Boykott von Juden als legitime Streitkultur? : Dämonisierende „Israel-Kritik“ ist stets antisemitisch
© imago images/snapshot/F.Boillot Boykott von Juden als legitime Streitkultur? : Dämonisierende „Israel-Kritik“ ist stets antisemitisch
Die Ernennung des BDS-nahen Historikers Jens Hanssen zum Leiter eines Instituts der Max-Weber-Stiftung hat für Empörung gesorgt. Die Stiftung erklärt, in anderen Ländern sei der Aufruf zum Boykott ein normaler Teil der Streitkultur. Eine Entgegnung.
Ein Kommentar von
Antisemitismus hat viele Gesichter. Bei der Max-Weber-Stiftung, die geisteswissenschaftliche Forschungsinstitute in zahlreichen Ländern betreibt, sollte man sich diesen Umstand noch einmal explizit klar machen.
Die bundeseigene Institution hat den deutschen Historiker Jens Hanssen mit der Leitung ihres Orient-Instituts Beirut (OIB) beauftragt, die dieser nun zum 1. Juli übernahm – trotz Protesten. Denn Hanssen hat wiederholt gefordert, israelische Forscher:innen zu boykottieren, wie die Jüdische Allgemeine und die Welt berichtet haben. 2010 moderierte er einen Vortrag von Omar Barghouti, Mitbegründer der israelfeindlichen Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS). Im Einklang mit dessen Zielen plädierte Hanssen 2014 in einem offenen Brief dafür, nicht mehr mit israelischen Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Bis heute ist Hanssen Mitglied im Vorstand der Middle East Studies Association (MESA), die sich zu den Zielen des BDS bekennt, Israel auf allen Ebenen zu isolieren.
Im radikal-zweigeteilten Weltbild der Bewegung wird Israel die Rolle des Satans zugeschoben, des Parias, „des Juden“ unter den Staaten. Mit einer vor Hass vibrierenden Sprache, oft in übersteigerten Nazivergleichen, wird der historisch, politisch und sozialpsychologisch hochkomplexe Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern vom BDS aus einer Tunnelperspektive beschrieben. Mit der Losung „From the River to the Sea, Palestine will be free“ strebt die Kampagne letztlich nicht weniger an, als Israel von der Landkarte zu tilgen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hatte die Berufung Hanssens kritisiert und die MWS aufgefordert, Stellung zu beziehen. Immerhin verbietet die BDS-Resolution des Deutschen Bundestages von 2019, dass BDS-affine Forschungsprogramme mit Bundesmitteln gefördert werden dürfen.
Jens Hanssen, der neue Leiter des Orient Instituts Beirut (OIB) der Max-Weber-Stiftung. © Max Weber Stiftung
Die Art, in der die Stiftung sich zu rechtfertigen sucht – namentlich Präsidentin Ute Frevert und Jens Hanssen selbst – zeigt dabei ein weit verbreitetes Missverständnis auf, nämlich dass Judenfeindschaft relativ sei. Doch Antisemitismus bleibt Antisemitismus, ganz gleich in welchem Kontext er sich artikuliert. Er ist Tatsache, keine Befindlichkeitsfrage. Die Forschung hat seit Jahren ein recht eindeutiges Bild von seinen vielfältigen Formen und Wirkmechanismen. Auch dämonisierende, delegitimierende und mit doppelten Standards verfahrende „Kritik“ an Israels Dasein ist uralter Hass in einem neuen, scheinbar ehrbaren Gewand.
Problematische Rechtfertigung
Zwar distanziert sich die MWS (und Hanssen nun selbst) löblicherweise „von Aufrufen und Forderungen, israelische Wissenschaftler:innen und deren Einrichtungen von der Zusammenarbeit auszuschließen“ und betont sein Leitbild der Wissenschaftsfreiheit. Gleichzeitig aber verteidigt sie den Historiker mit einer ziemlich problematischen Begründung. Seinen wiederholten Aufruf zum Boykott gegenüber israelischen wissenschaftlichen Institutionen müsse man vor dem Hintergrund betrachten, dass Hanssen bisher im Ausland gelehrt habe, wo besagte Kritik „sehr viel vernehmlicher als in Deutschland“ sei. In Großbritannien, England und den USA sei „der akademische Boykott eine gängige (wenngleich nicht von allen akzeptierte) Taktik in der öffentlichen Streitkultur“.
