Aufstand im Unterleib: Lösen ganz bestimmte Bakterien Endometriose aus?
© stock.adobe/freshidea Aufstand im Unterleib: Lösen ganz bestimmte Bakterien Endometriose aus?
Sollten sich die Ergebnisse einer neuen Studie bestätigen, wäre eine wichtige Frage geklärt: wieso bei rund jeder zehnten Frau Endometrioseherde auftreten. Auch die Behandlung könnte sich ändern.
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Es ist eine mögliche Ursache für eine Krankheit, von der schätzungsweise jede zehnte Frau im gebärfähigen Alter betroffen ist: Laut einem japanischen Forschungsteam könnte eine Infektion mit Fusobakterien Endometriose auslösen. Die stäbchenförmigen Bazillen kommen unter anderem in der Mundhöhle und im Verdauungstrakt von Menschen vor und werden mit Infektionen wie Abszessen, Nasennebenhöhlenentzündungen und auch mit Darmkrebs in Verbindung gebracht.
In einer Gruppe von 155 Frauen wiesen 64 Prozent der Patientinnen, die von Endometriose betroffen waren, Fusobakterien in der Gebärmutterschleimhaut auf. Bei der Kontrollgruppe waren es weniger als zehn Prozent. Unklar ist, warum es bei einigen Frauen zur Infektion der Gebärmutterschleimhaut kommt. Laut der Studie ist eine Übertragung über die Mundhöhle oder die Vagina denkbar.
2Millionen Frauen leiden schätzungsweise in Deutschland unter einer Endometriose.
Sollten die Ergebnisse bestätigt werden, die im Fachmagazin „Science Translational Medicine“ vorgestellt wurden, wäre die vermutlich wichtigste Frage geklärt: wieso sich bei so vielen Frauen Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedeln und Drüsen und Entzündungen (Endometrioseherde) bilden. Die Betroffenen leiden unter massiven Schmerzen, die chronisch werden können, aber auch unter Magen-Darm-Problemen, Lebensmittelunverträglichkeiten oder können sogar unfruchtbar werden.
Experimente mit Mäusen
Die Forschenden um Ayako Muraoka von der Nagoya University wandten ihre Beobachtung auf ein Experiment mit Mäusen an. Die Nager haben allerdings keinen Menstruationszyklus wie Menschen und können auch keine spontane Endometriose entwickeln. Die Ergebnisse des Experiments sind also nur bedingt auf Menschen übertragbar, führt das Team auch selbst an.
Für die Untersuchung mussten die krankheitstypischen Herde oder Läsionen per Injektion von zerkleinertem Gebärmutterschleimhautgewebe künstlich ausgelöst werden. Als das Team den Mäusen Fusobakterien injizierte, verschlimmerten sich die Läsionen. Eine anschließende Gabe von Antibiotika ließ sie wieder schrumpfen.
Ich bewerte die Studie eher als spannende Hypothesenbildung, nicht als finales Ergebnis.
Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik und Sprecher des Endometriosezentrums des Universitätsklinikums Erlangen
Das Team schlussfolgert daraus, dass Antibiotika für Menschen eine einfache Therapieoption bieten könnten. Bislang werden Patientinnen, je nach Schwere ihrer Symptome, mit Schmerzmitteln, einer hormonell wirkenden Gestagenpille oder beidem behandelt, damit der Menstruationszyklus unterdrückt wird. Denn die Endometriose ist eine hormonabhängige Erkrankung: Die Weiterentwicklung der Drüsen, Zysten und Entzündungen geht mit der Anzahl der Zyklen einher.
Oft müssen mit einem operativen Eingriff die Endometriose-Gewebe beseitigt werden. In gravierenderen Fällen müssen Eierstöcke oder die Gebärmutter entfernt werden, weil sich die Endometrioseherde zu stark ausgeweitet haben.
Die Forschenden betonen, dass es sich bei ihren Beobachtungen bei betroffenen Frauen lediglich um eine Korrelation vom Nachweis der Bakterien und der Krankheit handelt. Ob Fusobakterien Auslöser, Folge oder Begleiterscheinung von Endometriose sind, wird also nicht eindeutig geklärt.
Drüsengewebe maßgeblich beteiligt
„Das scheint jetzt auf den ersten Blick die Helicobacter-Darmkrebs-Version bei Endometriose zu sein“, so Matthias Beckmann, Direktor der Frauenklinik und Sprecher des Endometriosezentrums des Universitätsklinikums Erlangen gegenüber dem SMC. Vom Bakterium Helicobacter wüsste man, dass es Magen- und Darmkrebs verursachen kann. Und auch bei anderen Erregern seien solche Mechanismen bereits beobachtet worden, etwa beim Humanen Papillomavirus (HPV) oder beim Epstein-Barr-Virus, die Zellen im Körper zur Entartung bringen können.
Eine 3D-Illustration von Fusobakterien. Sie kommen unter anderem in der Mundhöhle und im Verdauungstrakt von Menschen vor. © stock.adobe/Dr_Microbe
Die in der aktuellen Studie vorgestellte Idee, Fusobakterien könnten Endometriose verursachen oder zumindest mitverursachen, sei deshalb nicht abwegig, sagt er, aber: „Ich bewerte die Studie eher als spannende Hypothesenbildung, nicht als finales Ergebnis.“
Die mögliche Therapie mit Antibiotika ist das Spannendste an dieser Studie.
Endometriose-Experte Matthias Beckmann
Auch der Endometriose-Experte betont, dass die Maus nicht als „typisch Frau“ angesehen werden könne. Zudem seien die in den Laboruntersuchungen beschriebenen Fibroblasten höchstwahrscheinlich nicht der entscheidende Bestandteil bei der Endometriose. „Neben dem Schleimhautgewebe ist maßgeblich auch das Drüsengewebe beteiligt – und Drüsen reagieren stark hormonell“, sagte Beckmann.
Viele Fragen bleiben unbeantwortet
In dem Fachartikel werde auch nicht ganz klar, welche Art von Läsionen oder Entzündungen die Autor:innen letztlich beobachtet haben. Zudem wisse man zu wenig über die Patientinnen: „Werden sie zum Beispiel schon wegen Endometriose behandelt? Wenn ja, mit was? Nehmen sie die Pille? Und ist die Endometriose erstmalig oder schon ein Rezidiv? Das alles ist nicht erläutert, wäre aber wichtig zu wissen“, sagt Beckmann.
Der Gedanke, dass Antibiotika womöglich helfen könnten, sei wichtig. „Wir haben selbst schon Untersuchungen zum CRP-Wert gemacht“, so Beckmann. Dieser Entzündungswert ist bei Infektionen und Entzündungen, so auch bei Endometriose, erhöht und diene als Entscheidungskriterium für den Einsatz eines Antibiotikums. „Diese mögliche Therapie ist letzten Endes auch das Spannendste an dieser Studie.“
Expert:innen kritisieren, dass die Erforschung der Endometriose – der nach Brustkrebs zweithäufigsten gynäkologischen Erkrankung – zu wenig gefördert wird. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat für 2023 Forschungsmittel in Höhe von fünf Millionen Euro bewilligt. Ab 2024 soll die Förderung noch einmal erhöht werden. Beckmann: „Neue Thesen zur Ursache der Endometriose oder zur möglichen Therapie sind daher erst einmal sehr willkommen – auch wenn diese Studie jetzt noch nicht auf ein Level mit der Entdeckung, dass HPV Gebärmutterhalskrebs verursachen kann, zu setzen ist.“
- Biomedizin
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de