DGAP-Direktor Wolff im Interview: „Wir haben als EU nur eine Chance, wenn wir enger zusammenrücken“
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DGAP-Direktor Wolff im Interview: „Wir haben als EU nur eine Chance, wenn wir enger zusammenrücken“
Guntram Wolff ist Ökonom und leitet die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er äußert sich zu den Kürzungsplänen der Ampel, den Beschlüssen der Klimakonferenz und der Zukunft der EU.
Von Christopher Schade
Herr Wolff, die Bundesregierung möchte an mehreren Stellen im Haushalt Kürzungen vornehmen und die Schuldenbremse nicht erneut aussetzen. Welche Folgen hat das für die Wirtschaft?
Der Konsolidierungsdruck ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts größer geworden. Die Kürzungen wirken sich kurzfristig schlecht auf die Konjunktur aus. Mittelfristig habe ich die Sorge, dass es zu Investitionskürzungen kommt. Man kann natürlich auch ohne Schuldenaufnahme Prioritäten setzen und nötige Investitionen finanzieren.
Dazu braucht es den politischen Willen, woanders zu kürzen und da sieht es, fürchte ich, nicht so gut aus. Für nächstes Jahr haben wir eine Kompromisslösung, jeder Koalitionspartner hat ein bisschen nachgeben müssen. Das ist erst einmal okay, aber die Frage bleibt, wie wir die großen Transformationsaufgaben finanzieren können. Ich denke, wir brauchen für große, langfristig nutzbare Investitionen gewisse Verschuldungsspielräume.
Auf der UN-Klimakonferenz einigte man sich kürzlich auf ein „transitioning away“ von fossilen Energieträgern, was bedeutet das für den Klimaschutz?
Als ich das gelesen habe, habe ich mich wie in einem Paralleluniversum gefühlt. Dass man es als Erfolg verkauft, langsam aus den fossilen Energieträgern auszusteigen, ist mir schleierhaft. Darum ging es doch bereits von Anfang an bei allen Klimaverhandlungen, weil die Fossilen eben die Haupttreiber des Klimawandels sind.
Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er Orbán bei der Abstimmung zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen gebeten hat, den Raum zu verlassen.
Guntram Wolff
Bisher hat man von einer Reduktion der Emissionen gesprochen, jetzt ändert man die Formulierung. Ich denke nicht, dass sich dadurch konkret etwas ändern wird. Eigentlich bräuchten wir ein Klimaabkommen, bei dem Länder, die ihre Emissionsreduktionsziele nicht einhalten, bestraft werden können.
Könnte hier die EU ins Spiel kommen und wenig ambitionierte Länder sanktionieren?
Ja, das ist möglich. Die Idee, dass sich ambitionierte Länder zusammenschließen und weniger ambitionierte Länder mit Handelsnachteilen bestrafen, hatte ursprünglich der US-Ökonom William Nordhaus. Die EU ist in diese Richtung gegangen, indem sie einen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus eingeführt hat.
Mit diesem werden in die EU importierte Produkte so besteuert, als wären sie innerhalb der EU unter dem CO₂-Zertifikatehandel hergestellt worden. Damit setzt man für Nicht-EU-Länder einen Anreiz, Klimaschutz zu betreiben. Aber selbst wenn die EU das für alle Importe durchführen würde, was sie aktuell noch nicht tut, würde das nicht ausreichen, um die Klimaanstrengungen weltweit ausreichend zu beschleunigen.
Der EU-Gipfel hat nun Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschlossen. Wie lange dürften die dauern?
Beitrittsverhandlungen mit der EU können sehr, sehr lange dauern. Mit politischem Willen können sie natürlich beschleunigt werden. Es müssen jetzt 35 Kapitel verhandelt werden, mit Themen wie Rechtsstaatlichkeit, der Angleichung von Normen und vielem mehr. Erst wenn die Verhandlungen durch sind, können die Mitgliedsstaaten die Ukraine mit einem einstimmigen Beschluss zum Mitglied machen. Ich denke, in unter zehn Jahren wird das kaum möglich sein.
Auf dem Gipfel soll auch ein mehrjähriges Unterstützungspaket im Wert von 50 Milliarden Euro beschlossen werden, aber Ungarns Ministerpräsident Orbán blockiert das. Wie kann man seinen Widerstand überwinden?
Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar, dass er Orbán bei der Abstimmung zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen gebeten hat, den Raum zu verlassen. Mit diesem informellen Trick konnte der Beschluss ohne Ungarns Zustimmung gemacht werden. Bei dem Unterstützungspaket scheint Orbán das nicht mitmachen zu wollen.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Erstens könnte man den Fonds außerhalb der EU-Strukturen konstruieren, mit 26 Ländern ohne Ungarn. Dann kann man aber auch nicht auf die Institutionen der EU zurückgreifen. Zweitens könnte man Artikel 7 der EU-Verträge nutzen. Mit diesem kann man einem Land, das gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt, sein Stimmrecht entziehen, wenn alle anderen Mitglieder dem zustimmen. Das dürfte schwierig werden.
Die USA haben noch nicht entschieden, wie viel Unterstützung sie der Ukraine im kommenden Jahr geben. Könnten die Europäer Kürzungen der Amerikaner ausgleichen?
Auf der wirtschaftlichen Ebene ginge das auf jeden Fall. Die Unterstützungszahlungen an die Ukraine sind zwar signifikant, im Vergleich zur Wirtschaftskraft der EU aber gering. Schätzungen zufolge braucht die Ukraine etwa 20 bis 30 Milliarden Euro im Jahr, das könnte Europa sich sicher leisten.
