Harter Wahlkampfendspurt in Bayern: Söder kämpft an allen Ecken und Enden
© dpa/Peter Kneffel Harter Wahlkampfendspurt in Bayern: Söder kämpft an allen Ecken und Enden
Der CSU-Chef steht mit dem Rücken zur Wand. Er liegt in Umfragen bei mageren 36 Prozent. Sein Partner Aiwanger dagegen steht bestens da. Alle anderen politischen Brücken hat Söder abgebrochen.
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Einen ziemlich anstrengenden Tag beendet Markus Söder im Festzelt in Schwabmünchen. „Ich werde mich einsetzen für unser Land rund um die Uhr“, ruft der bayerische Ministerpräsident den gut 3000 Besuchern zu, es ist gegen 20.30 Uhr. „Bayern soll Bayern bleiben, auch wenn die ganze Welt verrückt spielt.“
Der CSU-Vorsitzende trägt einen hellen Janker und Jeans, er spricht laut und kräftig. Eine gute Stunde hat er am Pult geredet, dann sagt er: „Gott schütze Bayern, Gott schütze Sie.“ Er bekommt guten, aber keinen rasenden Beifall.
Bayern ist im Wahlkampf, am 8. Oktober stimmen die Bürger ab über den neuen Landtag und wer künftig die Geschicke im Freistaat lenkt. Am Morgen dieses Mittwochs eröffnete Söder schon das neue NS-Dokumentationszentrum am Obersalzberg, wo Adolf Hitler neben Berlin seine zweite Machtzentrale hatte.
Mittags ein Talk im kleineren Rahmen mit CSU-Urgestein Edmund Stoiber in Egling, 30 Kilometer südlich von München. Der 82-Jährige sprach da begeistert von seinen einstigen Wahlerfolgen und wie er satte absolute Mehrheiten eingefahren hatte.
Söder wird sich das Seine dazu gedacht haben. In den Umfragen steht er seit vier Wochen bei mageren 36 Prozent. Im Bierzelt in Schwabmünchen, südlich von Augsburg, wird womöglich die eine oder andere Stimme hinzugewonnen. Alle stehen am Ende auf, singen das Bayernlied und die Nationalhymne. Die in Tracht gekleidete Stadtmusikkapelle begleitet.
Für Markus Söder, den 56-jährigen Franken, geht es bei dieser Wahl mal wieder um so ziemlich alles. Vor fünf Jahren hatte er die damals schon ganz schwachen 37,2 Prozent – ein Absturz um mehr als zehn Prozent – in eine Art von immerhin machttaktischen Sieg umgemünzt. Mit den Freien Wähler (FW) von Hubert Aiwanger reichte es zum Regieren in einer „bürgerlichen“ Koalition, wie sie es immer wieder bezeichnen. In Bayern muss die CSU als stärkste Partei die Regierung stellen, sonst kann sie einpacken.
Das Wahlkampfgeschehen in Bayern ist von außergewöhnlicher Härte geprägt, manche nennen es „brutal“. Noch nie wurden so viele Plakate zerstört, berichten die Parteien. Und die Grünen werden immer wieder zum regelrechten Hassobjekt.
Der Wahlkampf ist auch von starken, unerwarteten Ausschlägen bestimmt wie der Affäre um Hubert Aiwanger und das Nazi-Flugblatt.
Aiwanger gibt den Kämpfer für die Landbevölkerung
Aiwanger steht am Sonntagvormittag am im Vergleich zu Söder kleinen Rednerpult im Sportheim im niederbayerischen Neufahrn. Das ist ein Heimspiel für ihn, Niederbayern ist Aiwanger-Land. Hier kennt man ihn, ein paar Kilometer entfernt ist der ehemalige Hof der Eltern, da lebt die ganze Familie. „Anpacken für Bayern“ lautet ein Slogan der Freien Wähler.
Im Wahlkampfmodus: Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, stellvertretender Ministerpräsident von Bayern und bayerischer Staatsminister für Wirtschaft. © dpa/Uwe Lein
Hubert Aiwanger, 52 und seit 17 Jahren FW-Chef, sagt den 150 Besuchern, man müsse die Themen wieder „vom Bürger aus denken“. Er befindet sich im dauerhaften Spagat, was ihm aber nicht zu schaden scheint: Aiwanger gibt seit jeher den Kämpfer für den ländlichen Raum.
Zugleich ist er aber seit fünf Jahren bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident, sehr viel mehr Establishment geht gar nicht.
