Die ersten Labormenschen: Embryonen aus menschlichen Stammzellen gezüchtet
© Getty Images/Corbis/SANDY HUFFAKER Die ersten Labormenschen: Embryonen aus menschlichen Stammzellen gezüchtet
Ohne Gebärmutter, ohne Eltern, nur im Reagenzglas: Forschenden ist es gelungen, aus Stammzellen offenbar intakte menschliche Embryonen zu züchten.
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Im ersten Moment klingt es nach menschlicher Hybris: Sowohl in Großbritannien, als auch in Israel haben Forschungsteams unabhängig voneinander menschliche Embryonen im Labor gezüchtet, die vergleichbar weit entwickelt sind wie 14 Tage alte echte Föten mit allen wesentlichen Gewebetypen – hergestellt ohne Gebärmutter, ohne „Eltern“, nur aus Stammzellen im „Reagenzglas“. Das beschreiben beide Gruppen in vorläufigen, noch nicht unabhängig geprüften Veröffentlichungen auf dem Preprint-Server „BiorXiv“.
Die verantwortlichen Laborleiter, Yaqub Hanna am Weizmann Institut in Israel und Magdalena Zernicka-Goetz an der Universität Cambridge, sind sich der ethischen Brisanz ihrer Arbeit bewusst. Sogar unter Stammzellforschern sind die Experimente umstritten. Sie könnten dem Ansehen der Szene schaden, heißt es. Das Erreichen des Ziels, aus Stammzellen endlich die von todkranken Patienten so dringend benötigten Gewebe und Organe herstellen zu können, könnte in Verruf geraten.
Der Weg zu „richtigen“ Zellen
Dabei könnten Zernicka-Goetz’ und Hannas Forschungen vielleicht der einzige Weg aus der Sackgasse sein, in die sich die Stammzellforschung beim Versuch, den mittlerweile über drei Jahrzehnte alten Traum umzusetzen, manövriert hat. Denn die Nerven-, Haut- oder Leberzellen, die bisher mühsam in Petrischalen mit Hilfe von Cocktails verschiedenster Wachstumhormone herangezüchtet werden, sind den jeweiligen Originalzellen bislang nur mäßig ähnlich.
Das liegt vermutlich daran, dass Zellen in der Natur anders heranreifen und sich differenzieren. Dort „sprechen“ benachbarte Zellen miteinander und stimulieren sich gegenseitig, um ordentliche Nervenstränge oder Blutgefäßen, Nieren oder Herzen zu bilden. Diese ideale Umgebung für die Differenzierung bietet nur der Embryo. Aber wie der sich im Menschen bildet, ist nur in Teilen bekannt.
Die Ähnlichkeit mit dem natürlichen Embryo ist bemerkenswert, fast unheimlich.
Jesse Veenvliet, Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden
Sicher: Es läuft ähnlich ab wie bei der Maus. Aber eben nur ähnlich, nicht genau so. Das Ziel von Mgdalena Zernicka-Goetz ist es, diese frühe Entwicklung des Menschen genauer zu studieren. Ihr dient das Schaffen von möglichst menschenähnlichen Embryonen als „Modell“, als Abbild des Originals, um die Abläufe besser verstehen und irgendwann nutzen zu können, um künstliche menschliche Gewebe zu züchten. Und auch, um besser zu verstehen, wie Fehlgeburten entstehen. Deshalb nennt die in Warschau geborene Entwicklungsbiologin die von ihr geschaffenen menschlichen Embryonen auch eher „Modelle“.
Wettlauf um die ersten Labor-Embryos
Auf einer Konferenz in Boston, dem Jahrestreffen der Internationalen Gesellschaft für Stammzellforschung, stellte Zernicka-Goetz ihre Methode am Mittwoch erstmals in einem Vortrag vor. Demnach verändert sie die menschlichen Stammzellen genetisch, um sie dazu zu zwingen, einen kompletten Embryo und nicht nur einzelne Gewebetypen zu bilden. Bei diesen „Transgenen“ handelt es sich um solche, die andere Gene ein- oder ausschalten und somit ein bestimmtes Entwicklungsprogramm starten können. In diesem Fall das Programm: „Entwickle dich zu einem ganzen Embryo“.
