eine absolut sinnvolle Maßnahme und tut auch niemandem weh. Das müssen aber die Kommunen entscheiden, da die Voraussetzungen lokal unterschiedlich sind.
In immer mehr Kommunen wird die Bewässerung tagsüber verboten. © dpa/Julian Stratenschulte
Braucht es mehr solcher Maßnahmen?
Wir müssen noch viel mehr lernen, mit Wasser sorgfältig umzugehen. Die größten Wasserverbraucher in Deutschland sind die Industrie und auch die Energiebranche. Hier braucht es ein Umdenken. Trotzdem sollten wir auch im privaten Bereich sparen und etwa über Grauwassernutzung nachdenken. Wir wissen, dass es noch heißer werden wird und damit die Verdunstung weiter zunimmt.
Mit der Nationalen Wasserstrategie haben wir die Entwicklung von Leitlinien für den Umgang mit Wasserknappheit vorgeschlagen. Die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser hat dabei absolute Priorität und muss zu jeder Zeit gewährleistet sein.
Was würden Sie Poolbesitzern raten?
Poolbesitzern würde ich raten, in die wunderbare Natur zu gehen und unsere Badegewässer, die wir in Deutschland noch mit sehr guter Wasserqualität haben, zu nutzen. Ob das Füllen von Pools eingestellt werden muss, entscheiden die Kommunen. Bei großer Hitze und langer Dürre haben einzelne Kommunen solche Entscheidungen bereits getroffen.
Finden Sie den Neubau von Pools noch zeitgemäß?
Das kann ich nicht pauschal entscheiden, es gibt Regionen, die stark unter Dürre und Hitze leiden, und solche, bei denen das weniger der Fall ist. Es hängt auch davon ab, ob es in der Region große industrielle Verbraucher gibt.
Es regnet immer seltener – dafür aber heftiger. © dpa/Paul Zinken
Wir kennen alle das Beispiel Tesla, die Ansiedlung des Unternehmens in Brandenburg östlich von Berlin hat die Trinkwasserversorgung vor Ort tangiert.
Sehen Sie Unternehmen wie Tesla dann in der Pflicht?
Selbstverständlich sind Unternehmen zum Wassersparen und zur effizienteren Nutzung von Wasser aufgefordert. Die gute Nachricht: Sehr viele Unternehmen tun das bereits. Im Durchschnitt ist der Verbrauch in der Industrie in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. Was wir brauchen, ist eine bessere Übersicht über die tatsächlichen Wasserentnahmen im gesamten Land, um zu wissen, wer wie auf unsere Grundwasservorräte zugreift. Hier setzen auch Maßnahmen der Nationalen Wasserstrategie an, um Lücken zu schließen.
Die Diskussion über das Heizungsgesetz hat gezeigt: Sobald es Menschen an den Geldbeutel geht, wird Klimaschutz nachrangig. Wie kann man das ändern?
Ich sehe das anders. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel sind inzwischen in Neubauten um die 80 Prozent Wärmepumpen verbaut. Sachsen-Anhalt ist nicht das reichste Bundesland. Photovoltaik-Anlagen aufzustellen, wird gerade nach meiner Beobachtung zu einer Art Volkssport, zumindest für diejenigen, die ein Dach zur Verfügung haben.
Auch Balkonkraftwerke boomen, viele Fahrräder werden gekauft, das 49-Euro-Ticket wurde elf Millionen Mal verkauft. Ich würde nicht sagen, dass Klimaschutz den Menschen nicht wichtig ist, viele machen schon eine ganze Menge. Als Politik müssen wir das klug flankieren. Dazu gehört auch, dass wir unsere Umwelt und Ökosysteme nicht stabilisieren können, wenn wir nicht etwas ändern.
Welche Fehler haben Sie beim Heizungsgesetz gemacht?
