Fünf Jahre Istanbul-Konvention: Der Mangel an Frauenhaus-Plätzen wird noch lange dramatisch bleiben
© dpa/Britta Pedersen Fünf Jahre Istanbul-Konvention: Der Mangel an Frauenhaus-Plätzen wird noch lange dramatisch bleiben
Frauenhäusern in Deutschland fehlt es an Geld und Rechtssicherheit. Dabei hat es sich zu mehr Schutz für Gewaltopfer verpflichtet. Warum das Problem nicht schnell zu lösen ist.
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Eigentlich müsste Catrin Seeger in Feierlaune sein. Vor dreißig Jahren gründete sie ein Frauenhaus in Rathenow mit, das sie bis heute leitet. Die Planungen für das Jubiläumsfest im März laufen. Doch die Stimmung ist getrübt.
Im Jahr 2020 begannen Seeger und ihr Verein die Planungen für ein neues Haus. Das Geld sollte aus einem damals neuen Bundesförderprogramm kommen. „Ich habe gedacht, wir feiern das Jubiläum im neuen Haus. Ich habe gedacht, wir schaffen das bis dahin. Aber Sanierung und Umbau unseres künftigen Hauses haben noch nicht einmal begonnen“, sagt Seeger.
Der Landkreis sollte Projektträger werden, daraus wurde nichts, die Stadt sprang ein. „Was da an Bürokratie dranhängt, hätte ich nie für möglich gehalten, es gibt Hürden ohne Ende.“
27 Frauen aufgenommen, 28 Frauen abgewiesen
Dabei ist der Bedarf da: 27 Frauen mit 35 Kindern konnte Seeger im vergangenen Jahr aufnehmen. 28 Frauen mit 38 Kindern musste sie abweisen. Die Brandenburger Frauenhäuser haben sich untereinander vernetzt, um Hilfesuchende wenigstens weitervermitteln zu können. Wohnortnah aber kann nicht allen Gewaltopfern geholfen werden.
Was Seeger schildert, zeigt exemplarisch die Situation von Frauenhäusern im ganzen Land. Es fehlt an Plätzen, an Finanzierung für den laufenden Betrieb und vor allem an Planungssicherheit. Dabei hat sich Deutschland längst dazu verpflichtet, Gewaltbetroffene besser zu schützen. Denn für sie sind die Einrichtungen da: für Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen müssen, oft gemeinsam mit ihren Kindern.
Vor genau fünf Jahren, am 1. Februar 2018, trat hierzulande die Istanbul-Konvention in Kraft. Das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ist völkerrechtlich bindend für die derzeit 37 Staaten, die es ratifiziert haben.
Den Empfehlungen der Konvention zufolge bräuchte Deutschland rund 21.500 Plätze, Frauen und Kinder zusammengerechnet. Doch es sind viel weniger: Rund 15.000 Plätze fehlen. Einen „großen Bedarf an Sicherung bzw. Ausbau von Kapazitäten“, und zwar mit „erheblichen regionalen Unterschieden“ sieht eine Sprecherin des Frauen- und Familienministeriums.
„Manche Bundesländer haben eine etwas bessere Ausgangslage, in anderen ist die Situation dramatisch“, sagt Ulle Schauws, Frauenpolitikerin der Grünen-Bundestagsfraktion. An Plätzen mangelt es vor allem auf dem Land.
„Frauenhäuser gelten noch immer in zu vielen Kommunen als freiwillige Zusatzaufgabe, der man nachkommen kann, wenn Geld da ist – und wenn nicht, dann nicht“, sagt Elisabeth Oberthür. Sie ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Verein Frauenhauskoordinierung, der vor allem die Einrichtungen großer Träger wie Caritas oder Arbeiterwohlfahrt vertritt.
15.000Plätze in Frauenhäusern fehlen deutschlandweit.
Oberthür hält es für ein „riesiges Problem“, dass die Arbeit der Frauenhäuser „völlig uneinheitlich“ geregelt ist. Wie viele Plätze soll es geben, wer stellt sie bereit und sichert den Betrieb, wie läuft die Finanzierung: All diese Fragen sind von Kommune zu Kommune, von Bundesland zu Bundesland ganz unterschiedlich oder auch gar nicht geregelt.
Die Ampel-Koalition hat dieses Problem erkannt. Auch die Bereitschaft, es anzugehen, ist da. Einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für die Frauenhausfinanzierung hat sich die Ampel schon im Koalitionsvertrag vorgenommen. „Es ist notwendig, dass wir mit Hochdruck am Ausbau der Frauenhausplätze arbeiten“, sagt Schauws.
Ulle Schauws ist Grünen-Politikerin und Bundestagsabgeordnete. © Imago
Doch die grundsätzliche Einigkeit ist das eine – und der praktische Fortschritt das andere. Noch hat die Regierung keinen Durchbruch vorzuweisen.
Um die Situation ernsthaft zu verbessern, braucht es viel Geld. Und das macht die Suche nach einer Lösung schwierig. Auf knapp 840 Millionen Euro pro Jahr schätzt die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser die bundesweiten Kosten, gäbe es so viele Plätze wie laut Istanbul-Konvention empfohlen.
Zuletzt im Herbst tagte im Ministerium ein Runder Tisch zum Thema. Unter Ministerin Lisa Paus (Grüne) werden erstmals die Verbände aus der Zivilgesellschaft beteiligt, was die als großen Fortschritt werten. Bei den Finanzen aber müssen sich Bund, Länder und Kommunen einigen. Es wird also ein ganz großer Konsens gebraucht. Und der ist nicht einfach herzustellen.
Am Ende kostet es Geld, und das will niemand gerne zahlen.
