Gefährlicher Schlafrhythmus: Warum unregelmäßiger Schlaf tödlich sein kann
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Zu wechselnden Zeiten ins Bett zu gehen und aufzustehen schadet nicht nur dem Schlaf. Es kann auch ernsthaft krank machen. Ein Schlafplan kann helfen.
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Für viele Menschen ist der Schlaf weit weniger erholsam, als sie annehmen. Dahinter steckt ein oft unterschätztes Ungleichgewicht. Der gesellschaftliche Zeitplan und der individuelle Schlaf-Wach-Rhythmus klaffen oft weit auseinander. So quälen sich viele unter der Woche gegen 7 Uhr aus dem Bett, um dann am Wochenende bis zum Mittag zu dösen. Was auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, hat offenbar gravierende Folgen.
Immer wieder zu einer unterschiedlichen Uhrzeit zu schlafen und aufzuwachen, beeinträchtigt nicht nur unsere Schlafqualität erheblich. Über einen längeren Zeitraum kann der chaotische Schlaf-Wach-Rhythmus das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und das Sterberisiko erhöhen, zeigt eine Studie, die auf dem Preprint-Server „medRxiv“ veröffentlicht wurde.
Die innere Uhr ist festgelegt
Die innere Uhr, auch zirkadianer Rhythmus genannt, befindet sich im suprachiasmatischen Kern des Gehirns, direkt über der Kreuzung der Sehnerven. Er enthält etwa 20.000 Neuronen und arbeitet in einem 24- bis 25-Stunden-Rhythmus. „Die innere Uhr ist bei jedem Menschen genetisch festgelegt“, erklärt Kneginja Richter, Chefärztin der CuraMed Tagesklinik Nürnberg. Es ist also vorprogrammiert, ob jemand eine Lerche ist, also ein Frühaufsteher und Frühschläfer, oder eine Eule, die auch spät noch aktiv ist und dafür gerne lange ausschläft. Mischformen gibt es auch, wenn auch seltener.
„Die eigene innere Uhr synchronisiert sich dabei mit der äußeren, der Uhrzeit, die in 24 Stunden unterteilt ist“, sagt Richter, die auch Professorin an der Technischen Hochschule Nürnberg ist. „Es kann also vorkommen, dass die Uhr 23 Uhr anzeigt, die innere Uhr aber auf 22 ausgerichtet ist und man entsprechend noch nicht müde ist. Oder es eigentlich 8 Uhr ist, aber die innere Uhr noch auf 7 steht und man eigentlich noch die eine Stunde bräuchte, um wirklich wach zu sein“, so die Schlafmedizinerin.
Schichtarbeit, Jetlag oder Zeitumstellung können die innere Uhr aus dem Takt bringen. So weit, so bekannt. Das kann aber auch der Fall sein, wenn man ständig zu völlig anderen Zeiten ins Bett geht und aufsteht. Das ist vielen nicht bewusst.
In der aktuellen Preprint-Studie, die noch nicht begutachtet wurde, haben Matthew Pase von der Monash University in Melbourne in Australien und seine Kolleg:innen die Schlafgewohnheiten von Zehntausenden Menschen untersucht und sie mit dem Auftreten von Krankheiten in einem Zeitraum von sieben Jahren abgeglichen.
Dies gelang mithilfe von Daten aus der UK Biobank, die detaillierte Gesundheitsinformationen von einer halben Million britischer Teilnehmerinnen und Teilnehmer enthält. Von fast 89.000 Personen lagen auch Daten zum Schlafverhalten vor. Eine Woche lang trugen die Teilnehmenden im Alter zwischen 40 und 69 Jahren einen Akzelerometer am Handgelenk, der die körperlichen Aktivitäten überwacht. „Das ist eine Standardmethode in der Schlafforschung“, erklärt Albrecht Vorster, Leiter des Swiss Sleep House am Inselspital Bern.
Wenn man den Rhythmus des Herzens, das an die innere Uhr gekoppelt ist, durcheinanderbringt, kann es schwer krank werden.
Kneginja Richter, Schlafforscherin und Professorin an der Technischen Hochschule Nürnberg
Die Daten, die dieser kleine Sensor misst, können Aufschluss darüber geben, wann genau jemand in eine Wach- oder Schlafphase eintrat, wann sie begannen und aufhörten, so auch, wie oft diese unterbrochen wurden. „Da können auch deutliche Unterschiede festgestellt werden, ob jemand wirklich schläft oder einfach auf dem Sofa liegt und sich einen Film anschaut“, so der Schlafforscher. „Fehlinterpretationen sind also fast ausgeschlossen.“
Aus diesen Daten konnte das Team um Matthew Pase einen Schlafregelmäßigkeitsindex für jede einzelne Person erstellen, berücksichtigt wurde dabei auch der Wochentag. Jemand, der jeden Tag zur exakt gleichen Zeit einschläft und aufwacht, hatte dabei einen Index von 100, wohingegen völlig unterschiedliche Zeiten einen Wert von 0 ergaben, heißt es in der Arbeit.
