Der FDP-Minister und der Gewerkschaftsboss: Volker Wissings kuriose Allianz mit der EVG
© Fulmidas / EVG
Der FDP-Minister und der Gewerkschaftsboss: Volker Wissings kuriose Allianz mit der EVG
Volker Wissings Bahnsanierung ist in Gefahr. Der Verkehrsminister sucht auch deshalb die Nähe zum Chef der Bahngewerkschaft EVG – mit einer gemeinsamen Kampagne.
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Pflichtschuldig freut sich Volker Wissing über die Gags der Werbeagentur. „Ein guter Ort für Bahnhöflichkeit“, liest der Verkehrsminister vor – und wirkt dabei so, als wäre er mit den Gedanken nicht bei diesem Wortspiel.
Der FDP-Politiker posiert im Pressesaal seines Ministeriums mit Martin Burkert, dem Chef der Bahngewerkschaft EVG. Auf dem riesigen Multimedia-Bildschirm hinter ihnen werden die Motive einer gemeinsamen Kampagne eingeblendet, die für mehr Respekt für Bahnmitarbeiter werben soll. An diesem Dienstag will die EVG sie auf ihrer Bundeskonferenz in Fulda vorstellen. Deshalb nun dieser Fototermin.
Er beginnt mit 20 Minuten Verzögerung. Denn zunächt will Wissing mit Burkert noch was anderes besprechen – unter vier Augen. Der Verkehrsminister braucht den EVG-Chef mehr denn je. Dass das Bundesverfassungsgericht die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds (KTF) gekippt hat, ist für Wissing eine Katastrophe. Er kann Schützenhilfe gebrauchen.
Seine Bahnsanierung steht auf dem Spiel, weil das Finanzministerium von FDP-Chef Christian Lindner nicht nur die KTF-Gelder für die Schiene, sondern auch die Mittel aus dem regulären Haushalt und eine Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn vorerst gesperrt hat. Dabei ist die nach einhelliger Expertenmeinung von dem Urteil nicht betroffen.
Unterstützt die FDP Wissing?
Bei den Grünen heißt es deshalb bereits, Lindner und die FDP-Fraktion hätten Wissing fallengelassen. Wissing könne sich nur auf das Kanzleramt stützen. Die Liberalen und die SPD bestreiten das. Doch so oder so wird Wissing ohne die SPD seine Bahnmilliarden nicht sichern können. Hier kommt Burkert ins Spiel. Im Regierungsviertel ist es ein offenes Geheimnis, dass die EVG die Bahnpolitik der Kanzler-Partei maßgeblich mitbestimmt.
Wer soll sich denn um die Bahn kümmern, wenn nicht der Verkehrsminister?
Volker Wissing, Bundesverkehrsminister (FDP)
Die Sorgen sind Wissing anzumerken, als er sich mit Burkert vor den Werbemotiven aufstellt. Die Fotografin kann sich über ihn dennoch nicht beschweren. Für solche Gelegenheiten hat Wissing ein fast maskenhaftes Dauerlächeln parat. Der FDP-Politiker weiß, dass dieser Termin wichtig ist – weil er Burkert wichtig ist. Ihr Verhältnis ist inzwischen belastbar.
Lange ignorierte Wissing Burkert
Dabei wurde diese Kampagne als Rettungsversuch für eine zerrüttete Beziehung verabredet. In den ersten Monaten seiner Amtszeit ließ Wissing Burkert links liegen, während er bei der Bahn mehr bewegte als seine CSU-Vorgänger in zwölf Jahren. „Als ich ins Amt kam, haben mir einige geraten: Mach einen Bogen um die Bahn, das Problem kannst du nicht lösen“, erzählt Wissing nach dem Fotoshooting. „Das hat mich sehr irritiert. Wer soll sich denn um die Bahn kümmern, wenn nicht der Verkehrsminister?“
Wissing beriet sich mit seinen Beamten im Verkehrsministerium und dem Bahnvorstand. Dann legte er los. Den Nahverkehr machte er nach der Coronakrise mit dem Neun-Euro-Ticket wieder populär – und schuf nebenbei einen deutschlandweiten Tarif. Mit dem Bahnvorstand vereinbarte er eine Generalsanierung der wichtigsten Bahnkorridore.
Nur mit Burkert sprach er über all das nicht. Dabei waren Wissings Entscheidungen für die Eisenbahner vor allem eins: eine Belastung. In übervollen Regionalzügen wurden Zugbegleiter im Neun-Euro-Sommer immer öfter angepöbelt oder attackiert. „Mir ging es darum, zwei Probleme zu lösen – zum einen die Menschen in der Energiekrise zu entlasten und zum anderen die Tarifstrukturen im ÖPNV zu vereinfachen“, sagt Wissing. Hatte er die Bahnbeschäftigten schlicht vergessen?
Die verbalen Übergriffe haben sich in den letzten Jahren verfünffacht, Körperverletzungen haben sich verdreifacht.