Yaqub Hannas Labor hingegen verzichtet auf genetische Veränderungen der menschlichen Stammzellen. Stattdessen werden die Zellen in einer Art Cocktail verschiedener Wachstumsfaktoren „gebadet“. Auch das führt zu dem gleichen Ziel: Bestimmte Gene werden aktiviert und die Stammzelle führt das embryonale Entwicklungsprogramm durch. Die daraus entstehenden synthetischen Embryos weisen Eigenschaften und Strukturen circa 13 bis 14 Tage alter menschlicher Embryonen auf: sie haben eine zweischichtige Keimscheibe mit Anfängen von flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen als Vorläufer von Hirn- und Rückenmarksflüssigkeitsräumen, sowie extraembryonale Strukturen wie die spätere Fruchthöhle und einen Dottersack. „Die Ähnlichkeit mit dem natürlichen Embryo ist bemerkenswert, fast unheimlich“, sagt Jesse Veenvliet vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, der die Arbeitsgruppe „Stembryogenese“, ein Kunstwort aus Stammzellen und Embryogenese, leitet.
Der Ansatz ohne Transgene scheine „besser zu funktionieren“, sagt Veenvliet. „Es ist faszinierend, wie die menschlichen embryonalen Stammzellen – sobald sie in einen Zustand gebracht wurden, der den frühesten embryonalen und extraembryonalen Zellzuständen sehr ähnlich ist – die Fähigkeit erlangen, sich selbst in Strukturen zu organisieren, die den Embryo nachahmen – ohne dass eine zusätzliche chemische Modulation erforderlich ist.”
Im Labor Yaqub Hannas in Rehovot am Weizmann-Institut werden Embryonen gezüchtet – hier noch von der Maus, inzwischen aber auch vom Menschen. © dpa/Ilia Yefimovich
Schöpferisch in Israel
Hanna geht es mit den „aus Stammzellen abgeleiteten Embryo-Modellen“ (SEMs) um mehr als nur das Studium der Embryonalentwicklung. Er will therapeutisch nützliche Gewebe züchten. Der Biologe war 2007 der erste, der beweisen konnte, dass der Traum der Stammzellforschung Realität werden könnte: Einen kranken Patienten eine Hautzelle entnehmen, in eine Stammzelle verwandeln („reprogrammieren“) und aus diesen „induzierten pluripotenten Stammzellen („ipS“) dann jene Zellen heranwachsen lassen, die dem Patienten das Leben retten oder erleichtern. Im Labor des deutschen Stammzellforschers Rudolf Jaenisch am Whitehead-Institut in Cambridge, USA, kurierte er auf diese Weise Mäuse, die aufgrund einer Gen-Mutation an Sichelzellanämie litten – einer Blutarmut, wie sie auch beim Menschen vorkommt, und die Hanna heilte, indem er die fehlenden Blutzellen aus den Stammzellen der Maus heranzüchtete.
Aus Stammzellen können Forscher frühe Stadien von Embryonen züchten, die sich fast schon wie natürliche Embryonen entwickeln. Was (wie hier) noch von Mausstammzellen stammt, ist nun auch mit menschlichen möglich. © M. Zernicka-Goetz, Uni Cambridge
Aber beim Menschen funktioniert das bislang nur bedingt. So wachsen etwa die Beta-Zellen, die Zuckerkranke zur Genesung bräuchten, zwar inzwischen gut in der Petrischale, aber im Körper der Patienten funktionieren sie nicht richtig. Hanna meint, weil sie nicht in der richtigen Umgebung, dem Embryo, herangewachsen sind.
