Reform der Schuldenbremse: Veränderung, Aushöhlung – oder gar Abschaffung?
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Reform der Schuldenbremse: Veränderung, Aushöhlung – oder gar Abschaffung?
Nach dem Karlsruher Urteil diskutiert die Politik über Änderungen der Kreditfinanzierung von Investitionen. Doch welcher Weg wäre der beste?
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Seit gut sechs Wochen debattiert die Politik über die Schuldenbremse. Seit das Bundesverfassungsgericht sein Urteil des Jahres gesprochen hat. Am 15. November präzisierte der Zweite Senat, wie die Schuldenbremse verfassungskonform anzuwenden ist. Das Gericht stellte klar, dass das fortgesetzte Haushalten mit kreditfinanzierten Sondervermögen, also mit auf mehrere Jahre angelegten Nebenetats, nicht der Verfassung entspricht. Will heißen: Das Umgehen der Schuldenbremse auf diesem Weg ist gestoppt.
Wie aber soll mit dem Urteil umgegangen werden? Diskutiert wird eine Reform der Schuldenbremse. So haben die Richter mit ihrer harten Entscheidung den Anstoß gegeben, dass nun über die Veränderung, Aushöhlung oder gar Abschaffung ausgerechnet des Instruments diskutiert wird, das sie mit dem Urteil geschärft haben.
Allerdings braucht eine solche Reform eine verfassungsändernde Mehrheit – egal ob nun der Artikel 115 im Grundgesetz geändert wird oder ob sich die Politik darauf verständigt, häufiger schuldenfinanzierte Extratöpfe nach dem Vorbild des Sondervermögens Bundeswehr zu nutzen. Dieses wurde als Ausnahme von der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.
Zweidrittelmehrheit ist nötig
Die so oder so nötige Zweidrittelmehrheit muss im Bundestag wie im Bundesrat zusammenkommen. Es geht also um ein Bund-Länder-Projekt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat vor Weihnachten im Tagesspiegel einen Weg aufgezeigt, wie alle Seiten an einen Tisch gebracht werden könnten.
Für die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität brauche es ein „Jahrzehnt der Investitionen“ für „den Bau von elementarer Infrastruktur“, sagte er. Mit Blick darauf seien die Regeln der Schuldenbremse zu debattieren. Der „richtige Ort für so einen Prozess“ wäre laut Kretschmann eine weitere Föderalismuskommission.
Es wäre die dritte binnen eines Vierteljahrhunderts. Die erste brachte 2006 eine Neujustierung des Bund-Länder-Verhältnisses. Die zweite schuf 2009 die Schuldenbremse im Grundgesetz. Beide Kommissionen wurden von Bundestag und Bundesrat besetzt, dazu kamen wissenschaftliche Berater. Die nächste Föderalismusreform – im Mittelpunkt stand eine Veränderung des Finanzausgleichs – war dann allerdings ein Werk allein der Ministerpräsidentenkonferenz und der Bundesregierung, also der Exekutive.
Eine überparteiliche Kommission für eine Reform der Schuldenbremse kann ein guter Weg sein
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
Nach Kretschmanns Vorstellung soll es nun wieder ein Gremium der legislativen Kammern richten. Er sieht darin die beste Möglichkeit, einen überparteilichen Weg zur Reform zu finden. Eine Hürde allerdings hat er im Interview benannt: Kanzler Olaf Scholz (SPD) wolle eine solche Kommission nicht.
Nun aber bekommt der grüne Ministerpräsident prominente Unterstützung aus der SPD. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidenten Malu Dreyer sagte dem Tagesspiegel mit Blick auf eine Reform der Schuldenbremse, es brauche für eine sachgerechte Lösung alle demokratischen Parteien. Doch seien „die Fronten aktuell sehr verhärtet“. Daher könne „eine überparteiliche Kommission für eine Reform der Schuldenbremse ein guter Weg sein, um das zu erreichen“.
