Wie antisemtisch sind Zuwanderer?: Je länger in Deutschland, desto weniger judenfeindlich

© picture alliance/dpa/Carsten Koall Wie antisemtisch sind Zuwanderer?: Je länger in Deutschland, desto weniger judenfeindlich

Ob es eine spezifische Judenfeindschaft unter Migranten und Muslimen in Deutschland gibt, hat eine Forscherin untersucht. Die Ergebnisse der Studien sind vieldeutig.

Ist der Antisemitismus unter Geflüchteten oder unter Muslim:innen größer als in der übrigen Gesellschaft? Nicht unbedingt, lautet die Antwort von Sina Arnold, die für den Mediendienst Integration dieser Frage nachgegangen ist. Je nach Ausprägung des Antisemitismus – dem klassischen, dem sekundären oder dem auf Israel bezogenen – unterscheiden sich die Ergebnisse.

Die Antisemitismusforscherin hat für ihr Gutachten die wichtigsten wissenschaftlichen Studien zum Thema analysiert. Sie kommt zu dem Fazit, dass der klassische Antisemitismus unter Muslim:innen weiter verbreitet sei als beim Rest der Gesellschaft. Zum klassischen Antisemitismus zählen beispielsweise die Auffassungen, dass Juden einen zu großen Einfluss hätten, nicht zur Mehrheitsgesellschaft passten oder eher mit „Tricks“ arbeiteten als andere.

Was den Antisemitismus unter Muslimen anbelangt, müsse man allerdings stärker differenzieren. Hier würden Studien große Unterschiede zwischen den Glaubensrichtungen zeigen, so die Wissenschaftlerin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin (TU). Auch hänge die Judenfeindschaft weniger mit der Grad der Religiosität zusammen als mit der Auslegung der Religion.

Wissenschaftliche Untersuchungen würden dazu ein differenzierteres Bild ergeben, als die öffentliche Debatte. So lässt sich schwerlich über die Muslime in Deutschland sprechen, Schiiten haben meist ein anderes Bild von Jüd:innen als Sunniten. Auch die Herkunft spielt laut Arnold eine Rolle, gibt es doch im Nahen Osten als regionalen Effekt einen höheren Antisemitismus, der sich dort teilweise auch bei Christen zeigt.

Angehörige der zweiten Einwander:innen-Generation stimmen klassischem Antisemitismus seltener zu als ihre eingewanderten Eltern. 

Sina Arnold, Antisemitismusforscherin TU Berlin

Bei Menschen mit Migrationshintergrund sei die Verbreitung klassischer antisemitischer Ressentiments nicht eindeutig zu bewerten: „Manche Studien finden höhere, manche niedrigere und manche gleiche Werte im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund“, so Arnold.

Eindeutiger sei das Ergebnis zum sekundären Antisemitismus, also Vorurteilen, die besagen, dass Jüd:innen aus dem Schicksal des Holocaust einen Vorteil ziehen wollen, oder dass immer nur von den „deutschen Verbrechen an Jüd:innen“ die Rede sei. Hier findet die Forscherin eine geringere Verbreitung unter Zuwanderern als in der Mehrheitsgesellschaft und bei Muslim:innen keinen Unterschied zum Rest. Erklären lässt sich das damit, dass diese Form der Judenfeindschaft häufig etwas mit Vergangenheit der deutschen Familien im Holocaust zu tun hat und daher bei Migranten weniger anzutreffen ist.

Der israelbezogene Antisemitismus, also etwa die Aussage, dass Israel heute genauso handele, wie die Nazis im Holocaust, ist bei Migranti:innen und Muslim:innen weiter verbreitet als beim Rest der Gesellschaft. Wobei hier die Zustimmungswerte sehr stark vom jeweiligen Herkunftsland abhängen würden.

„Bei Menschen mit Migrationshintergrund aus Ländern außerhalb der EU finden sich wesentlich höhere Zustimmungswerte zu israelbezogenem Antisemitismus als bei Menschen ohne Migrationshintergrund.“ Dies gelte insbesondere für Migrationshintergründe aus der Türkei und arabischen Ländern; bei Menschen aus der EU oder bei Spätaussiedler:innen würden sich nur geringfügig höhere Zustimmungswerte finden.