Dorfkind ist für mich kein abwertender Begriff.
Hubert Aiwanger (Freie Wähler)
In Neufahrn, wo die gewonnenen Sportpokale eng an eng auf den Regalen stehen, präsentiert sich Aiwanger als einer von ihnen. Er sagt, das Handwerk sollte gestärkt werden – „nicht jeder muss studieren“. Er stemmt sich gegen Krankenhausschließungen auf dem Land. Und: „Dorfkind ist für mich kein abwertender Begriff.“
Das klingt alles recht nachvollziehbar und vernünftig. Doch Hubert Aiwanger kann auch anders. Markus Söder und er arbeiten seit fünf Jahren zusammen, aber jeder arbeitet auch auf eigene Rechnung.
Immer wieder ist der FW-Mann ausgeschert mit eigenwilligen und populistischen Anwandlungen. So ließ er sich, als Corona grassierte, sehr lange nicht impfen. Damit testete er sehr gezielt aus, inwieweit er im Lager der Gegner der Corona-Politik auf Stimmenfang gehen konnte. Den für die Wirtschaft oder die Gastronomie teils harten Corona-Beschränkungen widersprach er meist, lenkte dann aber doch ein.
Söder setzt auf eine Anti-Grünen-Kampagne
Für Söder ist Aiwanger ein schwieriger Partner, manchmal auch ein Problemfall. Im Bierzelt in Schwabmünchen sagt der CSU-Chef eher so nebenbei: „Ich muss häufig die Wirtschaftspolitik selbst machen.“ Es gibt ein paar Lacher von jenen, die verstehen, gegen wen das gerichtet ist. Söder legt nach: „Das ist so, leider.“
In Bayern wird es kein Schwarz-Grün geben.
Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident
Tags darauf verwahren sich die Freien Wähler per Pressemitteilung dagegen. Man brauche keine „öffentlichen Belehrungen und Querschüsse aus der Staatsregierung“. Aiwanger habe großen Anteil daran, dass der Freistaat wirtschaftlich im Bundesvergleich so gut abschneide.
Ein Satz fehlt in keiner Söder-Rede: „In Bayern wird es kein Schwarz-Grün geben“, poltert er auf den Plätzen und in den Sälen und bekommt regelmäßig Szenenapplaus.
Immer wieder hatten sich die Grünen, auch schon bei der Wahl vor fünf Jahren, der CSU als Partner angeboten. Mit dem Zusammenführen des „Besten aus beiden Welten“ hatten sie geworben.
Söder war dieser Idee eine Zeit lang nicht abgeneigt, das Klimathema wurde bedeutender, in Bayern hatte das Volksbegehren zum Artenschutz („Rettet die Bienen“) enormen Erfolg. Als Kanzlerkandidat, der er ja dann nicht geworden ist, wäre für ihn Schwarz-Grün eine Option gewesen.
Damit ist es für ihn aber gerade vollständig aus. Söder leitete einen knallharten Anti-Ampel- und dabei vor allem Anti-Grünen-Wahlkampf ein. Seine brachiale Rhetorik vom Zeitraum um den Juli hat er etwas eingebremst. Die Grünen stellt er nicht mehr als quasi halb Irre dar, die ihre Ideologie in einer Art Verbotsstaat ausleben wollten.
Jetzt sagt Söder: „Jeder soll essen, was er will.“ Über die Debatten zum Gendern und zur Identitätspolitik meint er eher milde: „Wir sollten aufhören, in der Krise über Nebensächliches zu reden.“ Stattdessen hebt er positiv Bayerisches hervor. „Es ist schön bei uns, deshalb wollen hier viele Menschen leben“, meint er. Man solle stolz auf das bayerische Abitur sein. Und mit Blick auf Schwabmünchen: „Bayerisches Geld ist in Schwaben besser aufgehoben als in Bremen oder Berlin.“
Bei der immer problematischeren Zuwanderung bemüht sich Söder um einen einigermaßen sachlichen Tonfall. 2018 hatte er gesehen, wie er mit AfD-Rhetorik einen Teil der Wähler verschreckte und den anderen in die Arme der äußerst Rechten als dem Original trieb.
Das Flüchtlingsthema nimmt bei ihm keinen breiteren Raum ein, er fordert seine „Integrationsgrenze“ von 200.000 Menschen im Jahr, mehr Rückführungsprogramme und die Abschiebung ausländischer Straftäter. Über die AfD wird Söder deutlich: „Rechtsradikale“ seien das, Putin-Anhänger, die „fünfte Kolonne Moskaus“.