Antisemitismus ist für Juden in Deutschland eine Alltagserfahrung. © picture alliance / dpa
In der deutschen Wissenschaftskultur hingegen habe der Boykott aus guten Gründen keinen Platz, vor allem dann nicht, wenn er sich auf Israel beziehe. Dies ist einerseits richtig: Wenn die Nachfahren der Täter die der Opfer boykottieren – was an die Losung „Deutsche kauft nicht bei Juden“ erinnert – hat das in der Tat ein besonderes Geschmäckle. Gleichzeitig ist es insofern falsch, als die dämonisierende Totalkritik an Israel (und nicht die an konkreter Politik!) immer und überall judenfeindlich ist, auch wenn das die „Kritiker“ mitunter nicht verstehen – etwa, weil die sozialwissenschaftlich fundierte Antisemitismuskritik in ihren Gesellschaften oder Peer Groups keinen Anklang findet.
Christoph David Piorkowski ist Autor für den Tagesspiegel und arbeitet seit langem zu den Themen Antisemitismus, Rassismus und Erinnerungskultur. Sein Buch „In Gegenwart der Geschichte. Zeitfragen im Schlaglicht“ ist dieses Jahr im Metropol Verlag erschienen.
Ähnlich wie die MWS hatte das Künstler- und Aktivistinnen-Kollektiv Taring Padi nach der Kritik an seinem Kunstwerk „Peoples Justice“ im Rahmen der letzten Documenta reagiert. Auf dem Bild war unter anderem ein schweinsgesichtiger Soldat mit Davidstern und dem Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm dargestellt, ferner ein vampirisch anmutender Mann mit Schläfenlocken, den chassidischen Pejes, auf dessen Hut silberne SS-Runen prangen.
Keine Kontextfrage
Man habe erkannt, dass die Bildsprache des Werkes im historischen Kontext Deutschlands eine besondere Bedeutung erhalte, und bedauere, Menschen beleidigt zu haben – so lautete das Pseudopardon des Kollektivs. Was die Erklärung insinuierte: Die Deutschen sind wegen der Geschichte hysterisch – was sie als antisemisch empfinden, nennen wir antikolonialen Aktivismus. Doch Antisemitismus wird nicht besser dadurch, dass er sich progressiv angepinselt hat.
Mit Blick auf die Vorgänge der letzten Documenta hat sich unter Israelhassern dabei längst eine Lesart entwickelt, die ihrerseits mit klassisch antisemitischen Stereotypen aufwartet. So unken diese abermals, es gebe eine Lobby, die jede „Kritik“ an Israel blockiere, was das Vorurteil jüdischer Allmacht bedient. Es ist unklar, wie Hanssen persönlich zu solchen Thesen steht, ob er die Kritik an der „Israelkritik“ selbst als Gefahr für die Meinungsfreiheit sieht.
Tatsache aber ist, dass die erste Veranstaltung, die am Orient-Institut Beirut (OIB) unter Hanssens Ägide durchgeführt wurde, unter dem Titel „The Question of Palestine in Germany“ stattfand. Geladen war der Genozidforscher A. Dirk Moses, der den Holocaust aus postkolonialer Perspektive relativiert und mit einer rabiaten Polemik gegen die deutsche Erinnerungskultur im Jahr 2021 den sogenannten Zweiten Historikerstreit auslöste. In der Ankündigung der Veranstaltung steht: „Eine ‚Säuberung‘ des Kunst-Sektors im Namen des Anti-Antisemitismus ist im Gange, die Bedenken über die Freiheit der Meinungsäußerung aufwirft“. Die Kritik an der „Kritik“ wird als „Säuberung“ verunglimpft.
Die MWS fördert wichtige Forschungsprojekte in diversen Ländern. Dass sie 2002 gegründet wurde, stellt einen großen Gewinn für die geistes- und sozialwissenschaftliche Forschungslandschaft dar. Der Duktus der Veranstaltungsankündigung des OIB klingt aber kaum nach seriöser Wissenschaft. Hier scheint „die Grenze zwischen wissenschaftlicher Arbeit und politischen Meinungsäußerungen“, die die MWS zu wahren erklärt, überschritten. Antisemitismus ist genau wie Rassismus indes nicht mal eine Meinung, sondern eben bloß Hass.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de