Bergsturz im Himalaya: Wie ein 8000er 600 Meter verlor

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Bergsturz im Himalaya: Wie ein 8000er 600 Meter verlor

© picture alliance Bergsturz im Himalaya: Wie ein 8000er 600 Meter verlor

Die Stadt Pokhara ist ein beliebtes Touristenziel Nepals. Wenige Besuchende dürften wissen, dass sie auf Sedimenten eines Bergsturzes vor gut 800 Jahren liegt.

Von Walter Willems, dpa

Anfang Juni verursachte der gewaltige Bergsturz am Tiroler Fluchthorn-Massiv Aufsehen. Dabei donnerten vom etwa 3400 Meter hohen Südgipfel rund eine Million Kubikmeter Fels in die Tiefe. Ungleich heftiger war vor rund 800 Jahren ein Bergsturz im Himalaya-Gebirge, den ein internationales Forschungsteam im Fachblatt „Nature“ rekonstruiert hat.

Um das Jahr 1190 stürzten von einem Gipfel des Annapurna-Massivs mehr als 23 Kubikkilometer Gestein talwärts – über 23 Milliarden Kubikmeter. Demnach verlor eine damals vermutlich etwa 8100 Meter hohe Bergspitze rund 600 Meter an Höhe.

„Nach menschlichen Zeitskalen erscheinen Berggipfel ewig“, schreibt die Gruppe um Jérôme Lavé von der französischen Université de Lorraine. „Doch nach geologischen Zeitskalen sind Berggipfel vergänglich: Ihre Form und Höhe ändern sich ständig als Reaktion auf den Wettbewerb zwischen tektonischer Anhebung und Erosion.“

Allerdings wisse man bisher nur wenig darüber, wie dieser Wettbewerb auf den höchsten Gipfeln der Erde ablaufe. Dort oben sei die Erosion durch die dauerhafte Eisdecke und den fehlenden steten Wechsel von Tauen und Gefrieren sehr begrenzt, sodass diese Gipfel – in der Theorie – stetig weiterwachsen müssten.
Einen begrenzenden Einfluss glauben die Forscher am bis zu 8091 Meter hohen Annapurna-Massiv in Nepal ausgemacht zu haben. Hier hat das Team an den extrem steilen Südhängen zwischen den Annapurna-Gipfeln III und IV eine auffällige Senke entdeckt. Unterhalb davon liegt ein stellenweise mehr als 400 Meter mächtiges Trümmerfeld.

Ursache davon sei eindeutig ein Bergsturz gewesen, schreibt das Team. Anhand der Rekonstruktion geht es davon aus, dass der derzeit gut 7500 Meter hohe Gipfel Annapurna IV damals etwa 600 Meter höher war und damit vermutlich ähnlich hoch wie der derzeitige Hauptgipfel des Massivs.

Das Volumen des Bergsturzes berechnen die Forscher auf 23,5 Kubikkilometer. Damit sei es der bislang größte bekannte Erdrutsch im Himalaya. Anschließend sei der unterhalb gelegene Felsenkessel, in dem der Sabche-Gletscher liegt, stellenweise mehr als 1000 Meter hoch von Felstrümmern bedeckt gewesen. Ein Teil des Gerölls sei in das Tal des Flusses Seti gestürzt. Große, von der Lawine stammende Felsen finde man dort noch zehn Kilometer stromabwärts.

Ein Großteil des Gerölls sei schnell abgetragen und vom Seti stromabwärts transportiert worden: zunächst bis in die Umgebung der heutigen Stadt Pokhara, die flussabwärts liegt und grob 40 Kilometer entfernt ist. Dies passt zu Studien, denen zufolge das landwirtschaftlich genutzte Becken um die Stadt vor 500 bis 1000 Jahren rasch mit Sedimenten aufgefüllt wurde. Ein Teil der Sedimente sei weiter transportiert worden und letztlich mit dem Ganges in den Golf von Bengalen gelangt.

Mit mehreren Datierungsverfahren, darunter C14-Datierungen von eingeschlossenen Pflanzenresten, bestimmten die Forscher den wahrscheinlichen Zeitpunkt des Bergsturzes auf etwa das Jahr 1190. Da große Erdbeben im spätmittelalterlichen Nepal nur für die Jahre um 1100, 1255 und 1344 bekannt seien, scheiden zumindest diese Ereignisse als Ursache eindeutig aus.

Zwar seien einige große Bergstürze aus dem Himalaya bekannt, heißt es weiter. Diese hatten jedoch geringere Ausmaße von zehn bis 15 Kubikkilometern. Zudem handele es sich um Bereiche in geringeren Höhen zwischen 4500 und 6000 Metern. Abbrüche wie an der Annapurna IV seien möglicherweise der wichtigste Begrenzungsfaktor für das Bergwachstum in vergletscherten extremen Höhen.

Letztlich habe sich der Bergsturz durch die abgelagerten Sedimente positiv auf die Region Pokhara ausgewirkt, betonen die Forscher. Heute allerdings hätte ein solches Ereignis katastrophale Auswirkungen. Pokhara ist mit rund 600.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Nepals, wegen ihrer malerischen Lage und der Nähe etwa zur äußerst beliebten Trekkingroute um das Annapurna-Massiv zählt sie zu den wichtigsten Touristenzielen des Landes.

Einen Eindruck von der Zerstörungskraft von Bergstürzen vermittelte kürzlich der Erdrutsch am knapp 6100 Meter hohen Ronti im indischen Teil des Himalaya. Dabei stürzten im Februar 2021 unterhalb des Gipfels schätzungsweise 27 Millionen Kubikmeter Fels und Eis in die Tiefe – ein winziger Bruchteil der für das Annapurna-Massiv geschätzten Menge. Die Gerölllawine zerstörte ein Wasserkraftwerk und verursachte eine Flutwelle, bei der mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Fachleute bringen dieses Unglück ebenso wie den Bergsturz am Tiroler Fluchthorn mit dem Klimawandel und den Auswirkungen des tauenden Permafrosts in Verbindung.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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