Die Bundeswehr definiert ihre Rolle neu: Wir müssen Rückgrat der Abschreckung in Europa sein
© dpa/Kay Nietfeld
Die Bundeswehr definiert ihre Rolle neu: Wir müssen Rückgrat der Abschreckung in Europa sein
In Berlin findet aktuell die traditionelle Bundeswehrtagung statt. Passend dazu geben Minister Boris Pistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer neue Richtlinien bekannt.
Ein Gastbeitrag von
- Boris Pistorius
- Carsten Breuer
Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Deutschland und seine Verbündeten müssen sich wieder einer militärischen Bedrohung stellen. Die internationale Ordnung wird in Europa und rund um den Globus angegriffen. Wir erleben eine Zeitenwende.
Diese Zeitenwende verändert die Rolle Deutschlands und der Bundeswehr fundamental. Die Bundesrepublik hat im Kalten Krieg als „Frontstaat“ über Jahrzehnte von der Stationierung unserer Verbündeten profitiert.
Heute tragen wir als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas Verantwortung. Wir müssen Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein. Unsere Bevölkerung, aber auch unsere Partner erwarten von uns, dass wir uns dieser Verantwortung stellen.
Dafür brauchen wir Führungsfähigkeit, Wehrhaftigkeit und einen realistischen Blick auf die geopolitischen Herausforderungen, die auf uns zukommen.
„Kriegstüchtige Bundeswehr“
Ein sichtbares Zeichen unseres Bekenntnisses zur Verteidigungsfähigkeit im Bündnis ist, dass wir permanent eine Kampfbrigade in Litauen stationieren. Das ist in der Geschichte der Bundeswehr ohne Präzedenz – und ein wichtiges Signal der Stärke und Abschreckung.
Hierfür nehmen wir in dieser Woche entscheidende Weichenstellungen vor. Bereits nächstes Jahr werden wir mit einem Vorkommando in Litauen präsent sein. Nach jetzigem Stand werden wir insgesamt rund 5000 Soldatinnen und Soldaten in Litauen stationieren. Wir zeigen damit Führungsverantwortung in enger Zusammenarbeit mit Litauen und unseren weiteren Nato-Verbündeten.
Mit den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien stellen wir in dieser Woche die Weichen für eine Bundeswehr in der Zeitenwende. Ausgehend von der sicherheitspolitischen Standortbestimmung der Nationalen Sicherheitsstrategie geben sie uns den Rahmen für die Ausrichtung der Bundeswehr – verteidigungspolitisch und militärisch. Die Richtlinien verdeutlichen, dass für eine leistungsfähige und kriegstüchtige Bundeswehr der Zukunft in allen Bereichen grundlegende Veränderungen herbeigeführt werden müssen.
Das reicht von Strukturanpassungen unserer Streitkräfte über effizientere Rüstungs- und Beschaffungsverfahren bis hin zu unserem gemeinsamen Selbstverständnis. Dazu gehört auch, dass wir als verlässlicher Partner des atlantischen Bündnisses langfristig mindestens zwei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts für unsere Verteidigung ausgeben.
Zurück zum Kerngeschäft
Die Bundeswehr ist das Instrument unserer Wehrhaftigkeit. Ihr Beitrag zur Gesamtverteidigung ist Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung und den Schutz der Bevölkerung in Krisen, Krieg und gegenüber hybriden Bedrohungen. Die Bundeswehr muss sich viel stärker als vor der Zeitenwende auf Landes- und Bündnisverteidigung einstellen. Dieser Auftrag ist künftig strukturbestimmend.
Gleichzeitig müssen wir erkennen, dass sich Krisen und Konflikte zuspitzen. Der barbarische Angriff der Hamas gegen Israel zeigt dies besonders dramatisch. Wir müssen daher weiterhin in der Lage sein, schnell und wirksam zum internationalen Krisenmanagement wie auch zur nationalen Krisenvorsorge beizutragen.
Aus all dem folgt, dass die Bundeswehr wieder so aufgestellt sein muss, dass sie kriegstüchtig ist. Nur dann kann sie glaubwürdig abschrecken. Das heißt: Ausreichend Personal, eine bessere Ausstattung und Strukturen, die den neuen Herausforderungen gerecht werden. Damit haben wir bereits begonnen.
Wir brauchen einen Mentalitätswechsel nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in Politik und in Gesellschaft.
Minister Boris Pistorius und General Carsten Breuer über die zivile Zeitenwende
Es liegt aber auf der Hand, dass eine Bundeswehr, die über Jahrzehnte auf das internationale Krisenmanagement, auf Einsparpotenziale hin ausgerichtet wurde, nicht über Nacht umgekrempelt werden kann. Ungeduld ist angesichts der enormen Herausforderungen angebracht und nachvollziehbar, sie treibt uns an. Wir müssen aber gleichzeitig plan- und zielgerichtet vorgehen.
Die beschriebenen Kriege und Krisen geschehen nicht in einem Vakuum. Sie werden in einem geopolitischen Umfeld immer unverhohlenerer Angriffe von Autokratien auf Völkerrecht und internationale Ordnung geführt. Eine Ordnung, die immer stärker von Multipolarität und weniger von Bipolarität geprägt ist.
Neue Partner gewinnen
Für uns bedeutet das: Wir müssen mit realistischem Blick, pragmatisch, aber immer mit klarem Kompass unserer Interessen und Werte auch neue Partner in der Welt gewinnen. Das gilt im Indopazifik genauso wie in Afrika. Das heißt auch Austausch und Kooperation mit Ländern, die nicht vollständig unsere Werte teilen, mit denen wir aber ein gemeinsames Interesse an Stabilität und Verteidigung der internationalen regelbasierten Ordnung haben.
Die verteidigungspolitischen Richtlinien helfen uns, den neuen Anforderungen an Verteidigung- und Abschreckungsfähigkeit gerecht zu werden. Sie allein werden nicht genügen. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel nicht nur in der Bundeswehr, sondern auch in Politik und in Gesellschaft.
Es geht um die Sicherheit unseres Landes und damit um das Fundament für das gesellschaftliche Miteinander, Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum. Wir müssen als Staat und Gesellschaft wehrhaft und resilient sein, um auch künftig in Frieden, Freiheit und Sicherheit leben zu können.
- Boris Pistorius
- Bundeswehr
- Russland
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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