Wenn wir regelmäßig schlafen, schlafen wir schneller ein und kommen entsprechend auch schneller in den Tiefschlaf. © Unsplash
Mithilfe der UK Biobank konnte das Forschungsteam einsehen, welchen Gesundheitszustand die Proband:innen zum Zeitpunkt 0 hatten, ob Vorerkrankungen vorlagen, ob sie übergewichtig waren, rauchten, Sport machten, Medikamente einnahmen oder welchen Beruf sie ausübten.
In den folgenden sieben Jahren wurden die Menschen weiter beobachtet. Mithilfe der Daten der UK Biobank – in der nicht nur medizinische Befunde und Daten aus Kliniken gespeichert sind, sondern auch regelmäßige wissenschaftliche Befragungen der Personen durchgeführt werden – konnte das Team verfolgen, wie sich der Gesundheitszustand der Proband:innen mit besserem oder schlechterem Schlafregelmäßigkeitsindex veränderte.
Erhöhtes Sterberisiko
Dabei stellten sie Erstaunliches fest: Die Teilnehmenden mit einem schlechteren Index erkrankten nicht nur häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Im Vergleich zu den Teilnehmenden mit einem durchschnittlichen Index von 61 hatten diejenigen, die einen Index von 41 oder weniger erreichten, ein um 88 Prozent höheres Risiko, während der siebenjährigen Nachbeobachtungszeit an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben.
59Prozent höheres Sterblichkeitsrisiko haben Menschen mit einem unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Krebs sterben, war um 36 Prozent höher. Im Vergleich zu Menschen mit einem Index von 75 oder mehr, also einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus, war ihr Risiko gar um 93 beziehungsweise 89 Prozent erhöht. Ihr relatives Sterberisiko, egal welcher Ursache, war im Vergleich zum mittleren Index um 53 Prozent und zum hohen Index um 90 Prozent höher.
Diese erheblichen Unterschiede blieben auch dann stabil, nachdem das Team potenzielle Vorerkrankungen – also auch bestehende Herz-Kreislauf- oder Krebserkrankungen – und andere maßgebende Faktoren wie Gewicht, Raucherstatus oder körperliche Aktivität herausrechnete.
Auch eine andere Studie, die in diesem Jahr in „Journal of the American Heart Association“ veröffentlicht wurde, kam zu einem sehr ähnlichen Ergebnis: Die US-Forschenden werteten die Daten von rund 2000 Teilnehmenden aus und fanden heraus, dass Erwachsene, die jede Nacht zu unterschiedlichen Zeiten zu Bett gingen, eher an Arteriosklerose litten als jene, die ein geregeltes Schlafverhalten hatten.
Damit gemeint ist die krankhafte Einlagerung von Fetten in Arterien, die dazu führt, dass Gefäßwände verhärten – die Ursache für sehr viele Herz-Kreislauf-Probleme. Eine andere Untersuchung aus 2020 ergab, dass Menschen im Alter zwischen 45 und 84 Jahren mit „uneinheitlichem Schlafmuster“ fast doppelt so häufig an Herz-Kreislauf-Leiden erkranken als jene, mit einem regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus.
Für die meisten Menschen gilt, dass ein bis zwei Tage mit unregelmäßigem Schlafverhalten wahrscheinlich nicht den gesamten Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderbringen. © imago/Westend61/IMAGO/Ok Shu
Doch was sind die Gründe? Laut Pase würden feste Schlaf- und Aufwachzeiten zur Regulierung der Herz-Kreislauf-Funktion beitragen. Variieren diese über eine längere Zeit, stünde das zirkadiane System vor einer Herausforderung. Die innere Uhr gerate außer Takt und damit würden wichtige physiologische Prozesse, so auch das Herz-Kreislauf-System, gestört.
„Es gibt nichts auf der Welt, was ohne Unterbrechung arbeiten muss – außer unser Herz“, fügt Richter hinzu. „Nachts ist die Zeit, wo unser Herz wesentlich langsamer arbeitet und sich die Muskeln regenerieren. Wenn man den Rhythmus des Herzens, das an die innere Uhr gekoppelt ist, durcheinanderbringt, kann es schwer krank werden.“
Im Schlaf sorgt der Körper auch für den richtigen „Hormonmix“, also welche und wie viele Botenstoffe die Zellen und Organe brauchen, damit alles richtig funktioniert. Ein chaotisches Schlafverhalten bringt auch diese Funktion aus dem Gleichgewicht. Eine Folge sei unter anderem, dass bei Betroffenen der Spiegel des Hungerhormons Ghrelin steigt und der des Sättigungshormons Leptin sinkt.
Das könnte dazu führen, dass man tagsüber mehr isst – und entsprechend übergewichtig wird. „Damit steigen die Cholesterinwerte und man entwickelt Bluthochdruck. Beides Risikofaktoren für Herzerkrankungen“, sagt die Schlafforscherin.