Heidi Reichinnek, Sprecherin für Frauenpolitik der Linken im Bundestag
„Am Ende kostet es Geld, und das will niemand gerne zahlen“, sagt Heidi Reichinnek, Sprecherin für Frauenpolitik der Linken im Bundestag. „Aber die Bundesebene ist in der Verantwortung, überall im Land gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Eine Bundesregierung, die 100 Milliarden Euro extra für die Bundeswehr zur Verfügung stellt, muss auch die notwendige strukturelle Unterstützung für Frauenhäuser sicherstellen, damit jedes Gewaltopfer vor Ort Schutz und Hilfe bekommt.“
Kommen und gehen: Eine Mitarbeiterin bereitet in einem Frauenhaus ein Zimmer vor. © dpa/Britta Pedersen
Allerdings ist das Thema auch verfassungsrechtlich nicht ganz einfach. „Der Bund kann nicht einfach Geld für den Betrieb der Frauenhäuser bereitstellen“, sagt Grünen-Politikerin Schauws. „Daher hieß es lange, der Bund sei nun einmal nicht zuständig. Aber diese Haltung wollen wir als Ampelkoalition überwinden.“
Wollen wir eine Gesellschaft sein, in der Opfer von Gewalt Hilfe finden?
Ulle Schauws, Frauenpolitikerin der Grünen, fordert ein Umdenken
Aus Schauws’ Sicht ist das Thema auch „eine Frage der gesamtgesellschaftlichen Haltung: Wollen wir eine Gesellschaft sein, in der Opfer von Gewalt Hilfe finden?“ Für eine politische Einigung müssen die föderalen Ebenen zusammengebracht werden. „Dieser Prozess braucht Zeit“, sagt Schauws.
Aus Reichinneks Sicht ziehen sich Runder Tisch und ministerielle Planung zu lange hin. „Am Ende könnte es heißen: Das haben wir leider in dieser Legislaturperiode nicht mehr geschafft. Das wäre dramatisch.“
Nach wie vor gibt die Bundespolitik dem Thema nicht die notwendige Priorität.
Elisabeth Oberthür vom Verein Frauenhauskoordinierung
Laut einer Sprecherin des Ministerium wird das Gesetz „nicht vor 2024“ in Kraft treten. Demnächst soll erst einmal eine Kostenstudie in Auftrag gegeben werden, um den Finanzbedarf belastbar zu schätzen. Mit Ergebnissen wird Ende 2023 gerechnet. Und die nächste Sitzung des Runden Tischs auf Minister:innen-Ebene ist erst für Sommer 2023 geplant.
Eine Frage der Zuständigkeit
Verbandsvertreterin Oberthür findet: „Nach wie vor gibt die Bundespolitik dem Thema nicht die notwendige Priorität. Warum ist für das Thema ausschließlich das Familien- und Frauenministerium zuständig und nicht zusätzlich zum Beispiel auch das mächtigere Innenministerium? Gewalt gegen Frauen ist unter anderem auch eine Frage der inneren Sicherheit.“
Im Familienministerium wird derzeit eine Koordinierungsstelle aufgebaut, die eine Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention entwickeln und dabei auch die anderen Ministerien in die Pflicht nehmen soll. Im November 2022 nahm außerdem eine vom Ministerium geförderte Berichterstattungsstelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte die Arbeit auf. Sie soll die Umsetzung der Konvention beobachten.
Früher oder später wird es mehr Geld brauchen, wenn Deutschland der Konvention gerecht werden will. Im Bundeshaushalt 2023 wurde der vorgesehene Posten für Investitionen in Frauenhäuser allerdings erst einmal von 30 auf 20 Millionen Euro gekürzt. Die Ampel-Koalition beruft sich darauf, die vorgesehenen Mittel seien leider ohnehin nicht abgerufen worden.
„Skandalös“ nennt das die Linken-Abgeordnete Reichinnek. „Ich glaube Ministerin Paus, dass das Thema ihr ein persönliches Anliegen ist. Aber die zweite Frage ist, was die Ministerin in der Koalition durchsetzt.“ Reichinnek verweist auch auf die schwierigen Arbeitsbedingungen des Personals in den Frauenhäusern, die dringend verbessert werden müssten.
Die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek auf dem niedersächsischen Landesparteitag der Linken. © dpa/Swen Pförtner
Und Frauenhaus-Vertreterin Oberthür sagt: „Die bürokratischen Hürden sind für ganz viele Einrichtungen deutlich zu hoch.“ So wie in Rathenow. „Außerdem können die Einrichtungen nicht einfach zusätzliche Plätze bauen, wenn ihnen hinterher niemand dafür das Personal finanziert“ kritisiert Oberthür. „Es wäre Aufgabe des Ministeriums, die Rahmenbedingungen so zu justieren, dass die Mittel auch tatsächlich abgerufen werden, denn der Bedarf ist riesig.“
Auch die grüne Frauen-Politikerin Schauws hält es für ein Problem, dass die Mittel zuletzt nicht vollständig abgerufen werden konnten. „Das Verfahren, mit dem Frauenhäuser Investitionsmittel des Bundes beantragen können, ist leider kompliziert, aber alles, was zu einer Verbesserung beiträgt, daran wird gearbeitet.“
Und so bleibt die Frage, wann den guten Absichten konkrete Taten folgen. „Irgendwie steht das Thema immer im Koalitionsvertrag“, sagt Praktikerin Seeger aus Rathenow, die seit dreißig Jahren für bessere Bedingungen kämpft. „Ich habe das Gefühl, es kommt ständig irgendetwas anderes dazwischen.“ Sie hofft, dass sie dieses Mal endlich falschliegt.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de