„In Zukunftstechnologien investieren“
Deutschland befinde sich in einem „Veränderungsjahrzehnt“ und habe „Kraft und kluge Köpfe, um daraus ein Zukunftschancen-Jahrzehnt zu machen, indem wir in Zukunftstechnologien investieren“. Investitionen etwa in die Produktion und Verteilung von Wasserstoff schafften Rendite.
„Dabei können wir den Sozialstaat erhalten, denn die sogenannten konsumtiven Ausgaben sind Investitionen in Menschen, die aktuell Unterstützung brauchen, sowie in Kinder, Jugendliche und Studierende, damit sie unsere Fachkräfte von morgen werden können“, sagte Dreyer. „Deutschland sollte nicht durch Streit gelähmt werden, sondern durch eine breit getragen Reform der Schuldenbremse seine Stärken entfalten können.“
Merz will erst einmal keine Reform
Wie eine Reform konkret aussehen soll, darüber wird bei Grünen und SPD derzeit eifrig diskutiert. Die Meinungen reichen von moderaten Eingriffen bis zur Komplettabschaffung der aktuellen Regelung. Die FDP dagegen ist allenfalls zu kleinen Änderungen bereit, etwa bei der sogenannten Konjunkturkomponente – Finanzminister Christian Lindner ist hier offen für mehr Spielraum je nach Wirtschaftslage.
Dagegen hat sich CDU-Chef Friedrich Merz darauf festgelegt, erst einmal gar nichts zu verändern. Das ist nun auch offizielle Parteilinie. CDU-Ministerpräsidenten hatten nach dem Urteil zwar auch eine Reformdebatte angeregt, etwa Daniel Günther in Schleswig-Holstein oder Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt. Aber sie stützen nun die Haltung von Merz. Einzig Kai Wegner in Berlin ist offen bei seiner Meinung geblieben, die Schuldenbremse müsse so verändert werden, dass dauerhaft mehr Kreditspielraum für die Regierungen möglich sei.
Reformkommissionen gab es früher schon
Aus Sicht von Merz ist diese Positionierung der Union logisch. Er ist Oppositionsführer im Bundestag und will daher nicht dazu beitragen, durch eigene Vorschläge das Sortieren der Differenzen innerhalb der Ampel-Parteien zu erleichtern. Erst wenn dort mehr Klarheit herrscht, dürfte sich Merz – dann auch gedrängt von seinen regierenden Regionalfürsten – auf Reformideen einlassen. Aber er kann dann die Rolle desjenigen spielen, der am Ende das Ausmaß einer Reform bestimmt.
Die beiden früheren Reformkommissionen hatten stets zwei Vorsitzende – den Chef der jeweils größten Regierungsfraktion im Bundestag und einen Ministerpräsidenten aus dem Oppositionslager. In der ersten Runde waren das der Sozialdemokrat Franz Müntefering und Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, der einerseits der eifrigste Reformanhänger war, andererseits in dieser Rolle aber zur Mäßigung gezwungen war.
In der zweiten Runde, bei der Einführung der Schuldenbremse, hatten SPD-Fraktionschef Peter Struck und der baden-württembergische Regierungschef Oettinger die Hüte auf.
Wer würde nun einer dritten Kommission vorsitzen? Bleibt man bei den Vorbildern, wären es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und ein einflussreicher Unions-Landeschef. Wer von denen könnte wollen? Mit Merz in der Position eines Veto-Spielers wäre es nicht der angenehmste Job – also vor allem nichts für Hendrik Wüst oder Markus Söder. Die Besetzung mit einem SPD-Regierungschef scheidet aus. Bliebe am Ende also Kretschmann.
Aber noch gibt es wenig Bewegung hin zu einer neuen Reformkommission. Offenbar präferieren einige im Kreis der Ministerpräsidenten eher die Lösung allein im Kreis der Exekutiven, also Ministerpräsidentenkonferenz und Bundesregierung. Aber will das der Bundestag?
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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