Unkontrolliertes Zellwachstum?
Das Team von Matthew Pases hat auch eine Theorie in Bezug auf das Krebsrisiko: Der unregelmäßige Schlaf und die aus dem Takt geratene innere Uhr, könne zu einer abnormen Zellteilung oder unkontrolliertem Zellwachstum führen. Sowohl Richter als auch Vorster betonen, dass es sich lediglich um eine Mutmaßung handelt, wenngleich die Hypothese in der Forschung schon öfter aufgestellt worden sei. Die genauen Mechanismen seien allerdings noch nicht verstanden.
„Es gibt vier große Bereiche, mit denen wir unser Leben verlängern oder verkürzen können“, sagt Vorster, der auch ein Sachbuch zum Thema Schlaf geschrieben hat. Mit Abstand am wichtigsten sei die Ernährung. Und: Bewegung, Schlaf und Sozialleben, die in etwa gleichbedeutend seien. „Wenn wir regelmäßig schlafen, schlafen wir schneller ein und kommen entsprechend auch schneller in den Tiefschlaf. Der Schlaf ist dabei auch weniger zerstückelt, es kommt zu weniger Schlafphasenwechsel. Je ruhiger der Schlaf läuft, desto erholter fühlt sich der Mensch“, fasst er zusammen.
Wenn jemand am Wochenende feiern geht und erst um 3 Uhr früh ins Bett geht, sei es nicht schlimm, dass er dafür auch später aufsteht. Für die meisten Menschen gilt, dass ein bis zwei Tage mit unregelmäßigem Schlafverhalten wahrscheinlich nicht den gesamten Schlaf-Wach-Rhythmus durcheinanderbringen. Über einen längeren Zeitraum jedoch schon.
Das ständige Nachholen von Schlaf an den Wochenenden ist keine gute Schlafstrategie. Es ist wie fünf Tage Fastfood essen und zwei Tage Gemüse.
Albrecht Vorster, Leiter des Swiss Sleep House am Universitätsklinikum Inselspital Bern
Deshalb sei es wichtig, immer zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen und spätestens acht Stunden danach aufzustehen – und zwar auch dann, wenn man nicht so gut geschlafen hat. Die Einschlaf- und Aufstehzeit sollte nicht mehr als eine Stunde voneinander abweichen. Sie gelten sowohl für die Arbeitstage als auch fürs Wochenende. „Das ist ganz wichtig“, sagt er.
Das ständige Nachholen von Schlaf an den Wochenenden, das in manchen Studien empfohlen wird, sei keine gute Schlafstrategie. „Es ist wie fünf Tage Fastfood essen und zwei Tage Gemüse. Wenn wir jedes Wochenende ,nachschlafen’ müssen, ist es ein ganz klarer Hinweis darauf, dass wir in der Woche zu wenig Schlaf bekommen und das Defizit kann dadurch nicht ausreichend beglichen werden.“
Keine Sorgen vor dem Schlaf
Menschen mit Ein- oder Durchlaufstörungen, also, die länger als eine halbe Stunde zum Einschlafen brauchen und länger als eine halbe Stunde pro Nacht wachliegen, würden immer wieder versuchen, ihren Schlaf nachzuholen oder vorzuschlafen. „Das ist so ein bisschen wie in einem leergefischten Meer noch größere Netze auszuwerfen. Mit dem Effekt, dass der Schlaf letztlich schlechter wird“, so Vorster.
Doch wie können schädliche Schlafmuster durchbrochen werden? Richter empfiehlt, einen Schlafplan aufzustellen. Auch könne ein Ritual vor dem Schlafengehen, zum Beispiel eine halbe Stunde Lesen oder etwas ähnlich Entspannendes, helfen, den Schlaf-Wach-Rhythmus in Takt zu bringen. „Intellektuelle Arbeit gehört nicht ins Bett“, betont sie. Auch die Stunden vor dem ins Bett gehen seien wichtig. „Zwei Stunden vorher muss der Medienkonsum heruntergefahren und möglichst alle Sorgen außer Acht gelassen werden.“
Was viele Schlafforschende weiterhin empfehlen: Einen Wecker mit einem möglichst nervigen Klingelton am Wochenende einrichten und ihn so platzieren, dass man zwangsläufig aufstehen muss, um ihn auszuschalten. Sich selbst belohnen, wenn man es wirklich geschafft hat, zur vorgegebenen Zeit aus dem Bett zu kommen, etwa mit der neuen Folge der Lieblingsserie, die man sich extra aufgehoben hat.
Oder Leidensgenossen finden, etwa die Schwester oder die beste Freund:in, die einen ähnlichen Schlaf-Wach-Rhythmus haben und sich gegenseitig informieren, wenn man zur vorgegebenen Zeit ins Bett geht oder wach wird. Hilfreich sollen auch Rituale für den Morgen sein, zum Beispiel ein Morgenspaziergang mit anschließendem Besuch im Lieblingscafé.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de