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Im aktuellen Haushaltsstreit wird viel von Verantwortung gegenüber den Jüngeren gesprochen. Bei anderen Themen kennt man solche Skrupel nicht. Sollten sie vorgeschoben sein?
Ein Zwischenruf von
Junge Menschen haben gerade Konjunktur in der Politik. Sie tauchen im Vokabular wieder dort auf, wo man sie lange verschollen glauben musste. Es wird über ihre Belange gesprochen, ihre Interessen. Und über die Verantwortung, die politische Handelnde ihnen gegenüber hätten.
Nur hat man, in paternalistischer Manier, über ihre Belange ganz eigene Vorstellungen. Unter dem Schlagwort „Generationenverantwortung“ geht es nicht etwa um Bildung oder Zukunftschancen, sondern um einen ausgeglichenen Staatshaushalt und die Einhaltung der Schuldenbremse.
Im März – Olaf Scholz’ Zeitenwende-Rede ist ein Jahr her, die Inflation sinkt – will Finanzminister Christian Lindner den Staatshaushalt wieder in gerade Bahnen rücken. Den ihm zufolge endlich wieder nötigen Fokus auf die ausgeglichene Staatskasse begründet er unter anderem mit dem Satz: „Wir sind gefordert, Haushaltspolitik wieder aus den Augen der Kinder zu betreiben, die auch einen handlungsfähigen Staat erwarten dürfen.“
Dann kam der 15. November. Das Bundesverfassungsgericht erklärt die Umwidmung der Kreditermächtigungen aus der Coronakrise für den Klima- und Transformationsfond für nichtig. Das erschüttert zumindest kurzfristig die Handlungsfähigkeit der Regierung. Im Haushaltsentwurf für 2024 fehlen seitdem 17 Milliarden Euro.
Im Ringen darum, wie es jetzt weitergehen soll, wie man einen beschlussfähigen Haushalt hinkriegt, steht auch die Schuldenbremse selbst zur Debatte: Sie einhalten und Ausgaben streichen? Sie reformieren, wie es der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums fordert? Oder sie gleich ganz abschaffen?
Wir sind gefordert, Haushaltspolitik wieder aus den Augen der Kinder zu betreiben, die auch einen handlungsfähigen Staat erwarten dürfen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner, FDP, im März 2023
Die CDU, die die Klage vorm Bundesverfassungsgericht angestrengt hatte, hält es auch mit dem Blick auf die Jüngeren. Ihr Generalsekretär Carsten Linnemann sagte kürzlich in einem Zeitungsinterview zu den Folgen des Karlsruher Urteils: „Die Schuldenbremse ist Ausdruck von Generationengerechtigkeit. Ich wundere mich, wie locker man in Deutschland damit umgeht.“
Die Generation, der hier Gerechtigkeit widerfahren soll, ist vor allem die Gen-Z. Meine Generation. Und ich wundere mich auch – nur über etwas anderes.
Zum Beispiel über die plötzliche Zugewandtheit, die Milde, wenn nun allenthalben verlautet, die schwarze Null sei das Instrument generationengerechter Politik und man dürfe die Jüngeren nicht zu sehr belasten. Ihnen nicht zu viel zumuten.
Der Begriff „Zumutung“ trifft die aktuelle Lage ganz gut
Der Begriff Zumutung träfe es tatsächlich ganz gut, ginge es darum, wie die Gen-Z die aktuelle Politik wahrnimmt. Zugemutet wird ihr, wird mir, wird uns beispielsweise eine Klimapolitik, deren beschlossene und tausendfach beschworene Ziele in unerreichbare Ferne rücken. Woraus auch kein Hehl mehr gemacht wird. Die derzeitige Ampel-Politik verfehle das 1,5-Grad-Ziel, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Juni.
Das wird nichts mehr! Robert Habeck hat sich pessimistisch zum 1,5-Grad-Ziel geäußert.
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Zugemutet wird der Gen-Z eine Volkswirtschaft, die nicht so richtig aus ihrem Tiefschlaf aufwachen will. Zugemutet werden uns Versprechen auf eine sozialökologische Transformation des Landes, die auf der Strecke zu bleiben droht. Schulen, die verfallen, denen Lehrkräfte und Material fehlen, und Universitäten, deren personeller Mittelbau schon vor langem in die Prekarität abgerutscht ist.