Martin Burkert, Chef der Bahngewerkschaft EVG
Dass er bei Wissing keinen Termin bekam, war für Burkert auch eine persönliche Kränkung. Der gesellige Franke hat früher für die SPD Verkehrspolitik im Bundestag gemacht, bei einem Bier erzählt er schon mal stolz, dass er ein Thema mit „Olaf“ besprochen hat.
Das Sicherheitsthema bringt beide zusammen
Als Wissing im Oktober 2022 auch noch für den Gewerkschaftstag der EVG absagt, reicht es ihm. Sein Team bereitet einen Auftritt eines Stoffpuppen-Wissing vor – „Bild“ ist informiert. Wissing kommt doch, obwohl er nach einer Corona-Impfung Fieber hat. Er habe sich trotzdem sehr wohlgefühlt, sagt er. „Ich bin nach meiner Rede durch die Reihen gegangen und konnte förmlich spüren, mit welcher Leidenschaft die EVG-Mitglieder Eisenbahner sind.“
Auch Martin Burkert ist glücklich. Volker Wissing habe auf dem Gewerkschaftstag auch mit der EVG-Jugend gesprochen, erzählt er. Und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert habe das Foto gemacht. Es ist der Wendepunkt in Wissings Beziehung zur EVG.
Burkert und Wissing vereinbaren ein weiteres Treffen mit Bahnpersonal, um über die zunehmenden Übergriffe zu sprechen. Die Mitarbeiterin eines Bahnhofs-Infoschalters erzählt Wissing, wie ein Mann sie nach Feierabend nicht gehen lassen wollte – und beim Abschließen ihres Schalters seinen Fuß in die Tür stellte.
„Es macht etwas mit Menschen, am Arbeitsplatz so angegangen zu werden“, sagt Wissing noch ein Jahr später empört. Er ist Calvinist. Gemeinschaft und Respekt sind ihm wichtig. Wenn sich jemand breitmacht, kann er das nur schwer ertragen. „Offensichtlich fehlt bei manchen das Gespür, dass sie es bei Bahnmitarbeitern mit Menschen zu tun haben“, sagt er.
So entstand die Idee, gemeinsam eine Respekt-Kampagne zu machen. „Die verbalen Übergriffe haben sich in den letzten Jahren verfünffacht, Körperverletzungen haben sich verdreifacht“, sagt Burkert. „Das müssen wir durch diese Kampagne in die Öffentlichkeit tragen. Damit allen klar wird: Hier arbeitet ein Mensch – der Respekt verdient.“
In der FDP sind manche irritiert
Die Begegnung mit dem Bahnpersonal verändert auch Wissings Politik. Ein Beschäftigter von DB Sicherheit habe ihm eindrücklich nahegebracht, „was für ein sensibler Ort ein Bahnhof ist“, sagt Wissing. Mit Obdachlosen, die sich dort aufhalten, müsse man bestimmt und zugleich behutsam umgehen. „Dafür braucht es Kompetenz, Empathie und eine hohe Sensibilität.“ Auch nach der anstehenden Bahnreform werde es deshalb weiter eine bahneigene Sicherheitsfirma geben.
Martin Burkert guckt zufrieden. Schließlich hat die EVG erst vor kurzem durchgesetzt, dass die Sicherheitsmitarbeiter der DB deutlich besser als branchenüblich verdienen. Entscheidungen wie diese haben Vertrauen zwischen den Männern aufgebaut. Letztlich hat Wissing dabei kaum eine Wahl. Denn zusammen mit den ihnen nahestehenden Vertretern der SPD hat die EVG im Aufsichtsrat der Bahn eine Mehrheit. Ohne die Gewerkschaft kann er bei der Bahn keine grundlegenden Entscheidungen treffen.
In der FDP finden dennoch nicht alle Wissings vorsichtigen Umgang mit dem ineffizienten Staatskonzern gut. Ausgerechnet der FDP-Verkehrshaushälter Frank Schäffler blockiert derzeit seine Reform des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG). Das Gesetz mit dem Endlosnamen ist wichtig für Wissing, damit er ab dem kommenden Jahr nach und nach 40 Hauptstrecken in einem Rutsch generalsanieren kann.
Doch Schäffler findet es falsch, dass der Bund nach der Reform die Sanierung von Bahnhöfen vollständig finanzieren darf. „Als Haushälter muss ich darauf achten, dass nicht immer mehr Aufgaben zum Bund rüber wandern, während der Wasserkopf bei der Deutschen Bahn immer größer wird“, sagt er.
Die Grünen sind sie fassungslos. Seine eigene Fraktion und das durch seinen Parteifreund geführte Finanzministerium stellten sich gegen die versprochene Generalsanierung der Hauptkorridore inklusive der Bahnhöfe, sagt ihr Bahnexperte Matthias Gastel. Wissing müsse jetzt gemeinsam mit dem Finanzminister dafür sorgen, „dass seine Fraktion einem Gesetz zustimmt, das seinen eigenen öffentlichen Aussagen entspricht“.
Als Affront gegen Wissing will Schäffler seine Blockade allerdings nicht verstanden wissen. Ob der Verkehrsminister das genauso sieht? Auch wegen solcher Erlebnisse dürfte er auf einen guten Draht zu Martin Burkert achten.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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