Insektenforschung auf der Verkehrsinsel: Ein Biotop zwischen Abgasen
© dpa/Global Travel Images Insektenforschung auf der Verkehrsinsel: Ein Biotop zwischen Abgasen
Ein Idyll für Hummeln, Schmetterlinge und Co.: der Mittelstreifen der Frankfurter Allee. Ein Forschungsprojekt zeigt, dass es dort jedes Jahr mehr Insekten gibt, darunter gefährdete Arten. Mähmaschinen bedrohen jedoch ihren Lebensraum.
Von Clara Dünkler
Unscheinbar schlängeln sie sich durch Berlin: die Mittelstreifen. Besonders groß sind sie auf der Frankfurter Allee. Links und rechts doppelspurige Fahrbahnen, daneben aufragende Häuserzeilen aus der DDR. Wie ein Berliner Forschungsprojekt zeigt, bieten diese unbeachteten Grünflächen Heimat für mehrere hundert Insektenarten. Nicht nur werden es jedes Jahr mehr, auch Exemplare von der Roten Liste für bedrohte Arten sind dabei.
„Am Anfang dachte ich, wir würden hier vielleicht drei Ameisen finden“, sagt Frank Koch. Der Insektenforscher war Teil des Forschungsvorhabens „Stadt grün“, das als gemeinsames Projekt der Humboldt-Universität und des Museums für Naturkunde von 2017 bis 2020 lief. Auf drei Mittelstreifen – Frankfurter Allee, Heerstraße und Adlergestell – wurde untersucht, wie viele Insektenarten dort leben.
Die Frankfurter Allee im Mai 2023. Langsam werden die Insekten hier aktiv. © Clara Dünkler
Das Projekt ist lange beendet, doch Koch wollte nicht aufhören. In seinem mittlerweile siebten Forschungsjahr konnte der Insektenkundler insgesamt 406 unterschiedliche Arten bestimmen. Mehrere davon sind gefährdet: Auf der Frankfurter Allee lebt beispielsweise das Scharfgabenböckchen, das auf der Roten Liste des Bundesamtes für Naturschutzes steht. Doch nicht nur das. Der Entomologe entdeckt immer mehr: „2022 waren es 68 neu gesammelte Arten. Teilweise Erstfunde für Brandenburg oder sogar Deutschland.“
406unterschiedliche Insektenarten, konnten auf den Mittelstreifen bisher bestimmt werden.
Gesammelt wird sieben Monate
Für Koch ist die Fundgrube so einmalig, dass er weiter machte – als Einzelkämpfer. Er hofft, aus der Langzeitstudie Zusammenhänge zwischen zum Beispiel klimatischen Bedingungen und Insektenvielfalt zuverlässig herstellen zu können.
So richtig aussagekräftig seien ökologische Studien nämlich erst nach mindestens zehn Jahren Datenerhebung. „Besser wären sogar 20“, findet Koch, der Zoologie und terrestrische Ökologie – also alles, was auf dem Boden lebt – studierte. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung 2016 war er Kurator im Museum für Naturkunde.
Alle Insekten werden beschriftet: Fundort, Datum und Finder. © Clara Dünkler
Von April bis Oktober streift Koch mindestens alle zwei Wochen mit seinem Käscher durch die Gräser der jeweils 200 Meter langen Forschungsflächen und sammelt die Tierchen. Er schüttelt sie in ein kleines, sogenanntes Tötungsglas, das er mit Fundort und Datum beschriftet.
Die Bestimmungsphase schließt sich dann im Herbst an. Drei Monate – ohne Unterbrechung – benötige er, um all seine Funde zu präparieren und zu bestimmen. „Teilweise unterscheiden sich die Flügel in ihren Ultrastrukturen“, erklärt Koch. Diese könne man nur mit mikroskopischer Präzisionsarbeit unterscheiden.
Aus dem Käscher kommen die Insekten in das Glas. Erst später werden sie bestimmt. © Clara Dünkler
Ein Vorteil von Mittelstreifen: Bis auf den gelegentlichen Insektensammler betritt kaum jemand die Grasfläche. Die Insekten scheinen sich an ihre Umwelt aus permanenten Abgasen und wenig Schatten nicht zu stören. Es gibt jedoch ein großes Problem für die Insekten: Mäharbeiten.
Das Mähen ist Gift.
Frank Koch, Insektenkundler und ehemaliger Kurator am Naturkundemuseum
Aus Sicht von Biolog:innen wie Koch müssten Städte den Erhalt solcher Biotope bei ihrer Landschaftspflege stärker berücksichtigen. „Das Mähen ist Gift“, findet er. Er schlägt vor, nur zweimal im Jahr das Gras zu kürzen, Ende Juli und im September.
Wer im Frühjahr mäht, zerstöre nicht nur Futterquellen, erklärt er. Manchen Insekten, wie die Steinhummeln, fehlte so die Orientierung: Anders als Bienen richten sich diese nicht nach Lichtwellen, sondern nach Landmarken: Das kann alles Mögliche sein, ein Busch, eine leere Dose oder eben ein Pflänzchen auf dem Mittelstreifen. Koch verweist auf den ökologischen Kreislauf innerhalb einer Stadt: „Ohne Insekten kommt auch der Rest aus dem Gleichgewicht.“
Manche Hummeln orientieren sich an Landmarken, so wie diese blau blühenden Natternköpfe. © Stella Weweler
Derk Ehlert, Stadtnaturexperte bei der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt, stimmt Koch zu. Doch wie oft gemäht wird, entscheide nicht die Verwaltung, sondern liege bei den Bezirksämtern. Im Fall Frankfurter Allee ist das das Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain – das auf Anfrage erklärt, in der Regel drei bis achtmal im Jahr die Mittelstreifen zu mähen. Das entspreche den Vorschriften zur Stadtreinigung.
Das Bezirksamt passt sich an
Seit vergangenem Jahr arbeite man aber an einem Konzept zur Entwicklung von Wiesen in ausgewählten Bereichen der Stadtlandschaft. Nur noch einmal jährlich sollen die Flächen dort geschnitten werden. Um das umzusetzen, seien zwei spezielle Mähmaschinen angeschafft worden, die mit hohem Gras zurechtkommen. Und der Mittelstreifen der Frankfurter Allee solle künftig nur noch einmal gemäht werden: im Herbst.
Nachdem Koch zu Beginn des Projekts gerade einmal eine Handvoll Ameisen auf dem Mittelstreifen vermutet hatte, wurden seine Erwartungen längst übertroffen. Sein Highlight: Pflanzenwespen, die für den Laien eher wie fliegende Ameisen aussehen.
Seit 50 Jahren erforscht Koch das Insekt und bereiste dafür etwa die Mongolei, Botswana, Namibia und Sambia. Doch die besonders seltene Art Xyela julii hat er ausgerechnet auf dem Mittelstreifen in der Frankfurter Allee entdeckt. „Das ist etwas ganz Besonderes“, freut sich der Experte über seinen drei Millimeter großen Fund.
Koch hofft, mit seiner Arbeit die Stadtökologie zu verändern. Doch er sorgt sich um die Finanzierung seines Projekts: die kommenden drei Jahre seien nicht gesichert. „Eigentlich bräuchte man nur 10.000 Euro jährlich“, sagt er, für Forschung sei das vergleichsweise günstig.
- Friedrichshain-Kreuzberg
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de