Zugemutet werden uns Funkloch-Flickenteppich und Digitalisierungsneuland. Garniert mit großer Empörung, wenn in Kneipen Englisch gesprochen wird und mancher das auch für Behördenmitarbeitende für nötig hält.
Studienzeit als 60-Stunden-pro-Woche-Dauerstress
Zugemutet werden uns eine multifaktorielle Wohnungskrise, für die es keine Lösung zu geben scheint, und Mieten, die so hoch sind, dass Studium plus Nebenjobs eine 60-Stunden-Woche ergeben. Zumindest die verfassungsmäßige Verantwortung, die mit Eigentum einhergeht, werden die meisten von uns Jüngeren nicht tragen müssen.
Nicht wenige in der Gen-Z fragen sich gerade: Was machen da ein paar Milliarden Euro Schulden mehr? Woher kommt nach so viel Egoismus der Babyboomer-Generation jetzt plötzlich die Sorge um uns?
Oder sollte das Argument womöglich vorgeschoben sein?
Zumal die paar Milliarden Euro mehr, sofern vernünftig eingesetzt, zu Dutzenden Milliarden weniger Ausgaben führen würden. Fachleute aus dem Bereich Ökonomie attestieren den Investitionen in den ökologischen Umbau, die heute nicht getätigt werden, perspektivisch ein Vielfaches an Folgekosten. Aber diese Logik bleibt in der dogmatischen Enge der Schuldenbremse unsichtbar.
International wundert man sich über den deutschen Sonderweg
Der Investitionsstau aus den Kanzlerinnenjahren von Angela Merkel, in denen die schwarze Null Selbstzweck war und in denen seit 2013 nicht einmal die minimale Neuverschuldung, die die Schuldenbremse erlaubt, ausgeschöpft wurde, hat durchaus seinen Anteil am jetzigen Haushaltsloch.
Aus ökonomischer Sicht lässt sich die Schuldenbremse also argumentativ kaum halten. International wundert man sich ebenfalls über den deutschen Sonderweg.
Die heute junge Generation ist wie kaum eine andere mit einer sich verschärfenden Polykrise konfrontiert, die nicht in allen, aber in vielen Aspekten von deutschen Regierungen mitgetragen, vertagt oder auch direkt verursacht wurde.
Wenn dann ausgerechnet in Fragen der Schuldenbremse behauptet wird, Generationengerechtigkeit sei ein Handlungsmotiv, wirkt das fast schon zynisch.
Die Jüngeren nehmen Finanzen ernster als die Boomer
Zumal – ganz nebenbei – die Gen-Z zu Geld und Schulden ein anderes Verhältnis hat als die Boomer-Generation vor ihnen. 73 Prozent der Jüngeren zeigen Umfragen zufolge ein hohes Interesse an ihren persönlichen Finanzen, die Boomer interessiert das Thema mit 58 Prozent deutlich weniger.
In einem Gastbeitrag vom 3. November will Christian Lindner in der Schuldenbremse eine „höhere Weisheit“ erkennen. Denn sie zwinge politische Entscheiderinnen und Entscheider zu wirklicher Verantwortung. Tatsächlich aber entziehen sich die Schuldenbremsen-Fans vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit eben dieser Verantwortung.
Die Schuldenbremse schafft einen politischen Rahmen, in dem sozial Schwache gegen sozial Schwächere ausgespielt werden, und der Nährboden für rechtspopulistische Thesen. Sie bringt heutige Baustellen gegen zukünftige Baustellen meiner Generation und gegen die Zukunft künftiger Generationen in Stellung.
Die Regierung, besonders die FDP, und die Opposition sollten aufhören, die Gen-Z als wohlfeiles Argument im aktuellen Haushaltsstreit zu nutzen. Die will für das Fiasko sicherlich nicht mehr herhalten müssen. Für Investitionen aber, die ihr einen bewohnbaren Planeten und eine sozial gerechte Wirtschaft hinterlassen, zahlen sie, zahle jedenfalls ich, gern ein paar Milliarden Schulden mehr ab.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de