Die Forscherin zitiert eine Studie von 2013, wonach der Aussage „Bei der Politik, die Israel betreibt, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ 2,1 Prozent der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund „völlig“ zustimmten, unter zugewanderten Jugendlichen aus Polen lag die Zustimmung bei 2,2 Prozent und unter Jugendlichen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion bei 4,3 Prozent. Hingegen stimmten 21,2 Prozent der Jugendlichen mit türkischer Abstammung der Aussage zu und sogar 43,9 Prozent der Jugendlichen, die aus arabischen Ländern nach Deutschland gekommen sind.

Soziale Norm gegen Antisemitismus

Ein wichtiges Ergebnis der Analyse besagt, dass die Kategorie Migrationshintergrund nur bedingt aussagekräftig ist. Die antisemitische Einstellung hänge vielmehr davon ab, wie lange jemand bereits in Deutschland lebt, ob er eingebürgert ist sowie aus welchem Land er stammt. Die Forschung zeige, dass die Dauer des Aufenthalts in Deutschland ausschlaggebend für antisemitische Einstellungen sei.

„Die höhere Zustimmung zu antisemitischen Aussagen schwindet, je länger Migrant:innen in Deutschland leben“, so Sina Arnold. In der deutschen Gesellschaft sei Antisemitismus zwar weiterhin stark verbreitet, offiziell aber tabuisiert. Menschen, die in Deutschland wohnen und aufwachsen, würden lernen, die soziale Norm gegen Antisemitismus einzuhalten. „Sie besuchen deutsche Schulen und erfahren etwas über die Geschichte des Nationalsozialismus, was sie möglicherweise für das Thema sensibilisiert“, erklärt Arnold. In der Wissenschaft spricht man von einem Akkulturationseffekt.

Integration besonders wichtig

Offenbar spielt hier auch die Staatsangehörigkeit eine wichtige Rolle. Der klassische Antisemitismus ist demnach am höchsten bei Migranten, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. „Angehörige der zweiten Einwander:innen-Generation stimmen klassischem Antisemitismus seltener zu als ihre eingewanderten Eltern“, so Arnold. Offenbar findet eine stärkere Identifikation mit dem Land statt, dessen Pass man hat.

Beachtet werden sollte in diesem Zusammenhang auch, dass es bei zugewanderten Menschen, die Diskriminierung und Rassismus in Deutschland erlebt haben, zu einer stärkeren Identifikation mit religiösen oder politischen Gruppen kommen kann, die anderen Gruppen gegenüber, also auch Juden, abwertend auftreten. Hier spiele das Gefühl, nicht zur deutschen Gesellschaft dazuzugehören oder Menschen zweiter Klasse zu sein, eine Rolle.  

84 Prozent der antisemitischen Straftaten geht auf rechstextreme Täter zurück, ausländische und religiöse Ideologie spielen hingegen nur in rund sechs Prozent der Fälle eine Rolle.

Die Annahme, dass es vonseiten der Zuwanderer besonders viele antisemitischen Straftaten gibt, kann aber der Blick in die Kriminalstatistik der Polizei entkräften. Demnach geht der Großteil der erfassten Taten auf rechtsextreme Täter:innen zurück (84 Prozent), ausländische und religiöse Ideologie spielen hingegen nur in rund sechs Prozent der Fälle eine Rolle. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) kommt auf insgesamt zehn Prozent antisemitischer Vorfälle, die auf Antisraelismus beziehungsweise ein „islamisch/islamistisches Millieu“ zurückgehen. Letzteres macht dabei nur einen Prozent aus.

Stereotype vor allem im Mittlerer Osten und Nord-Afrika

Allgemein sei festzustellen, dass in einigen Herkunftsländern Antisemitismus weiter verbreitet ist als in Deutschland – und teilweise sogar von der staatlichen Propaganda verbreitet wird. So hielten einer Untersuchung der Anti-Defamation League zufolge weltweit 26 Prozent aller Befragten die Mehrzahl von negativen Stereotypen über Jüd:innen für „wahrscheinlich wahr“, in der Region Mittlerer Osten und Nord-Afrika traf dies auf 74 Prozent zu.

In manchen Ländern – wie etwa Syrien – sei eine Identifikation mit der eigenen Nation in Abgrenzung zu Israel entstanden: „Dieser arabische Nationalismus stellt einen zentraleren Bezugspunkt für antisemitische Vorurteile dar als die muslimische Region“, so Sina Arnold.

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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