Aiwanger poltert gegen die Berliner Politik
Hubert Aiwanger wiederum geht im Sportheim gar nicht auf die AfD ein, dafür ist er grobklotzig gegenüber Geflüchteten: „Die Syrer von 2015 sind jetzt Schleuser“, behauptet er, und Ukrainer seien jetzt auch Schleuser.
Aiwanger kann pendeln zwischen Kümmerer für das Land und rechtem Agitator. Bei der Anti-Heizungsgesetz-Kundgebung in Erding Ende Juni hatte er vor 15.000 Demonstranten gefordert, man müsse sich „die Demokratie zurückholen“. Die Berliner Politik habe „den Arsch offen“.
In Neufahrn meint er, die Leute würden von der Politik „schikaniert, wo es nur geht“. In Berlin würde man denken: „Des sind eh alles Deppen da unten in Bayern.“ Und „der Bürger“ würde fragen: „Was soll der Krampf?“
Der 25. August war dann der nicht nur für den Wahlkampf wohl prägendste Tag, sondern auch einer, der mit seinen Folgen viel darüber offenbarte, wie ein Teil der Bayern und der Deutschen gerade ticken. Die „Süddeutsche Zeitung“ war groß herausgekommen mit dem Nazi-Flugblatt, das sich vor 35 Jahren in der Tasche des Gymnasiasten Hubert Aiwanger befunden hatte.
Es stand ernst um ihn, für Markus Söder war das Hetzblatt inakzeptabel, „menschverachtend und geradezu eklig“. Als Urheber meldete sich Aiwangers Bruder Helmut. Der Vize-Ministerpräsident entschuldigte sich recht formal und beantwortete die 25 Fragen der CSU über seine Vergangenheit als Schüler eben gerade weitgehend nicht.
Und noch mehr: Manche Bürger solidarisierten sich mit ihm. Die Flugblatt-Affäre ließ die FW in den Umfragen von 12 auf 15 bis 17 Prozent hochschnellen. Die SPD-Stadträte in Aiwangers Heimat Rottenburg an der Laaber etwa verließen ihre Partei und wechselten zu den Freien Wählern – weil die SPD-Spitze, so meinen sie, Aiwanger vorschnell verurteilt und zum Rücktritt aufgefordert hat.
Der Betroffene weiß die Stimmung gut zu nutzen. Im Sportheim von Neufahrn sagt er kein Wort zu dem Nazi-Pamphlet, es fragt ihn auch niemand danach. Die Leute in der Heimat hat er sowieso auf seiner Seite. In den großen Bierzelten allerdings beklagt er die „Hetzjagd“ einiger Medien gegen ihn. Er versteigt sich sogar auf die These, man habe ihn „fertigmachen“ und die Grünen als neuen CSU-Koalitionspartner installieren wollen. So inszeniert sich Aiwanger plötzlich als Opfer.
Söder hat sich nur eine Option gelassen
Was soll Markus Söder machen, wenn seine Partei derzeit überhaupt nicht als glänzender Wahlgewinner aussieht? In Schwabmünchen gestikuliert er immer wieder mit beiden Armen und Händen heftig, richtet die Zeigefinger in die Luft. Er sagt so Sachen, dass er den Menschen den „Traum vom Eigenheim, den Traum vom eigenen Glück“ bewahren will.
Söder muss gerade an ganz vielen Ecken und Enden kämpfen. Die Grünen hat er sich als Koalitionsoption verbaut. Gegen die AfD muss er, müssen alle frontal vorgehen. Mit der Neun-Prozent-SPD in Bayern wiederum würde es wohl für die CSU schon rechnerisch nicht reichen.
Bleiben die Freien Wähler, als einzige Option. Söder ist mehr von Aiwanger abhängig als Aiwanger von Söder. Vor Wahlen schließt die CSU die Reihen. Mit 97,6 Prozent hat der CSU-Parteitag Söder phänomenal als Vorsitzenden und Spitzenmann bestätigt. Wenn einer aber bei Wahlen immer weiter verliert, dann werden die Christsozialen unruhig, dann denken Mandatsträger und Parteigrößen auch an sich.
Für Markus Söder gibt es eine ziemlich genaue Zahl, wann das der Fall sein wird. Bei 35 Prozent oder darunter wird es für ihn sehr ungemütlich.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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