Seitdem versucht Hanna, aus ipS-Zellen möglichst menschenähnliche Embryonen zu züchten. Kritik hagelte es dafür schon im vergangenen Jahr, als sein Labor zeigte, dass er aus ipS-Zellen Mausembryonen so weit züchten konnte, die sie Hirn, Herz und andere wichtige Gewebe enthalten. Dass er Mitgründer des Startups „Renewal Bio“ ist, das die Technik der Embryozucht nutzen will, um Kliniken mit passgenauen, weil genetisch den Patienten gleichen Geweben zu versorgen, trägt dazu sicher bei.
Bald synthetische Embryonen mit Hirn und schlagendem Herz?
Aber Zoff ist Hanna gewohnt. Er ist in einem palästinensischen Dorf in Israel, Kafr Rama in Galiläa, geboren. Ein „israelischer Araber“ also, wobei er sich selbst stolz als „israelischen Palästinenser“ bezeichnet. Nach seinem Erfolg in den USA kam als erster arabischer Arbeitsgruppenleiter ans Weizmann-Institut nach Israel zurück.
Noch sind die künstlichen Embryonen nicht so weit entwickelt, als dass Organe wie Herz oder Hirn angelegt sind. Doch in den Mausexperimenten, über die sowohl Hanna als auch Zernicka-Goetz im vergangenen Jahr berichteten, ist das bereits gelungen. Hannas Team deutet in der Vorabveröffentlichung auch an, dass dies mit den menschlichen Stammzellen auch möglich zu sein scheint.
Identisch sind die künstlichen Embryonen den natürlichen jedoch nicht. Nur etwa drei Prozent der Strukturen seien dem Original ähnlich, sagt Veenvliet. Außderm lassen die synthetischen Embryonen eines der frühesten Entwicklungsstadien, das Blastozystenstadium, aus. „Wie sich dies auf das Entwicklungspotenzial der embryoähnlichen Strukturen auswirkt, also die Fähigkeit, einen gesunden, voll ausgebildeten Fötus hervorzubringen, bleibt unklar“, sagt Veenvliet.
In Deutschland erlaubt? Womöglich
Ob einzelne der Embryonen noch weiterwachsen und nicht, wie in der Arbeit beschrieben wurde, alle Experimente im beschriebenen Entwicklungsstadium beendet wurden, bleibt indes offen. Veenvliet sieht „keinen Grund, warum diese sich nicht weiterentwickeln könnten.“ Zu betonen sei jedoch, dass diese Embryomodelle „nicht in eine Gebärmutter eingepflanzt werden können“, inwieweit sie sich in Abwesenheit der mütterlichen Umgebung richtig entwickeln könnten, müsse untersucht werden.
Das könne auch Aufschluss über den „moralischen Status“ der synthetischen Embryonen geben, ob sie „dem Embryo ähnlich angesehen werden sollten“. Die im Labor gezüchteten embryoähnlichen Gebilde als „Modelle“ zu bezeichnen, sieht Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe „Mausembryologie“ am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, jedoch kritisch und vertritt eine „konsequentialistische Sichtweise“: „Wenn die Funktion der Entwicklung gegeben ist, ist diese Entität ein Embryo, und zwar unabhängig von seiner biologischen Herkunft.“
Ob Embryonen nach Hannas oder Zernicka-Goetz’ Methode auch in Deutschland gezüchtet werden dürften, ist allerdings ungeklärt. „Meines Wissens könnte ein solches Experiment auch in Deutschland zulässig sein“, meint Boiani. Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften der Universität Hannover, hält das geltende Embryonenschutzgesetz in dieser Frage hingegen für überholt: „Sind synthetische Embryonen weniger schutzwürdig als zum Beispiel überzählige Embryonen aus einer Kinderwunschbehandlung? Wir werden uns da noch einmal gesellschaftlich neu orientieren müssen.“ (mit smc)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de