Präsident des Landkreistags zur Migration: „Das ganze Ausmaß der Probleme werden wir erst in drei, fünf oder zehn Jahren sehen“

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Präsident des Landkreistags zur Migration: „Das ganze Ausmaß der Probleme werden wir erst in drei, fünf oder zehn Jahren sehen“

© picture alliance/dpa/Robert Michael Präsident des Landkreistags zur Migration: „Das ganze Ausmaß der Probleme werden wir erst in drei, fünf oder zehn Jahren sehen“

Er fordert Aufnahmezentren an den deutschen Außengrenzen und Klarheit über eine Bezahlkarte beim Gipfel im November: Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, über seine Erwartungen in der Migrationsdebatte.

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Herr Sager, die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich am Freitag in der Migrationsdebatte auf Forderungen festgelegt, von der Union kam zum Treffen im Kanzleramt ein Katalog mit 26 Ideen. Für wie groß halten Sie in dieser Gemengelage die Chance, dass man sich auch tatsächlich auf Dinge einigt?
Man muss sich einigen. Das ist die ganz klare Erwartungshaltung der Kommunen und auch der Anspruch der Bürgerinnen und Bürger. Schauen Sie auf die Landtagswahlergebnisse vom Sonntag und auch auf den ARD-Deutschlandtrend von Freitag: Der zeigt, dass die Zuwanderung für die Menschen in Deutschland derzeit das vordringliche Problem ist. Es muss jetzt einfach zu einer Einigung kommen.

Es gab in der ersten Jahreshälfte schon zwei Gipfel zum Thema im Bundesinnenministerium. Was ist nun anders?
In der Tat dauert die Debatte schon viel zu lange. Die Bundesregierung hat das Thema schleifen lassen. Die Gespräche hätten vor einem Jahr aufgenommen werden müssen, und es war ein großer Fehler, das ganze Thema im Frühsommer auf den Herbst zu vertagen.

Der Punkt Finanzen wird nach wie vor großräumig ausgeklammert. Ist die Vorstellung, man könne sich schnell einigen, ein Stück weit Selbstbetrug?
Wir als Kommunen warten für 2022 auf zwei Milliarden Euro, für dieses Jahr wird die Summe noch größer sein. Die Länder unterstützen uns in diesem Punkt, und auch das gehört beim entscheidenden Gipfel am 6. November mit auf die Agenda. Die Finanzen sind untrennbar Teil des Gesamtpakets. Aber sie sind derzeit nicht Priorität Nummer eins. Sondern an oberster Stelle steht, die Zugangszahlen runter zu bekommen. Wir brauchen einen echten Richtungswechsel.

Was würde für Sie dazugehören?
Schnellere Verfahren, mehr Schutz der Außengrenzen mit verstärktem Einsatz der Bundespolizei auch an den Grenzen zu Tschechien und Polen. Es geht auch darum, die verbrecherische Schleuserkriminalität zu stoppen. Wir brauchen Zentren für die Registrierung der Ankommenden auf deutschen Flughäfen und auch an den deutschen Außengrenzen. Wenn es solche Zentren dereinst auch an den europäischen Außengrenzen gibt: umso besser. Aber bis dahin müssen wir für Deutschland vorangehen.

Wie ist derzeit in den Kommunen die Lage?
Die Kapazitäten reichen einfach nicht, wir haben keine Unterkünfte und kein Personal mehr. Von Integration kann man schon gar nicht mehr reden. Im Kita- und Grundschulbereich gibt es massive Probleme. Es kommen viele junge Menschen zu uns, die wir nicht annähernd integrieren können. Da säen wir Probleme, deren ganzes Ausmaß wir erst in drei, fünf oder zehn Jahren sehen werden. Das kann ja nicht klug sein. Es braucht jetzt ein Gesamtpaket, bei dem die Menschen sicher sein können, dass das Problem nicht nur erkannt wurde, sondern dass auch gehandelt wird. Länder, Ampel und die Union als größte Oppositionsfraktion müssen an einem Strang ziehen. Wir können uns auch nicht mehr leisten, dass zum Beispiel eine der Ampel-Parteien sich doch wieder gegen eine schon gefundene Verabredung stellt.

Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, hält die Idee, für Asylbewerber eine Bezahlkarte einzuführen, für eine Scheinlösung. Stimmen Sie dem zu?
Nein, dem stimme ich nicht zu. Mit einer Bezahlkarte senden wir das Signal an diejenigen, die vielleicht zu uns kommen wollen, dass sie bei uns kein Bargeld in einer Größenordnung zu erwarten haben, von der sich etwas nach Hause schicken ließe. Darum geht es. Und es ist ähnlich wie beim Thema Arbeitspflicht: Es geht auch um das Signal an die hier lebende Bevölkerung, dass es keine überbordenden Leistungen gibt und dass die Ankommenden etwas beizutragen haben. Bei der Bezahlkarte kommt es darauf an, dass der Bund eine einheitliche Lösung schafft, mit bundesweit einheitlichen Sätzen, statt dass jede Kommune einzeln loslegen muss. Es muss am 6. November klar sein, dass die Bezahlkarte kommt.

Wie würden Sie eine Arbeitspflicht ausgestalten?
Zum Beispiel so, dass eine Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt erwünscht und möglich ist. Und falls das nicht klappt, greift die Pflicht zu gemeinnütziger Arbeit.

Fühlen Sie als Vertreter der Kommunen sich ausreichend gehört?
Wir tragen die Hauptlast, sind aber nach wie vor bei den Beratungen nicht dabei. Wir können uns immer nur von der Seitenlinie melden. Am liebsten säßen wir am 6. November mit am Tisch. Ansonsten müssen die Bundesländer unsere Positionen mit Nachdruck vortragen.

Sie haben gefordert, Menschen aus der Ukraine künftig nicht mehr automatisch Bürgergeld zu gewähren. Warum halten Sie das für nötig, in einer Situation, in der in der Ukraine noch immer jeden Tag Menschen sterben?
Es kommen so viele Menschen aus der Ukraine, dass es schlicht nicht mehr verkraftbar ist, allen sofort Bürgergeld zu gewähren. Es gäbe übrigens durchaus andere Möglichkeiten, das Problem zu verkleinern. Innenministerin Nancy Faeser hat einst angekündigt, Unterbringungskapazitäten in der Westukraine zu schaffen. Es herrscht ja keineswegs überall im Land Krieg. Diese Ankündigung wurde aber nie umgesetzt.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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