Wir haben eine heftige Debatte über das Heizungsgesetz erlebt, mit einer hohen Emotionalität. Uns war allen klar, dass das Umsetzen der Klimaziele in die Realität zu schwierigeren Auseinandersetzungen führt. In dieser Phase sind wir jetzt. Das Gesetz wurde verändert und das ist auch richtig. Wir Grüne haben da in der Kommunikation anfangs Fehler gemacht, wir waren auf die Debatte nicht ausreichend vorbereitet und haben sie unterschätzt. Das ist sicherlich eine Lehre für uns.
Halten Sie die Änderungen im Gesetz für richtig?
Das Gesetz hat einige Anpassungen erfahren, leitet aber die Wärmewende ein. Dass noch einige wenige Jahre Gas-Heizungen eingebaut werden dürfen, halte ich für verkraftbar. Für die Handwerksbetriebe vor Ort macht es das Ganze handhabbarer und praktikabler.
In jedem Fall hat die Diskussion, vielleicht auch gerade wegen ihrer Hitzigkeit, dazu geführt, dass die wichtige Rolle der Wärmeerzeugung für den Klimaschutz unwiderruflich im öffentlichen und privaten Bewusstsein angekommen ist. Ich vertraue darauf, dass die Menschen sich ziemlich genau überlegen, in welche Technologie sie investieren, ganz unabhängig davon, was das Gesetz jetzt konkret beinhaltet.
Wie heizen Sie privat?
Ein Teil erneuerbar, ein Teil fossil.
Themenwechsel: Im vergangenen Sommer hat das Fischsterben an der Oder für Schlagzeilen gesorgt. Sie waren nun wieder dort, die Temperatur steigt. Rennen wir sehenden Auges in die nächste Umweltkatastrophe?
Ich dränge bei meiner polnischen Amtskollegin Anna Moskwa auf einen besseren Informationsaustausch. Die Ursachen für das Fischsterben liegen bei den hohen Temperaturen, verbunden mit niedrigen Wasserständen, Salzeinleitungen und der Alge, die in einem Süßwasser-Fluss normalerweise nicht vorkommt.
Störe wie diese aus dem Müggelsee sollen bald auch wieder in der Oder schwimmen. © dpa/Wolfgang Kumm
Die Alge wird bleiben, die Temperaturen auch. Wenn die hohen Salzeinleitungen durch die Industrie nicht reduziert werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Katastrophe wiederholen könnte, sehr groß. Meine Hauptforderung an die polnische Seite ist deshalb, dass die Salzeinleitungen in den Monaten, in denen es sehr heiß ist, verringert oder sogar eingestellt werden.
Ihre Amtskollegin scheint da nicht ganz so empfänglich zu sein. Welche Möglichkeiten haben Sie, auf das Nachbarland einzuwirken?
Wir müssen für unsere Position werben und im Austausch bleiben. Es gibt auf der polnischen Seite jetzt zumindest eine viel größere Sensibilität. Als dort letzte Woche im Gleiwitzer Kanal tote Fische und Algenwachstum zu verzeichnen waren, wurde sofort ein Krisenstab eingerichtet. Das ist gut, aber es muss auch klar sein, das haben wir der polnischen Seite gesagt, dass sich diese Katastrophe nicht wiederholen darf.
Die Grünen, und auch Sie persönlich, mussten in dieser Regierung viele Kompromisse eingehen. Das LNG-Terminal, die Planungsbeschleunigung, Regelgeschwindigkeit 50 innerorts. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, Sie drohten „abzusaufen, im Haifischbecken dieser Bundesregierung“. Was entgegnen Sie?
Ich empfinde die Bundesregierung nicht als Haifischbecken, sondern als eine demokratisch legitimierte Regierung, die in schwierigen Zeiten große Probleme lösen muss. Das tut sie, trotz aller Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Außerdem kann ich ganz gut schwimmen.
Zur Startseite
- Brandenburg
- Klimawandel
- Sachsen-Anhalt
- Steffi Lemke
- Tesla
- Umwelt und Natur
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de