Es muss aber auch die politische Ebene mitspielen. Italien forderte wohl in den Verhandlungen zusätzliche Gelder für sich im Tausch für die Ukraine-Milliarden. Es ist ein Kuhhandel, ein politisches Problem.
Es ist eine riesige, positive Nachricht, dass Polen wieder zurück in der europäischen Familie ist.
Guntram Wolff
Was ist mit der militärischen Unterstützung? Kann Europa hier genug liefern?
Ich weiß natürlich nicht genau, wie viel Munition noch in den Lagern der EU-Länder liegt. Es ist aber klar, dass wir aktuell hinterherhängen. Russland hat seine eigene Waffen- und Munitionsproduktion hochgefahren. Außerdem haben die Russen erhebliche Mengen an Munition aus Nordkorea bekommen und der Iran liefert ihnen Waffen.
Wir Europäer haben unsere Produktion zwar auch hochgefahren, aber noch nicht schnell genug. Insofern stehen wir vor einer echten Herausforderung. Aus meiner Perspektive müssten wir alles mobilisieren, so schnell es geht, damit die Sicherheit der Ukraine und damit auch die Sicherheit Europas gewährleistet ist.
Was bedeutet der Regierungswechsel in Polen für die EU?
Es ist eine riesige, positive Nachricht, dass Polen wieder zurück in der europäischen Familie ist und mit Donald Tusk einen überzeugten proeuropäischen neuen Regierungschef hat.
Polen ist ein großes und wichtiges Land, daher wird sich der Wechsel auch in der europäischen Gesetzgebung niederschlagen, hier sind signifikante Veränderungen möglich. Nach der Europawahl im Juni wird die Gesetzgebungsmaschine wieder richtig loslegen und dann werden wir die Veränderung am stärksten spüren.
In den Niederlanden hingegen könnte bald eine rechtspopulistische Regierung regieren.
Das wäre wieder ein Rückschlag. Es ist keine einfache Situation, immer wieder kommen Rechtspopulisten an die Macht. In der Slowakei haben wir mit Ministerpräsident Fico jemanden, der in die Richtung tendiert. Giorgia Meloni in Italien gibt sich zwar transatlantisch in der Außenpolitik, ist aber rechtspopulistisch in der Innenpolitik. Es bleibt eine schwierige Gemengelage in unserer westlichen Gesellschaft.
Auch bei der Europawahl droht ein Rechtsruck. Was wären die Folgen?
Die entscheidende Frage wird sein, wie groß der Ruck ist. Wenn er so groß sein wird, dass es kaum noch Mehrheiten jenseits der rechten Seite gibt, dann wird es schwierig, Gesetze zu beschließen.
Nach der Europawahl sollte man überlegen, ob man die EU grundsätzlich reformiert oder Mittel auf dem kleinen Dienstweg wählt.
Guntram Wolff
Die Europäische Volkspartei (EVP), der auch die deutsche CDU angehört, hat bereits überlegt, eine rechts-konservative Mehrheit mit den Rechtspopulisten zu machen. Ich glaube, dass das ein strategischer Fehler wäre. Das wäre schlecht sowohl für die Europäische Union als auch für die Partei. Die Debatte dazu innerhalb der EVP ist noch nicht abgeschlossen.
Hat Ursula von der Leyen gute Chancen, wieder Kommissionspräsidentin zu werden?
Ja, ich glaube, ihre Chancen stehen gut. Ich möchte darüber aber nicht spekulieren.
Olaf Scholz forderte in seiner Rede in der Prager Karls-Universität grundlegende Reformen, beispielsweise die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Außen- und Sicherheitspolitik. Was ist daraus geworden?
Die Ideen wurden diskutiert und immer wieder diskutiert. Es gab Debatten dazu im Europäischen Rat und ein deutsch-französisches Arbeitspapier. Ich denke, dass es inzwischen eine größere Offenheit gibt, über Reformen zu sprechen als noch vor einem Jahr. Das Europaparlament hat sogar einen Konvent gefordert, in dem die EU-Verträge grundsätzlich behandelt werden.
Diese Debatte sollte auch Teil des Europawahlkampfs sein. Nach der Europawahl sollte man überlegen, ob man die EU grundsätzlich reformiert oder Mittel auf dem kleinen Dienstweg wählt. Mit der sogenannten Passerelle-Klausel kann mit einer einmaligen, einstimmigen Entscheidung beschlossen werden, dass für bestimmte Bereiche das Einstimmigkeitsprinzip aufgehoben wird.
Als Kompromiss könnte man für einen bestimmten Bereich der Außenpolitik, beispielsweise die Sanktionspolitik, auf ein Jahr befristet Mehrheitsentscheidungen zulassen. Das wäre ein Experiment, mit dem man Kritiker einer Reform überzeugen kann, dass Mehrheitsentscheidungen nicht das Problem sind.
Lebt die Idee der „immer engeren Union“ noch weiter?
Es gibt Kräfte, die das nicht wollen. Deswegen hängt das auch von der Europawahl ab. Die Rechtspopulisten wollen das sicher nicht. Ich denke, viele Bürger wollen das im Prinzip schon. Gerade die jungen Europäer geben in Umfragen oft an, dass die EU eine größere Rolle bei Themen wie Außenpolitik und Klimaschutz bekommen sollte. Die Mehrheiten gehen in diese Richtung, aber es gibt großen Widerstand.
Ich bin da eher bei den Jungen: Wir haben als EU weltpolitisch nur eine Chance, wenn wir enger zusammenrücken und mehr Entscheidungskompetenzen teilen.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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